Das Buch von Monelle. Marcel Schwob

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Das Buch von Monelle - Marcel Schwob


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die Formen.

      Aber man muß die Formen zerstören.

      Und Monelle sagte weiter: Ich will dir von der Formwerdung sprechen.

      Das Verlangen selbst nach dem Neuen ist nichts sonst als die Begierde der Seele, die sich zu formen strebt.

      Und die Seelen werfen die alten Formen von sich, wie die Schlange ihre alte Haut von sich wirft. Und die geduldigen Sammler alter Schlangenhäute betrüben die jungen Schlangen, denn jene haben eine magische Gewalt über sie.

      Denn der, der die alten Schlangenhäute besitzt, verhindert die jungen Schlangen, daß sie sich umformen.

      Deshalb häuten die Schlangen ihren Leib in dem grünen Rinnsal eines tiefen Dickichts; und einmal jedes Jahr kommen die Jungen zusammen, um die alten Häute zu verbrennen.

      Gleiche so den Jahreszeiten, die zerstören und bilden. Baue selbst dein Haus und verbrenne es selbst. Wirf nicht Schutt hinter dich; denn jeder soll sich seines eigenen Schuttes bedienen. Baue nicht in der vergangenen Nacht. Und laß, was du gebaut hast, gehen und treiben.

      Betrachte deine neuen Gebäude mit der geringsten Begeisterung deiner Seele.

      Für jedes neue Begehren mache dir neue Götter. Und Monelle sagte weiter: Ich will dir von Göttern sprechen.

      Laß die alten Götter sterben; bleibe nicht wie ein Klageweib an ihren Gräbern sitzen;

      Denn die alten Götter heben sich weg aus ihren Gräbern;

      Und beschütze die jungen Götter nicht, indem du sie in Bänder wickelst;

      Weil jeder Gott sich weghebt von dir, kaum daß er erschaffen ist;

      Weil alle Schöpfung vergeht, kaum daß sie erschaffen ist;

      Weil der alte Gott sein Dasein dem jungen Gott opfert, damit er von ihm zerbrochen werde;

      Weil jeder Gott Gott des Augenblickes sein soll.

      Und Monelle sagte weiter: Ich will dir von den Augenblicken sprechen.

      Betrachte alles von der Seite des Augenblickes.

      Laß dein Ich mit dem Zufall des Augenblickes gehen.

      Denke im Augenblick. Alles Denken, das dauert, ist Widerspruch.

      Liebe den Augenblick. Alle Liebe, die dauert, ist Haß.

      Sei ehrlich mit dem Augenblick. Alle Ehrlichkeit, die dauert, ist Lüge.

      Sei gerecht für den Augenblick. Alle Gerechtigkeit, die dauert, ist Unrecht.

      Handle für den Augenblick. Alles Tun, das dauert, ist ein verstorbenes Reich.

      Sei glücklich mit dem Augenblick. Alles Glück, das dauert, ist Unglück.

      Habe Achtung vor allen Augenblicken, und stifte keine Verhältnisse zwischen den Dingen.

      Verspäte nicht den Augenblick: du ließest ein Sterben zurück.

      Sieh: jeder Augenblick ist eine Wiege und ein Sarg: auf daß alles Leben und alles Sterben dir fremd und neu erscheine.

      Und Monelle sagte weiter: Ich will dir vom Leben und vom Tode sprechen.

      Die Augenblicke gleichen Stäben, halb weiß und halb schwarz.

      Richte dein Leben nicht ein auf dem mit den weißen Hälften gemachten Plane. Denn du würdest hierauf den mit den schwarzen Hälften gezeichneten Plan finden.

      Es soll jede Schwärze durchkreuzt sein von der Erwartung der künftigen Weiße.

      Sag nicht: ich lebe jetzt, ich sterbe morgen. Teile nicht die Wirklichkeit zwischen: das Leben und den Tod. Sprich: jetzt lebe und sterbe ich.

      Erschöpfe in jedem Augenblick die bejahende und verneinende Ganzheit der Dinge.

      Die Herbstrose dauert eine Zeit; jeden Morgen öffnet sie sich; jeden Abend schließt sie sich.

      Gleiche den Rosen: öffne deine Blätter dem Zerpflücken der Wollüste, dem Zerstampfen der Schmerzen.

      Daß jede deiner Ekstasen in dir sterben solle, jede Wollust zu sterben verlange.

      Daß jeder Schmerz in dir das Niederlassen eines Insektes sei, das wieder auffliegen will. Schließe dich nicht über dem nagenden Insekt. Werde nicht verliebt in diese goldenen Glanzkäfer.

      Daß alle Einsicht leuchte und erlösche in dir auf die Dauer eines Blitzes.

      Daß dein Glück geteilt sei in Wetterleuchten. So wird dein Teil Freude gleich sein dem der andern.

      Habe die atomische Betrachtung des Universums.

      Widerstehe nicht der Natur. Stelle nicht gegen die Dinge die Füße deiner Seele. Daß deine Seele nicht ihr Gesicht wegwende wie das schlechte Kind.

      Leb in Frieden mit dem roten Licht des Morgens und dem grauen Schimmer des Abends. Sei die Morgenröte, gemengt mit der Dämmerung.

      Menge den Tod mit dem Leben und teile beides in Augenblicke.

      Erwarte nicht den Tod: er ist in dir. Sei sein Kamerad und drück ihn an dich; er ist wie du selbst.

      Stirb an deinem Tod; beneide nicht die alten Tode. Ändre die Arten des Todes mit den Arten des Lebens.

      Halte jede unsichere Sache für lebend, jede sichere Sache für tot.

      Und Monelle sagte weiter: Ich will dir von toten Sachen sprechen:

      Verbrenne sorgfältig die Toten und streu ihre Asche in die vier Winde des Himmels. Verbrenne sorgfältig die vergangenen Taten und zerstäube die Asche; denn der Phönix, der daraus entstehen würde, wäre der gleiche.

      Spiele nicht mit den Toten und streichle nicht ihr Antlitz. Lache nicht über sie und weine nicht über sie: vergiß sie.

      Kümmere dich nicht um vergangene Dinge. Gib dich nicht damit ab, schöne Särge für die vergangenen Augenblicke zu machen: denke daran, die Augenblicke zu töten, die kommen.

      Habe Mißtrauen gegen alle Leichname.

      Umarme die Toten nicht: denn sie ersticken, die da leben.

      Achte die Toten so, wie man die Bausteine achten muß.

      Beschmutze deine Hände nicht die gebrauchten Wege entlang. Reinige deine Finger in neuen Wässern.

      Atme den Atem deines Mundes und sauge nicht toten Atem ein.

      Betrachte die vergangenen Leben nicht mehr als dein vergangenes Leben. Sammle nicht leere Hüllen.

      Trag keinen Friedhof in dir, die Toten geben die Pest.

      Und Monelle sagte weiter: Ich will dir von deinen Handlungen sprechen:

      Daß jede dir übergebene tönerne Schale sich erschöpfe in deinen Händen. Zerbrich die Schale ganz, und du wirst getrunken haben. Blase aus die Lampe des Lebens, die der Läufer dir hinhält. Denn jede alte Lampe schwelt.

      Vermache nichts dir selber, nicht Lust, nicht Schmerz.

      Sei nicht Sklave irgendeines Kleides, Körpers oder Seele.

      Schlage niemals mit derselben Fläche der Hand. Bespiegle dich nicht im Tode; laß dein Bild vom laufenden Wasser dahintragen.

      Fliehe die Ruinen und weine nicht zwischen ihnen.

      Wenn du des Abends deine Kleider von dir legst, so entkleide dich auch deiner Seele des Tages; mache dich nackt für alle Augenblicke.

      Jede Genugtuung wird dir tödlich scheinen. Peitsche sie im voraus.

      Verdaue nicht die vergangenen Tage: nähre dich von künftigen Dingen.

      Bekenne nicht die vergangenen Dinge, denn sie sind tot; bekenne vor dir die künftigen Dinge.

      Steige nicht ab, Blumen längs des Weges zu pflücken. Begnüge dich mit dem Anblick. Aber laß ihn und schau nicht zurück.

      Schau


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