Christuslegenden. Selma Lagerlöf

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Christuslegenden - Selma Lagerlöf


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      Christuslegenden

       Deutsche Neuübersetzung

      SELMA LAGERLÖF

      

      

      

       Christuslegenden, S. Lagerlöf

       Jazzybee Verlag Jürgen Beck

       86450 Altenmünster, Loschberg 9

       Deutschland

      

       ISBN: 9783849659196

      

       www.jazzybee-verlag.de

       [email protected]

      

      

      Inhalt:

       DIE HEILIGE NACHT.. 1

       DIE VISION DES KAISERS. 6

       DER BRUNNEN DER WEISEN.. 11

       BETHLEHEMS KINDER.. 18

       DIE FLUCHT NACH ÄGYPTEN.. 34

       IN NAZARETH.. 39

       IM TEMPEL.. 43

       DAS HALSTUCH DER HEILIGEN VERONIKA.. 54

       DAS ROTKEHLCHEN... 90

       UNSER HERR UND DER HEILIGE PETRUS. 95

       DIE HEILIGE FLAMME.. 103

      DIE HEILIGE NACHT

      Als ich fünf Jahre alt war, überkam mich eine große Trauer! Ich kann kaum sagen, ob ich seitdem jemals eine größere empfunden habe.

      Das war, als meine Großmutter starb. Bis zu diesem Tag saß sie immer auf dem Ecksofa in ihrem Zimmer und erzählte Geschichten.

      Ich erinnere mich, dass Großmutter von morgens bis abends Geschichte für Geschichte erzählte, und dass wir Kinder daneben saßen, ganz still, und ihr zuhörten. Es war ein herrliches Leben! Keine anderen Kinder waren so glücklich wie wir. Es ist nicht viel, was mir von meiner Großmutter in Erinnerung blieb. Ich weiß aber, dass sie sehr schöne, schneeweiße Haare hatte und gebeugt ging, und dass sie immer dasaß und Strümpfe strickte.

      Und ich erinnere mich sogar daran, dass sie jedes Mal, wenn sie eine Geschichte beendet hatte, ihre Hand auf meinen Kopf legte und sagte: "All das ist so wahr, wie dass ich dich sehe und du mich siehst."

      Ich erinnere mich auch daran, dass sie Lieder singen konnte, aber das tat sie nicht jeden Tag. Eines der Lieder handelte von einem Ritter und einem Meertroll und hatte diesen Refrain: "Es bläst kalt, kalt über dem Meer."

      Dann fällt mir auch ein kleines Gebet ein, das sie mich gelehrt hat, und ein Vers aus einem Kirchenlied.

      An all die Geschichten, die sie mir erzählt hat, kann ich mich nur schwach und unvollständig erinnern. Nur an eine erinnere ich mich so gut, dass ich sie wiederholen kann. Es ist eine kleine Geschichte über die Geburt Jesu.

      Nun, das ist fast alles, was ich mir über meine Großmutter ins Gedächtnis bringen kann, außer dem natürlich, was ich noch am besten weiß: die große Einsamkeit, als sie weg war.

      Ich erinnere mich an den Morgen, als das Ecksofa leer blieb und es unmöglich war zu verstehen, wie die Tage jemals enden sollten. Daran entsinne ich mich gut. Das werde ich nie vergessen!

      Und natürlich, dass wir Kinder die Hand der Toten küssen mussten, und dass wir Angst hatten, dieses zu tun. Aber dann sagte uns jemand, dass es das letzte Mal sein würde, dass wir Großmutter für all die Freuden danken könnten, die sie uns bereitet hatte.

      Und dann weiß ich noch, wie die Geschichten und Lieder vom Gehöft weggefahren wurden, eingeschlossen in einem langen, schwarzen Sarg, und dass sie nie wieder zurückkamen.

      Etwas war aus unserem Leben verschwunden. Es schien, als ob die Tür zu einer schönen, verzauberten Welt – die wir zuvor nach Belieben betreten und verlassen konnten – nun geschlossen war. Und es gab niemanden mehr, der wusste, wie man diese Tür öffnet.

      Aber ich erinnere mich auch daran, dass wir Kinder nach und nach gelernt haben, mit Puppen und Spielzeug zu spielen und wie andere Kinder zu leben. Und dann kam es mir vor, als ob wir unsere Großmutter nicht mehr vermissen oder uns an sie erinnern würden.

      Aber auch heute noch, nach vierzig Jahren, da ich hier sitze und die Legenden über Christus sammle, die ich dort im Orient gehört habe, erwacht in mir diese kleine Geschichte von Jesu Geburt, die meine Großmutter zu erzählen pflegte, und ich fühle mich fast schon gezwungen, sie noch einmal zu erzählen und ebenfalls in meine Sammlung aufzunehmen.

      Es war ein Weihnachtstag und alle Leute waren in die Kirche gefahren, außer Großmutter und mir. Ich glaube, wir waren ganz allein im Haus. Wir durften nicht mitgehen, weil die eine zu alt und die andere zu jung war. Und wir waren beide traurig, weil man uns nicht zur Frühmesse gebracht hatte, um den Gesang zu hören und die Weihnachtskerzen zu sehen.

      Aber als wir in unserer Einsamkeit zusammensaßen, begann Großmutter, eine Geschichte zu erzählen.

      "Es war einmal ein Mann", sagte sie, "der in die dunkle Nacht hinausging, um sich glühende Kohlen zu leihen, mit denen er ein Feuer entfachen konnte. Er ging von Hütte zu Hütte und klopfte. 'Liebe Freunde, helft mir!", sagte er. "Meine Frau hat gerade ein Kind zur Welt gebracht, und ich muss ein Feuer machen, um ihr und dem Kleinen Wärme zu spenden.'

      "Aber es war schon sehr spät, und alle Leute schliefen. Niemand antwortete.

      "Der Mann ging immer weiter. Schließlich sah er weit entfernt das Leuchten eines Feuers. Da ging er in diese Richtung und sah, dass das Feuer im Freien brannte. Viele Schafe schliefen um das Feuer herum, und ein alter Hirte saß daneben und wachte über die Herde.

      "Als der Mann, der sich Feuer leihen wollte, zu den Schafen kam, sah er, dass drei große Hunde zu Füßen des Hirten schliefen. Alle drei erwachten, als sich der Mann näherte, und öffneten ihre großen Kiefer, als wollten sie bellen; aber es war kein Geräusch zu hören. Der Mann bemerkte, dass sich die Haare auf ihren Rücken aufstellten und die scharfen, weißen Zähne im Feuerschein glänzten. Sie stürzten sich auf ihn. Er spürte, dass einer von ihnen an seinem Bein zerrte, einer seine Hand biss und ein anderen an seiner Kehle hing. Aber ihre Kiefer und Zähne gehorchten ihnen nicht, und der Mann erlitt nicht die geringste Verletzung.

      "Dann wollte der Mann noch weiter gehen, um endlich das zu bekommen, was er benötigte. Aber die Schafe lagen Rücken an Rücken und so nah beieinander, dass er nicht an ihnen vorbeikam. Da stieg der Mann auf ihre Rücken und ging über sie hinweg zum Feuer. Und keins der Tiere erwachte oder bewegte sich."

      Bis dahin durfte Großmutter ununterbrochen erzählen. Aber an diesem Punkt konnte ich nicht anders, als sie zu unterbrechen. "Warum ist das nicht passiert, Oma?", fragte ich.

      "Das


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