Maigret beim Minister. Georges Simenon

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Maigret beim Minister - Georges  Simenon


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noch erleuchtet und erweckten im Nebel den Eindruck von Frieden und Geborgenheit. In diesen weder reichen noch armen, weder neuen noch alten Häusern mit den fast gleichen Wohnungen wohnten vor allem Leute des Mittelstands, Professoren, Beamte, Angestellte, die jeden Morgen zur gleichen Zeit in ihre Metro oder ihren Bus stiegen.

      Maigret drückte auf den Klingelknopf und murmelte, als die Tür sich öffnete, undeutlich einen Namen, während er sich zum Fahrstuhl wandte.

      Dieser war so eng, dass kaum zwei Personen hineinpassten, und er fuhr in dem schwach beleuchteten Treppenhaus langsam, geräuschlos und ohne zu ruckeln hinauf. Die Türen in den verschiedenen Stockwerken hatten alle die gleiche dunkelbraune Farbe, und die Fußmatten davor glichen einander wie ein Ei dem anderen.

      Maigret klingelte an der Tür links, die sich so unmittelbar danach öffnete, als hätte dahinter schon jemand mit der Hand auf der Klinke gewartet.

      Es war Point, der dann zum Fahrstuhl ging, um ihn wieder hinunterzulassen. Daran hatte Maigret nicht gedacht.

      »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie noch so spät herbemüht habe«, murmelte er. »Kommen Sie herein …«

      Madame Maigret wäre enttäuscht gewesen, denn Point entsprach so gar nicht dem Bild, das man sich von einem Minister machte. In Größe und Umfang war er nahezu das Pendant des Kommissars, nur noch grober, plumper, würde man wohl sagen, und seine kantigen Züge, seine starke Nase und sein Mund erinnerten an eine geschnitzte Kastanie.

      Er trug einen nichtssagenden grauen Anzug und eine Krawatte zum Anstecken. Auffallend an ihm waren vor allem seine buschigen Augenbrauen, so dick und lang wie Barthaare, und die fast ebenso starke Behaarung seiner Hände.

      Auch er musterte Maigret unverhohlen, selbst ohne ein höfliches Lächeln.

      »Bitte setzen Sie sich, Kommissar.«

      Die Wohnung war kleiner als die am Boulevard Richard-Lenoir, bestand wohl nur aus zwei, höchstens drei Zimmern und einer winzigen Küche. Von der Diele aus, wo einige Kleidungsstücke hingen, waren die beiden in ein Arbeitszimmer gelangt, das an eine Junggesellenbude erinnerte. Auf einem Ständer an der Wand waren zehn oder zwölf Pfeifen aufgereiht, mehrere aus Ton und eine sehr schöne aus Meerschaum. Ein altmodischer Schreibtisch wie der, den Maigrets Vater einst besessen hatte, war mit Papieren und Asche bedeckt und wurde von einer Vielzahl von Fächern und Schubladen überragt. Maigret wagte nicht sofort, die Fotos an den Wänden zu betrachten, die Points Mutter und Vater zeigten, in schwarz-goldenen Rahmen, wie man sie in den Bauernhäusern in der Vendée findet.

      Point hatte sich auf einen Drehsessel gesetzt, der ebenfalls genau dem von Maigrets Vater glich, und griff schwerfällig nach einer Zigarrenkiste.

      »Sie rauchen?«, begann er.

      Der Kommissar lächelte und murmelte:

      »Ich ziehe meine Pfeife vor.«

      »Tabak?«

      Der Minister reichte ihm ein angebrochenes Päckchen Tabak und zündete sich selbst seine Pfeife wieder an, die er hatte ausgehen lassen.

      »Sie müssen überrascht gewesen sein, als Ihre Frau Ihnen gesagt hat …«

      Er versuchte, das Gespräch in Gang zu bringen, war aber mit dem Anfang nicht zufrieden. Es war eine ziemlich seltsame Situation. In dem stillen und warmen Arbeitszimmer saßen einander zwei fast gleich gebaute und fast gleichaltrige Männer gegenüber, die sich gegenseitig beobachteten, ohne es voreinander zu verbergen. Es war, als entdeckten sie Ähnlichkeiten, wären darüber beunruhigt und zögerten, sich als Gleichgesinnte zu erkennen.

      »Hören Sie, Maigret, ich will gleich zur Sache kommen. Ich kenne Sie nur aus der Zeitung und von dem, was man sich über Sie erzählt.«

      »Ich ebenso, Herr Minister.«

      Mit einer Handbewegung schien Point anzudeuten, dass diese Anrede hier zwischen ihnen nicht angebracht sei.

      »Ich sitze in der Klemme. Niemand weiß es bis jetzt, niemand ahnt es auch nur, weder der Ministerpräsident noch meine Frau, die sonst über all meine Handlungen Bescheid weiß. Ich möchte nur mit Ihnen darüber sprechen.«

      Er wandte einen Moment den Blick ab und zog an seiner Pfeife, wie verlegen über seinen letzten Satz, der wie banale Schmeichelei wirken konnte.

      »Ich wollte nicht den Dienstweg nehmen und mich an den Leiter der Kriminalpolizei wenden. Was ich tue, ist nicht korrekt. Sie waren nicht verpflichtet, zu kommen, und Sie sind ebenso wenig verpflichtet, mir zu helfen.«

      Mit einem Seufzer erhob er sich.

      »Trinken Sie einen Schnaps?«

      Und mit dem Anflug eines Lächelns fügte er hinzu:

      »Keine Sorge, ich will Sie nicht bestechen. Es ist nur so, dass ich heute Abend wirklich etwas Hochprozentiges brauche.«

      Er ging ins Nebenzimmer und kehrte mit einer angebrochenen Flasche und zwei Bechern zurück, wie man sie in Landgasthöfen verwendet.

      »Das ist nur ein gewöhnliches Eau de Vie vom Land, das mein Vater jeden Herbst destilliert. Dieses hier ist allerdings schon zwanzig Jahre alt.«

      Sie sahen einander an, jeder sein Glas in der Hand.

      »Auf Ihr Wohl.«

      »Auf das Ihre, Herr Minister.«

      Diesmal schien Point den Titel zu überhören.

      »Wenn ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, dann nicht, weil ich mich Ihnen gegenüber gehemmt fühle, sondern weil sich die Geschichte nur schwer erzählen lässt. Lesen Sie Zeitung?«

      »An den Abenden, an denen die Verbrecher mir die Ruhe dazu gönnen.«

      »Verfolgen Sie die Politik?«

      »Ziemlich wenig.«

      »Sie wissen, dass ich nicht das bin, was man einen echten Politiker nennt?«

      Maigret nickte.

      »Gut! Sie sind natürlich über die Katastrophe von Clairfond im Bilde.«

      Diesmal konnte Maigret nicht umhin, leicht zusammenzuzucken, und ein gewisser Unmut, ein gewisses Misstrauen schienen sich in seinem Gesicht zu spiegeln, denn sein Gesprächspartner senkte den Kopf und fügte leiser hinzu:

      »Leider ist es das, worum es hier geht.«

      Vorhin in der Metro hatte Maigret versucht zu erraten, was der Minister auf dem Herzen haben konnte. Aber der Fall Clairfond war ihm dabei nicht in den Sinn gekommen, obwohl die Zeitungen seit einem Monat voll davon waren.

      Das in vierzehnhundert Metern Höhe zwischen Ugines und Megève in der Haute-Savoie gelegene Sanatorium von Clairfond war einer der spektakulärsten Bauten der Nachkriegszeit.

      Maigret erinnerte sich nicht, wer die Idee gehabt hatte, für benachteiligte Kinder eine solche Unterbringung zu schaffen, die mit den modernsten Privatsanatorien vergleichbar war. Es war schon etliche Jahre her. Damals war viel davon gesprochen worden. Manche hatten darin eine rein politische Unternehmung gesehen, und in der Kammer waren leidenschaftliche Debatten darüber entbrannt. Eine Kommission war einberufen worden, um das Projekt zu begutachten, das, lange bekämpft, schließlich verwirklicht worden war.

      Vor einem Monat hatte sich die Katastrophe ereignet, eine der schlimmsten seit Menschengedenken. Die Schneeschmelze war ungewöhnlich früh eingetreten. Die Gebirgsbäche waren angeschwollen, und die Lize, ein unterirdischer Fluss, so unbedeutend, dass er nicht einmal auf den Karten verzeichnet ist, war zu einem reißenden Strom angeschwollen und hatte die Grundmauern eines Flügels von Clairfond gesprengt.

      Die Untersuchung, die gleich am Morgen nach der Katastrophe begonnen hatte, war noch nicht abgeschlossen. Die Sachverständigen waren sich uneinig. Und auch die Zeitungen vertraten je nach Gesinnung verschiedene Ansichten.

      Einhundertachtundzwanzig Kinder hatten bei dem Einsturz eines der Gebäude den Tod gefunden. Die übrigen waren umgehend evakuiert worden.

      Nach


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