Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn

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Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane - Felix Dahn


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Ehe des kalten Weibes mit Eutharich, einem Amaler aus andrer Linie, einem Mann von hohen Anlagen des Geistes und reichem Gemüt, war kurz: Eutharich erlag nach wenigen Jahren einem tiefen Leiden – und wenig glücklich. Nur mit Widerstreben hatte sie sich ihrem Gatten gebeugt. Als Witwe atmete sie stolz auf. Sie brannte vor Ehrgeiz, dereinst als Vormünderin ihres Knaben, als Regentin jene ihre Lieblingsidee zu bewähren: sie wollte so regieren, daß die stolzesten Männer ihre Überlegenheit sollten einräumen müssen. Wir haben gesehen, wie die Erwartung der Herrschaft diese kalte Seele sogar den Tod ihres großen Vaters ziemlich ruhig hatte ertragen lassen.

      Sie übernahm das Regiment mit höchstem Eifer, mit unermüdlicher Tätigkeit. Sie wollte alles selbst, alles allein tun. Sie schob ungeduldig den greisen Cassiodor zur Seite, der ihrem Geist nicht rasch und kräftig genug Schritt hielt. Keines Mannes Rat und Hilfe wollte sie dulden.

      Eifersüchtig wachte sie über ihre Alleinherrlichkeit. Und nur einem ihrer Beamten lieh sie gern und häufig das Ohr: demjenigen, der ihr oft und laut die männliche Selbständigkeit ihres Geistes pries und noch öfter dieselbe still zu bewundern, der den Gedanken, sie beherrschen zu wollen, gar nie wagen zu können schien: sie traute nur Cethegus. Denn dieser zeigte ja nur den einen Ehrgeiz, alle Gedanken und Pläne der Königin mit eifriger Sorge durchzuführen. Nie trat er, wie Cassiodor oder gar die Häupter der gotischen Partei, ihren Lieblingsbestrebungen entgegen; er unterstützte sie darin: er half ihr, sich mit Römern und Griechen umgeben, den jungen König möglichst von der Teilnahme am Regiment auszuschließen, die alten gotischen Freunde ihres Vaters, die, im Bewußtsein ihrer Verdienste und nach alter Gewohnheit, sich manches freie und derbe Wort des Tadels erlaubten, als rohe Barbaren allmählich vom Hof zu entfernen, die Gelder, die für Kriegsschiffe, Rosse, Ausrüstung der gotischen Heere bestimmt waren, für Wissenschaften und Künste oder auch für die Verschönerung, Erhaltung und Sicherung Roms zu verwenden: kurz, er war ihr behilflich in allem, was sie ihrem Volk entfremden, ihre Regierung verhaßt und ihr Reich wehrlos machen konnte. Und hatte er selbst einen Plan, immer wußte er seine Verhandlungen mit der Fürstin so zu wenden, daß sich diese für die Urheberin ansehen mußte und ihn zu dem Vollzug seiner geheimsten Wünsche als ihrer Aufträge befehligte.

      Fünftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Begreiflicherweise bedurfte es, um solchen Einfluß zu gewinnen und zu pflegen, häufigeren Aufenthalts am Hof, längerer Abwesenheit von Rom, als seine dortigen Interessen vertrugen. Deshalb strebte er danach, in die Nähe der Königin Persönlichkeiten zu bringen, die ihm diese Mühe zum Teil ersparen könnten, die ihn immer gut unterrichten und warm vertreten sollten. Die Frauen von mehreren gotischen Edeln, welche grollend Ravenna verließen, mußten in der Umgebung Amalaswinthens ersetzt werden, und Cethegus trug sich mit dem Gedanken, bei dieser Gelegenheit Rusticiana, die Tochter des Symmachus, die Witwe des Boëthius, an den Hof zu bringen. Die Aufgabe war nicht leicht. Denn die Familie dieser als Hochverräter hingerichteten Männer war in Ungnade aus der Königsstadt verbannt. Vor allem mußte daher die Königin umgestimmt werden für sie.

      Dies freilich gelang alsbald, indem die Großmut der edlen Frau gegen das so tief gefallene Haus wachgerufen wurde. Dazu kam, daß sie an die niemals vollbewiesene Schuld von zwei edlen Römern nie von Herzen hatte glauben mögen, deren einen, den Gatten Rusticianas, sie als großen Gelehrten und in manchen Gebieten als ihren Lehrer verehrte. Endlich wußte Cethegus zu betonen, wie gerade diese Tat, sei es der Gerechtigkeit, sei es der Gnade, die Herzen all’ ihrer römischen Untertanen rühren müsse. So war die Regentin leicht gewonnen, Gnade zu erteilen. Viel schwerer ward die stolze und leidenschaftliche Witwe des Verurteilten bewogen, diese Gnade anzunehmen. Denn Wut und Rachedurst gegen das Königshaus erfüllten ihre ganze Seele, und Cethegus mußte sogar fürchten, ihr unbeherrschbarer Haß könnte sich in der steten Nähe der «Tyrannen» leicht verraten. Wiederholt hatte Rusticiana trotz all seiner sonst so großen Gewalt über sie dieses Ansinnen zurückgewiesen.

      Da machten sie eines Tages eine sehr überraschende Entdeckung, die zur Erfüllung der Wünsche des Präfekten führen sollte.

      Rusticiana hatte eine kaum sechzehnjährige Tochter, Kamilla. Aus ihrem echt römischen Gesicht mit den edeln Schläfen und den schöngeschnittenen Lippen leuchteten dunkle, schwärmerische Augen: der eben erst vollendete Wuchs zeigte feine, fast allzu zarte Formen, rasch und leicht und fein wie einer Gazelle waren alle Bewegungen dieser schlanken Glieder. Eine reiche Seele mit schwungvoller Phantasie lebte in dem lieblichen Mädchen. Mit aller Inbrunst kindlicher Verehrung hatte sie ihren unglücklichen Vater geliebt: der Streich, der sein teures Haupt getroffen, hatte tief in das Leben des heranblühenden Mädchens geschlagen; ungestillte Trauer, heilige Wehmut, mit der sich die leidenschaftliche Vergötterung seines Martyriums für Italien mischte, erfüllten alle Träume ihres jungfräulichen Entfaltens.

      Vor dem Sturz ihres Hauses ein gern gesehener Gast am Königshof, war sie nach dem Schicksalsschlag mit ihrer Mutter über die Alpen nach Gallien geflohen, wo ein alter Gastfreund den betrübten Frauen monatelang eine Zufluchtsstätte bot, während Anicius und Severinus, Kamillas Brüder, anfänglich ebenfalls verhaftet und zum Tode verurteilt, dann zur Verbannung aus dem Reich begnadigt, aus dem Kerker sofort nach Byzanz an den Hof des Kaisers eilten, wo sie Himmel und Hölle gegen die Goten in Bewegung setzten. Die Frauen waren, als sich der Sturm der Verfolgung verzogen, nach Italien zurückgekehrt und lebten ihrem stillen Gram im Häuschen eines treuen Freigelassenen zu Perusia, von wo aus freilich Rusticiana, wie wir sehen, den Weg zu den Verschworenen in Rom wohl zu finden wußte.

      Der Sommer war gekommen, die Jahreszeit, in der vornehme Römer noch immer, wie zur Zeit des Horatius und Tibullus, die dumpfe Luft der Städte zu fliehen und in ihren kühlen Villen im Sabinergebirge oder an der Meeresküste sich zu verstecken pflegten. Mit Beschwerde trugen die verwöhnten Edelfrauen den Qualm und Staub in den heißen Straßen des engen Perusia, mit Seufzen der herrlichen Landhäuser bei Florentia und Neapolis gedenkend, die sie, wie all ihr Vermögen, an den gotischen Fiskus verloren.

      Da trat eines Tages der treue Corbulo mit seltsam verlegenem Gesicht vor Rusticiana. Er hatte längst bemerkt, wie die «Patrona» unter seinem unwürdigen Dach zu leiden und mancherlei Ungemach schon durch seine Hantierung – er war seines Zeichens Steinmetz – zu erdulden gehabt, und so habe er denn an den letzten Kalenden ein kleines, freilich nur ein ganz kleines Gütchen mit einem noch kleineren Häuschen gekauft, droben im Gebirge bei Tifernum. Freilich, an die Villa bei Florentia dürften sie dabei nicht denken: aber es riesele doch auch dort ein selbst unter dem Sirius nicht versiegender Waldquell, Eichen und Kornellen gäben breiten Schatten, um den verfallnen Faunustempel wuchre üppig der Efeu, und im Garten habe er Rosen, Veilchen und Lilien pflanzen lassen, wie sie Donna Kamilla liebe, und so möchten sie denn Maultier und Sänfte besteigen und wie andre Edelfrauen ihre Villa beziehen.

      Die Frauen, von dieser Treue des Alten gerührt, nahmen dankbar seine Güte an, und Kamilla, die sich in kindlicher Genügsamkeit auf die kleine Veränderung freute, war heiterer, belebter als je seit dem Tod ihres Vaters.

      Ungeduldig drängte sie zum Aufbruch und eilte noch am selben Tage mit Corbulo und Daphnidion, dessen Tochter, voraus, Rusticiana sollte mit den Sklaven und dem Gepäck so bald als möglich folgen.

      Die Sonne sank schon hinter die Hügel von Tifernum, als Corbulo, Kamillens Maultier am Zügel führend, aus den Waldhöhen auf die Lichtung gelangte, von wo aus man das Gütchen zuerst wahrnehmen konnte. Längst hatte er sich auf die Überraschung des Kindes gefreut, wenn er ihr von hier aus das anmutig gelegene Haus zeigen würde.

      Aber erstaunt blieb er stehen: er hielt die Hand vor die Augen, ob ihn die Abendsonne blende, er sah umher, ob er denn nicht an der rechten Stelle: aber kein Zweifel! Da stand ja an dem Rain, wo Wald und Wiese sich berührten, der graue Markstein in Gestalt des alten Grenzgottes Terminus mit seinem spitz zulaufenden Kopf: der rechte Ort war es, aber das Häuschen nicht zu sehen: vielmehr an seiner Stelle eine dichte Gruppe von Pinien und Platanen: und auch sonst war die ganze Umgebung verändert: da standen grüne Hecken und Blumenbeete, wo sonst Kohl und Rüben, und ein zierlicher Pavillon prangte, wo bisher Sandgruben


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