Einführung in die Systemtheorie. Niklas Luhmann

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Einführung in die Systemtheorie - Niklas  Luhmann


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berüchtigten Kreuztabellen vor. Parsons stellt sich vor, dass es vier Komponenten gibt, die zusammenwirken müssen, damit eine Handlung entsteht. Er konstruiert, das ist seine Theorietechnik, diese vier Komponenten durch Kreuzklassifikation, das heißt durch eine Gegenüberstellung von zwei verschiedenen Variablen. Die eine Variablenreihe, das ist in der schematischen Darstellung die Horizontale, unterscheidet »instrumental« und »consummatory«. »Instrumental« bezeichnet die Mittel des Handelns. »Consummatory« bezeichnet den befriedigenden Zustand, der erreicht werden soll, also das Erreichen des Zweckes. Damit ist nicht die bloße Vorstellung eines Zweckes gemeint, sondern konsumatorisch ist das, was eintritt, wenn der Zweck erreicht ist, wenn eine befriedigende Lage, fast sollte man sagen: eine Perfektion des Systems zustande gekommen ist. Die Achse »instrumental«/»consummatory« präsentiert also die Handlungskomponente des Satzes »Action is system«. Die andere, die vertikale Variablenreihe, unterscheidet »external« und »internal«, also die Außenbeziehungen des Systems und die internen strukturellen Gegebenheiten. Das ist die systemtheoretische Seite des Paradigmas »Action is system«.

      Wenn man mit diesen Randvariablen eine Kreuztabelle zeichnet, kommen vier Boxen zustande, die von Parsons Namen bekommen. Für diese Benennung gibt es keine deduktive Anweisung, keine klaren methodologischen Richtlinien. Parsons selbst hat in der Anweisung geschwankt, gibt aber auf Anfrage offen zu, dass es nicht um eine logische Deduktion, um ein deduktives Verfahren gehen kann, sondern eher um plausible Benennungen dessen, was letztlich immer verstanden werden muss, wenn man sieht, welche Randvariablen kombiniert werden (Abb. 1).

      Bei der Kombination von instrumenteller und externaler Orientierung geht es um das, was Parsons Anpassung nennt, »adaptation«. Das System instrumentalisiert, wenn man so sagen darf, die Außenbeziehungen und versucht, einen Zustand zu erreichen, der als Mittel geeignet ist, befriedigende Verhältnisse zwischen System und Umwelt herzustellen. Im Falle des sozialen Systems ist das für Parsons hauptsächlich die Funktion der Wirtschaft.

      Der nächste Fall ist die Kombination von Außenbeziehungen und konsumatorischer Werteverwirklichung. Hier geht es um das, was Parsons »goal attainment« nennt. Es ist wiederum wichtig zu sehen, dass es um einen konsumatorischen Zustand geht, also um das Erreichen der Ziele, nicht nur um die Projektion künftiger Zustände. Während instrumentelle Orientierungen die Zukunft präsentieren, sind konsumatorische Orientierungen gerade gegenwartsbezogen. Handeln muss, anders gesagt, befriedigende Zustände erreichen, oder es unterbleibt. Im Bereich sozialer Systeme wird darin die Funktion von Politik gesehen. Die Politik muss durch ihre Fähigkeit, »to get things done«, wie Parsons sagt, befriedigende Zustände erreichen, oder sie versagt als Politik.

      Die letzte kombinatorische Möglichkeit schließlich betrifft »instrumental« versus »internal«. Hier setzt Parsons den merkwürdigen Ausdruck »latent pattern maintenance« ein. Dahinter steht folgende Überlegung: Strukturen müssen dauerhaft verfügbar sein, aber sie werden nicht ständig aktualisiert. Man geht nur hin und wieder zur Bank, um Geld abzuholen. Man liebt nicht unaufhörlich. Man geht nicht immer zur Kirche. Und die Frage ist dann, was inzwischen geschieht oder wie garantiert werden kann, dass Strukturen verfügbar sind und aktiviert, aktualisiert werden können, auch wenn sie in Zwischenphasen latent bleiben. Deshalb das Problem der »latent pattern maintenance«, der Stabilisierung von Strukturen auch im Falle ihrer Nichtbenutzung. Für Parsons charakterisiert dies die Kombination von »internal«, denn es handelt sich um systemeigene Strukturen, und »instrumental«, denn es muss dafür gesorgt werden, dass auch für die Zukunft solche Strukturen verfügbar sind.

      Das Ergebnis dieser Überlegung einer Kreuztabelle ist das berühmte »AGIL«-Schema, das Vier-Funktionen-Schema, bestehend aus »adaption« (A), »goal attainment« (G), »integration« (I) und »latent pattern maintenance« (L). Parsons insistiert ganz obstinat, dass es nur diese vier Funktionen geben kann und dass dieses Schema eine Gesamtrepräsentation der Handlungsmöglichkeiten des Handlungssystems erlaubt und dass alles Weitere eine Artikulation dieses Vierersatzes ist. In Spätphasen seines Werkes meint er sogar, dass die Kreuztabelle die »human condition«, die menschliche Situierung in der Welt überhaupt, charakterisieren könne.

      Dieses AGIL-Schema ist mithin der parsonssche Kommentar zu der Devise »Action is system« oder die parsonssche Implementation eines Theorieprogramms, das unter diesem Namen vorgestellt werden könnte. Die Theorietechnik ist mithin eine Technik der Kreuztabellierung, eine Technik, die bewusst benutzt wird, um die Geschlossenheit eines Kombinationsraumes zu charakterisieren. Das Schema dieser Technik stellt sicher, dass man nichts übersieht, sondern immer fragen muss, was mit der vierten Box geschieht oder was in der zweiten Box der Fall ist.

      Diese Vollständigkeitsgarantie scheint für Parsons in gewisser Weise den Universalitätsanspruch seiner Theorie zu dokumentieren. Wenn alles berücksichtigt worden ist, was für das Zustandekommen von Handlung nötig ist, dann ist eben damit Vollständigkeit und eben damit Universalität der Theorie garantiert. Dann muss alles und kann alles, was über Handlung zu sagen ist, in diese Theorie eingebaut werden. Darin liegt dann in der Tat die Mentalität von Parsons: zu sehen, wie er Anregungen, die er von außen bekommt, in seinem Schema der vier Boxen, der vier Kästchen, unterbringen kann, wie er sie entweder auf die eine oder die andere Funktion verteilen kann.

      Wenn wir diese Eigentümlichkeit beachten, können wir sehen, dass Parsons einer der großen Theoriearchitekten ist, der ein eigentümliches Konstruktionsmuster ausprobiert und dann sichtbar machen kann, was man mit diesem Theoriemuster erreicht, wie das Design einer bestimmten Theorie sich auswirkt und wie es mit anderen Theoriemustern, etwa mit einer dialektischen Theorie, kontrastiert. Insofern verdankt man Parsons die Sichtbarkeit einer bestimmten Theoriearchitektur. Und Sichtbarkeit heißt natürlich immer auch, dass man die Möglichkeit erkennt, sie zu kritisieren und zu beurteilen, wie weit man damit kommt und was man damit nicht leisten kann. Es geht, könnte man auch sagen, um einen logischen Raum von Möglichkeiten. Und die Frage ist dann, was uns garantiert, dass alle diese Möglichkeiten auch tatsächlich benutzt werden, dass alle diese Plätze, die das Schema bereitstellt, auch in der Realität besetzt sind. Diese Frage wird noch dringlicher, wenn man sieht, wie das Schema detailliert wird und wie aus vier Boxen sechzehn Boxen und so weiter werden, je nachdem, wie man das System unterteilt. Für Parsons stellt sich diese Frage aber nicht, weil er davon ausgeht, dass immer dann, wenn Handlung zustande kommt, alle diese Boxen besetzt sein müssen. Das eben ist analytischer Realismus, das heißt Realismus in dem Sinne, dass die Theorie zeigt, dass Handlung anders nicht möglich ist.

       Zweite Vorlesung

      Wie geht nun Parsons weiter vor? Was fängt er mit diesen Vorgaben an? Zunächst einmal bietet das Schema die Möglichkeit der Schwerpunktsetzung. Das hatte ich schon angedeutet. Wenn eine Handlung oder ein Handlungskomplex sich auf eine dieser Funktionen konzentriert, spricht Parsons von »functional primacy«, vom Primat einer Funktion. Dann


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