An einem einsamen Ort - Ein Schweden-Krimi. Mari Jungstedt

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An einem einsamen Ort - Ein Schweden-Krimi - Mari  Jungstedt


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Polizei die sofortige Festnahme des Abschaums, der diese scheußliche Tat begangen hatte.

      Als Knutas um acht Uhr den Raum zur Besprechung der Ermittlungsleitung betrat, empfing ihn bereits heftiges Zeitungsgeraschel.

      Lars Norrby war von seinem zweiwöchigen Urlaub auf den Kanarischen Inseln zurückgekehrt. Er war am Vorabend sehr spät eingetroffen und hatte sich in die Morgenzeitung vertieft. Der Pressesprecher der Polizei war groß und dunkelhaarig, und jetzt schmückte ihn zudem eine kleidsame Bräune. Er arbeitete schon ebenso lange wie Knutas bei der Visbyer Polizei und war dessen Stellvertreter. Norrby war phlegmatisch, aber genau und zuverlässig. Er war kein Mann der Überraschungen, und Knutas wusste immer, was er von ihm zu erwarten hatte.

      Die Besprechung begann mit einer Diskussion über die Berichterstattung der lokalen Medien.

      »Dass die Mädchen im Fernsehen aufgetreten sind, ist unbegreiflich«, sagte Karin. »Wir haben doch so klar gesagt, dass sie sich auf kein Interview einlassen dürften.«

      »Dieser Johan Berg von den Regionalnachrichten ist ein Arsch, der Kinder manipulieren kann«, pöbelte Wittberg. »Verdammter Idiot.«

      »Wir können die Menschen, egal ob Kinder oder Erwachsene, nicht daran hindern, mit der Presse zu reden, wenn sie das wollen«, sagte Knutas. »Und es muss ja nicht unbedingt von Übel sein. Dass die Mädchen im Fernsehen waren, wird hoffentlich zu dem einen oder anderen Hinweis führen. Und das brauchen wir, bisher sind Hinweise ja noch Mangelware. Schlimmer ist es, dass jetzt alle wissen, dass der Pferdekopf verschwunden ist, das führt doch zu einer Menge unangenehmer Spekulationen.«

      Sohlman sah müde aus, vermutlich hatte er bis spät in die Nacht gearbeitet.

      »Wir haben die Wagenspuren genauer untersucht und können die von zwei unterschiedlichen Autos erkennen. Die eine war leicht zu identifizieren, sie stammt vom Wagen des Bauern, wir haben die Reifen verglichen, und es gibt keinen Zweifel. Bei der zweiten Spur ist es nicht so einfach. Die Reifen sind grob und ziemlich abgenutzt, sie gehören vermutlich zu einem Lieferwagen oder einem Pick-up. Aber sie könnten auch einem Kombi gehören.«

      »Gibt es noch andere Spuren?«, fragte Karin.

      »Wir haben einiges aufgelesen: Plastiktüten, Eisstiele, Kippen, die eine oder andere Flasche, nichts von besonderem Interesse eigentlich.«

      »Wir müssten mit anderen Pferdebesitzern in der Nähe sprechen und fragen, ob denen etwas aufgefallen ist«, schlug Karin vor.

      »Nicht, ehe wir wissen, wie viel Pulver wir für einen solchen Fall verschießen dürfen«, sagte Knutas. »Trotz allem geht es ja nur um ein Tier.«

      »Was heißt hier nur? Das ist eine widerliche Tierquälerei«, sagte Karin empört. »Sollen wir darauf pfeifen, nur weil kein Mensch darin verwickelt ist?«

      »Wer einem Tier so etwas antun kann, kann sicher auch für Menschen gefährlich sein«, fügte Wittberg hinzu.

      »Immerhin hat der Fernsehbericht gestern die Leute reichlich aufgerüttelt. Die Öffentlichkeit verlangt, dass wir alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um den Pferdemörder zu fangen. Das Telefon hat ununterbrochen geklingelt. Ich kann mir vorstellen, dass wir ebenso viel Zeit brauchen werden, alle erregten Gemüter zu beruhigen, wie für die eigentliche Ermittlung. Und wir müssen jedenfalls auch über die Enthauptung sprechen. Was für einem Menschen ist so etwas zuzutrauen?«

      Knutas ließ seine Blicke durch die Runde schweifen.

      »Ich finde, es sieht aus, als ob hier jemand an dem Bauern persönliche Rache nehmen will. Oder vielleicht an seiner Frau oder auch dem ältesten Sohn?« Norrby rieb sich nachdenklich sein glatt rasiertes Kinn. »Das ist eine Drohung, das ist klar. Eine bizarre Vendetta.«

      »Oder es geht um das, was nicht mehr im Gehege war, nämlich den Pferdekopf«, wandte Knutas ein. »Was will der Täter damit? Wir sollten vielleicht an diesem Ende anfangen. Er hat ja wohl kaum vor, ihn als Trophäe wie einen Elchkopf über seinen Kamin zu hängen? Es kann sein, dass eine Person, die gar nichts mit der Familie Larsson zu tun hat, jetzt Grund hat, sich zu fürchten.«

      »Das klingt ja wie der Pate«, sagte Karin. »Erinnert ihr euch an den Mann, dem ein Pferdekopf ins Bett gelegt wurde?«

      Die anderen am Tisch grinsten unangenehm berührt.

      »Ja, es gibt doch einige Parallelen zwischen Gotland und Sizilien«, fügte Knutas hinzu und verzog den Mund. »Schafe haben wir genug. Und Schafsköpfe.«

      FREITAG 2. JULI

      Die Propellermaschine landete kurz nach drei Uhr nachmittags auf dem Inlandsflughafen Bromma bei Stockholm. Der Mann mit der dunkelblauen Sporttasche erhob sich, sowie das Flugzeug zum Stillstand gekommen war. Er trug eine getönte Brille und hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Glücklicherweise hatte er allein in seiner Reihe gesessen, und so hatte niemand den Versuch machen können, ihn ins Gespräch zu ziehen. Die Flugbegleiterin hatte seine Ablehnung offenbar gespürt, sie hatte nur einmal diskret Kaffee angeboten und ihn danach in Ruhe gelassen. Als das Taxi sich der Innenstadt näherte, stieß er einen tiefen, erwartungsvollen Seufzer aus. Er freute sich auf das Treffen.

      Er bat den Taxifahrer, einige Blocks von seinem Ziel entfernt zu halten. Er wollte keine Spuren hinterlassen. Stockholm zitterte in der Hochsommerhitze, und die Straßencafés, wo die Menschen einen Caffè latte oder ein Glas Wein genossen, waren überfüllt. Das Wasser unten beim Strandväg glitzerte, Motorboote und Passagierfähren waren ununterbrochen unterwegs, um Einheimische und Touristen zu den Schären zu bringen.

      Er hatte sich in der Hauptstadt noch nie wohl gefühlt, aber an einem solchen Tag brachte sogar er ein gewisses Verständnis für alle auf, die Stockholm liebten. Die Menschen des Stadtteils, in dem er sich befand, waren gut angezogen, und er sah kaum jemanden ohne Sonnenbrille. Er lächelte belustigt – typisch Stadtbewohner. Als müssten sie sich beim geringsten Erleben von Natur schützen, mit irgendetwas ausrüsten.

      In der Stadt war er ein Fremder, einer, der nicht zur Herde gehörte. Es war schwer, zu verstehen, dass die gut gekleideten Menschen, die zielstrebig um ihn herum über die Straßen eilten, wirklich seine Landsleute waren. Hier wussten alle, wohin es ging.

      Das Tempo machte ihn nervös, alles musste schnell, schnell gehen. Als er bei einem Kiosk stehen blieb, um sich eine Dose Kautabak zu kaufen, und dabei nach Kleingeld suchte, spürte er die Ungeduld der Verkäuferin und der sich hinter ihm ansammelnden Schlange.

      Das Haus hatte eine der vornehmsten Adressen der Stadt, und die Bäume am Straßenrand lieferten einen prachtvollen Rahmen. Er hatte sich den Türcode eingeprägt, und das massive Eichenportal glitt mit einer Geschmeidigkeit auf, die ihn überraschte. Im Treppenhaus war alles still. Ein Kristallleuchter hing unter der Decke, auf dem Boden lag ein dicker roter Teppich, der sich die ganze Treppe hochzog. Die Deckenhöhe war beeindruckend. Die strenge Vornehmheit und die tiefe Stille ließen ihn unsicher werden. Er blieb stehen und starrte die Namen auf der eleganten Tafel an der Wand an: von Rosen, Gyllenstierna, Bauerbusch.

      Plötzlich kam er sich vor wie ein verschüchterter Junge. Ein Gefühl von Unterlegenheit und Minderwertigkeit überkam ihn, das er aus seiner Jugend kannte. Er gehörte hier nicht hin, er war eine Katze unter Hermelinen, er taugte nichts, er war nicht fein genug, um sich in diesem mit Marmor verkleideten Treppenhaus unter den vornehmen Menschen aufzuhalten, die hinter den dunklen Türen hausten. Eine Weile stand er da und rang mit sich. Er konnte jetzt nicht wieder auf die Straße hinausgehen, wo er so weit gekommen war. Er musste sich zusammenreißen, die Zähne zusammenbeißen. Es wäre nicht das erste Mal. Er setzte sich auf die unterste Treppenstufe, stützte den Kopf in die Hände und kniff die Augen zu. Konzentrierte sich und hatte zugleich Angst, jemand könne das Haus betreten. Schließlich konnte er wieder aufstehen.

      Er beschloss, die vier Treppen zu Fuß hochzusteigen, obwohl es einen Fahrstuhl gab. Fahrstühle hatte er noch nie ertragen können. Vor der Tür blieb er stehen, um Atem zu holen. Sein Blick haftete an dem blanken Messingschild mit den verschnörkelten Buchstaben. Wieder wurde er unsicher. Natürlich hatten sie sich auch schon früher getroffen, aber nicht hier.


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