Ungeduld des Herzens. Stefan Zweig

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Ungeduld des Herzens - Stefan Zweig


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sich, als junger Mensch eine blinde Frau, sieben Jahre älter als er, nicht schön und ohne Geld, eine hysterische Person, die jetzt auf ihm lastet und ihm gar nicht dankbar ist . . . Nicht wahr, das zeigt doch, was für ein Mensch das ist, und Sie verstehen, wie glücklich ich bin, so jemanden gefunden zu haben . . . einen Menschen, der sich sorgt um mein Kind wie ich selber. Ich hab ihn auch eingesetzt in meinem Testament . . . wenn einer, wird er ihr helfen, Gott geb es! Gott gebe es!«

      Der alte Mann hielt beide Hände zusammengepreßt wie im Gebet. Dann rückte er mit einem Riß näher heran.

      »Und nun hören Sie, Herr Leutnant. Ich wollte Sie doch um etwas bitten. Ich sagte Ihnen schon, was für ein anteilnehmender Mensch dieser Doktor Condor ist . . . Aber sehen Sie, verstehen Sie . . . gerade, daß er so ein guter Mensch ist, das beunruhigt mich auch . . . Ich fürchte immer, verstehen Sie . . . ich fürchte, daß er aus Rücksicht auf mich mir nicht die Wahrheit sagt, nicht die ganze Wahrheit . . . Immer verspricht und vertröstet er, es würde bestimmt besser, ganz gesund würde das Kind werden . . . aber immer, wenn ich ihn genau frage, wann denn, und wie lange wird es noch dauern, dann weicht er aus und sagt bloß: Geduld, Geduld! Aber man muß doch eine Gewißheit haben . . . ich bin ein alter, ein kranker Mann, ich muß doch wissen, ob ich’s noch erlebe und ob sie überhaupt gesund wird, ganz gesund . . . nein, glauben Sie mir, Herr Leutnant, ich kann nicht mehr so leben . . . ich muß wissen, ob es sicher ist, daß sie geheilt wird und wann . . . ich muß es wissen, ich ertrag diese Unsicherheit nicht länger.«

      Er stand auf, überwältigt von seiner Erregung, und trat mit drei hastig-heftigen Schritten ans Fenster. Ich kannte das nun schon an ihm. Immer wenn ihm die Tränen in die Augen stiegen, rettete er sich in dieses brüske Wegwenden. Auch er wollte kein Mitleid – weil er ihr doch ähnlich war! Ungeschickt tastete zugleich seine rechte Hand in die rückwärtige Rocktasche des tristen schwarzen Jacketts, knüllte ein Tuch heraus; und vergeblich, daß er dann so tat, als hätte er sich nur den Schweiß von der Stirne gewischt: ich sah zu deutlich die geröteten Lider. Einmal, zweimal ging er im Zimmer auf und nieder; es stöhnte und stöhnte, ich wußte nicht, waren es die abgemorschten Balken unter seinem Schritt oder war er es selbst, der morsche, alte Mann. Dann holte er wie ein Schwimmer vor dem Abstoß wieder Atem.

      »Verzeihen Sie . . . ich wollte nicht davon sprechen . . . was wollte ich? Ja . . . morgen kommt Doktor Condor wieder aus Wien, er hat sich telephonisch angesagt . . . er kommt immer regelmäßig jede zwei oder drei Wochen, um nachzuschauen . . . Wenn’s nach mir ginge, ließe ich ihn überhaupt nicht weg . . . er könnte doch hier wohnen im Haus, jeden Preis würde ich ihm zahlen. Aber er sagt, er braucht eine gewisse Distanz in der Beobachtung, um . . . eine gewisse Distanz, um . . . ja . . . was wollte ich sagen? . . . Ich weiß schon . . . also morgen kommt er und wird nachmittags Edith untersuchen; er bleibt dann jedesmal zum Abendessen und fährt nachts mit dem Schnellzug zurück. Und nun hab ich mir gedacht, wenn jemand ihn so ganz zufällig fragte, jemand ganz Fremder, ein Unbeteiligter, jemand, den er gar nicht kennt . . . ihn fragte so . . . so ganz zufällig, wie man sich eben nach einem Bekannten erkundigt . . . ihn fragte, was das eigentlich auf sich hat mit der Lähmung und ob er meint, daß das Kind überhaupt noch je gesund wird, ganz gesund . . . hören Sie: ganz gesund, und wie lang er glaubt, daß es dauert . . . ich habe das Gefühl, Sie wird er nicht anlügen . . . Sie braucht er doch nicht zu schonen, Ihnen kann er doch ruhig die Wahrheit sagen . . . bei mir hält ihn vielleicht was zurück, ich bin der Vater, bin ein alter, kranker Mann, und er weiß, wie es mir das Herz zerreißt . . . Aber natürlich dürfen Sie ihn nicht merken lassen, daß Sie mit mir gesprochen haben . . . ganz zufällig müssen Sie darauf zu sprechen kommen, so wie man eben bei einem Arzt sich erkundigt . . . Wollen Sie . . . würden Sie das für mich tun?«

      Wie sollte ich mich weigern? Vor mir saß mit schwimmenden Augen der alte Mann und wartete auf mein Ja wie auf die Posaune des Jüngsten Gerichts. Selbstverständlich versprach ich ihm alles. Mit einem Ruck stießen mir seine beiden Hände entgegen.

      »Ich habe es gleich gewußt . . . schon damals, als Sie wiederkamen und so gut waren mit dem Kind, nach . . . nun, Sie wissen ja . . . da habe ich gleich gewußt, das ist ein Mensch, der mich versteht . . . der und nur der wird ihn für mich fragen und . . . ich versprech’s Ihnen, ich schwör’s Ihnen, niemand wird vorher und nachher davon erfahren, nicht Edith, nicht Condor, nicht Ilona . . . nur ich werde wissen, was für einen Dienst, was für einen ungeheuren Dienst Sie mir erwiesen haben.«

      »Aber wieso denn, Herr von Kekesfalva . . . das ist doch wirklich nur eine Kleinigkeit.«

      »Nein, das ist keine Kleinigkeit . . . das ist ein sehr großer . . . ein ganz großer Dienst, den Sie mir erweisen . . . ein ganz großer Dienst, und wenn . . .« – er duckte sich ein wenig und auch die Stimme kroch gleichsam scheu zurück – ». . . wenn ich meinerseits einmal etwas . . . etwas für Sie tun könnte . . . vielleicht haben Sie . . .«

      Ich mußte eine erschreckte Bewegung gemacht haben (wollte er mich gleich bezahlen?), denn er fügte in jener stammeligen Art, die bei ihm jedesmal starke Erregung begleitete, hastig hinzu:

      »Nein, mißverstehen Sie mich nicht . . . ich meine doch . . . ich meine nichts Materielles . . . ich meine nur . . . ich meine . . . ich habe gute Verbindungen . . . ich kenne eine Menge Leute in den Ministerien, auch im Kriegsministerium . . . und es ist doch immer gut, wenn man heutzutage jemanden hat, auf den man zählen kann . . . nur so mein ich’s natürlich . . . Es kann für jeden ein Augenblick kommen . . . nur das . . . nur das wollte ich sagen.«

      Die scheue Verlegenheit, mit der er mir seine Hände anbot, beschämte mich. Die ganz Zeit über hatte er mich nicht ein einziges Mal angeblickt, sondern immer hinab wie zu seinen eigenen Händen gesprochen. Jetzt erst sah er unruhig auf, tastete nach der abgelegten Brille und nestelte sie mit zitternden Fingern an.

      »Vielleicht wär’s besser«, murmelte er dann, »wir gehen jetzt hinüber, sonst . . . sonst fällt es Edith auf, daß wir so lange fortbleiben. Man muß leider furchtbar behutsam mit ihr sein; seit sie krank ist, hat sie . . . hat sie irgendwie schärfere Sinne bekommen, die andere nicht haben; von ihrem Zimmer her weiß sie alles, was im Haus vorgeht . . . alles errät sie, eh man’s recht ausgesprochen hat . . . Da könnte sie am Ende . . . darum möchte ich vorschlagen, wir gehen hinüber, ehe sie Verdacht schöpft.«

      Wir gingen hinüber. Im Salon wartete Edith bereits in ihrem Rollstuhl. Als wir eintraten, hob sie ihren grauen, scharfen Blick, als wollte sie unseren etwas verlegen gesenkten Stirnen ablesen, was wir beide gesprochen. Und da wir keinerlei Andeutung machten, blieb sie den ganzen Abend auffällig einsilbig und in sich gekehrt.

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