Der Nachsommer. Adalbert Stifter

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Der Nachsommer - Adalbert Stifter


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und zu verbessern, welche Beschäftigung ich auf meinen Wanderungen häufig abends vornehme.

      Er verabschiedete sich nach diesen Worten, und ich ging zur Tür hinein.

      Ich übersah mit einem Blicke das Zimmer. Es war ein gewöhnliches Fremdenzimmer, wie man es in jedem größeren Hause auf dem Lande hat, wo man zuweilen in die Lage kömmt, Herberge erteilen zu müssen. Die Geräte waren weder neu noch nach der damals herrschenden Art gemacht, sondern aus verschiedenen Zeiten, aber nicht unangenehm ins Auge fallend. Die Überzüge der Sessel und des Ruhebettes waren gepreßtes Leder, was man damals schon selten mehr fand. Eine gesellige Zugabe, die man nicht häufig in solchen Zimmern findet, war eine altertümliche Pendeluhr in vollem Gange. Mein Ränzlein und mein Stock lagen, wie der Mann gesagt hatte, schon in diesem Zimmer.

      Ich setzte mich nieder, nahm nach einer Weile mein Ränzlein, öffnete es und blätterte in den Papieren, die ich daraus hervorgenommen hatte, und schrieb gelegentlich in denselben.

      Da endlich die Dämmerung gekommen war, stand ich auf, ging gegen eines der beiden offenstehenden Fenster, lehnte mich hinaus und sah herum. Es war wieder Getreide, das ich vor mir auf dem sachte hinabgehenden Hügel erblickte. Am Morgen dieses Tages, da ich von meiner Nachtherberge aufgebrochen war, hatte ich auch Getreide rings um mich gesehen; aber dasselbe war in einem lustigen Wogen begriffen gewesen, während dieses reglos und unbewegt war wie ein Heer von lockeren Lanzen. Vor dem Hause war der Sandplatz, den ich bei meiner Ankunft schon gesehen und betreten hatte. Meine Fenster gingen also auf der Seite der Rosenwand heraus. Von dem Garten tönte noch schwaches Vogelgezwitscher herüber, und der Duft von den Tausenden der Rosen stieg wie eine Opfergabe zu mir empor.

      An dem Himmel, dessen Dämmerung heute viel früher gekommen war, hatte sich eine Veränderung eingefunden. Die Wolkendecke war geteilt, die Wolken standen in einzelnen Stücken gleichsam wie Berge an dem Gewölbe herum, und einzelne reine Teile blickten zwischen ihnen heraus. Die Blitze aber waren stärker und häufiger, die Donner klangen heller und kürzer.

      Als ich eine Weile bei dem Fenster hinausgesehen hatte, hörte ich ein Pochen an meiner Tür, eine Magd trat herein und meldete, daß man mich zum Abendessen erwarte. Ich legte meine Papiere auf das Tischchen, das neben meinem Bette stand, legte den Humboldt darauf und folgte der Magd, nachdem ich die Tür hinter mir gesperrt hatte. Sie führte mich in das Speisezimmer.

      Bei dem Eintritte sah ich drei Personen; den alten Mann, der mit mir den Spaziergang gemacht hatte, einen andern, ebenfalls ältlichen Mann, der durch nichts besonderes auffiel als durch seine Kleidung, welche einen Priester verriet, und den Pflegesohn des Hausbesitzers in seinem blaugestreiften Linnengewande.

      Der Herr des Hauses stellte mich dem Priester vor, indem er sagte: „Das ist der hochwürdige Pfarrer von Rohrberg, der ein Gewitter fürchtet und deshalb diese Nacht in unserm Hause zubringen wird“, und dann auf mich weisend, fügte er bei: „Das ist ein fremder Reisender, der auch heute unser Dach mit uns teilen will.“

      Nach diesen Worten und nach einem kurzen stummen Gebete, setzten wir uns zu dem Tische an unsere angewiesenen Plätze. Das Abendessen war sehr einfach. Es bestand aus Suppe, Braten und Wein, zu welchem wie zu dem an meinem Mittagsmahle verkleinertes Eis gestellt wurde. Dieselbe Magd, welche mir mein Mittagessen gebracht hatte, bediente uns. Ein männlicher Diener kam nicht in das Zimmer. Der Pfarrer und mein Gastfreund sprachen öfter Dinge, die die Gegend betrafen, und ich ward gelegentlich einbezogen, wenn es sich um Allgemeineres handelte. Der Knabe sprach gar nicht.

      Die Dunkelheit des Abends wurde endlich so stark, daß die Kerzen, welche früher mit der Dämmerung gekämpft hatten, nun vollkommen die Herrschaft behaupteten, und die schwarzen Fenster nur zeitweise durch die hereinleuchtenden Blitze erhellt wurden.

      Da das Essen beendet war und wir uns zur Trennung anschickten, sagte der Hauswirt; daß er den Pfarrer und mich über die nähere Treppe in unser Zimmer führen würde. Wir nahmen jeder eine Wachskerze, die uns angezündet von der Magd gereicht wurde, währenddessen sich der Knabe Gustav empfahl und durch die gewöhnliche Tür hinaus, bei der ich zuerst hereingekommen war. Wir befanden uns draußen in dem schönen Marmorgange, von dem eine gleiche Marmortreppe emporführte. Wir durften die Filzschuhe nicht anziehen, weil jetzt über den Gang und die Treppe ein Tuchstreifen lag, auf dem wir gingen. In der Mitte der Treppe, wo sie einen Absatz machte, gleichsam einen erweiterten Platz oder eine Stiegenhalle, stand eine Gestalt aus weißem Marmor auf einem Gestelle. Durch ein paar Blitze, die eben jetzt fielen und das Haupt und die Schultern der Marmorgestalt noch röter beschienen, als es unsere Kerzen konnten, ersah ich, daß der Platz und die Treppe von oben herab durch eine Glasbedeckung ihre Beleuchtung empfangen mußten.

      Als wir an das Ende der Treppe gelangt waren, wendete sich der Hauswirt mit uns durch eine Tür links, und wir befanden uns in jenem Gange, in welchem mein Zimmer lag. Es war der Gang der Gastzimmer, wie ich nun zu erkennen vermeinte. Unser Gastfreund bezeichnete eines als das des Pfarrers und führte mich zu dem meinigen.

      Als wir in dasselbe getreten waren, fragte er mich, ob ich zu meiner Bequemlichkeit noch etwas wünsche, besonders ob mir Bücher aus seinem Bücherzimmer genehm wären.

      Als ich sagte, daß ich keinen Wunsch habe und bis zum Schlafen schon Beschäftigung finden würde, antwortete er: „Ihr seid in Eurem Gemache und in Eurem Rechte. Schlummert denn recht wohl.“

      „Ich wünsche Euch auch eine gute Nacht“, erwiderte ich, „und sage Euch Dank für die Mühe, die Ihr heute mit mir gehabt habt.“

      „Es war keine Mühe“, antwortete er, „denn sonst hätte ich sie mir ja ersparen können, wenn ich Euch gar nicht zu Nacht geladen hätte.“

      „So ist es“, antwortete ich.

      „Erlaubt“, sagte er, indem er ein kleines Wachskerzchen hervorzog und an meinem Lichte anzündete.

      Nachdem er dieses Geschäft vollbracht hatte, verbeugte er sich, was ich erwiderte, und ging auf den Gang hinaus.

      Ich schloß hinter ihm die Tür, legte meinen Rock ab und lüftete mein Halstuch, weil, obgleich es schon spät war, die ruhige Nacht noch immer eine große Hitze und Schwüle in sich hegte. Ich ging einige Male in dem Zimmer hin und her, trat dann an ein Fenster, lehnte mich hinaus und betrachtete den Himmel. Soviel die Dunkelheit und die noch immer helleuchtenden Blitze erkennen ließen, war die Gestalt der Dinge dieselbe, wie sie am Abend vor dem Speisen gewesen war. Wolkentrümmer standen an dem Himmel, und wie die Sterne zeigten, waren zwischen ihnen reine Stellen. Zuzeiten fuhr ein Blitz aus ihnen über den Getreidehügel und die Wipfel der unbewegten Bäume, und der Donner rollte ihm nach.

      Als ich eine Weile die freie Luft genossen hatte, schloß ich mein Fenster, schloß auch das andere, und begab mich zur Ruhe.

      Nachdem ich noch eine Zeitlang, wie es meine Gewohnheit war, in dem Bette gelesen und mitunter sogar mit Bleifeder etwas in meine Schriften geschrieben hatte, löschte ich das Licht aus und richtete mich zum Schlafen.

      Ehe der Schlummer völlig meine Sinne umfing, hörte ich noch, wie sich draußen ein Wind erhob und die Wipfel der Bäume zu starkem Rauschen bewegte. Ich hatte aber nicht mehr genug Kraft, mich zu ermannen, sondern entschlief gleich darauf völlig.

      Ich schlief recht ruhig und fest.

      Als ich erwachte, war mein erstes, zu sehen, ob es geregnet habe. Ich sprang aus dem Bette und riß die Fenster auf. Die Sonne war bereits aufgegangen, der ganze Himmel war heiter, kein Lüftchen rührte sich, aus dem Garten tönte das Schmettern der Vögel, die Rosen dufteten, und die Erde zu meinen Füßen war vollkommen trocken. Nur der Sand war ein wenig gegen das Grün des begrenzenden Rasens gefegt worden, und ein Mann war beschäftigt, ihn wieder zu ebnen und in ein gehöriges Gleichgewicht zu bringen.

      Also hatte mein Gegner recht gehabt, und ich war begierig, zu erfahren, aus welchen Gründen er seine Gewißheit, die er so sicher gegen mich behauptet hatte, geschöpft, und wie er diese Gründe entdeckt und erforscht habe.

      Um das recht bald zu erfahren und meine Abreise nicht so lange zu verzögern, beschloß ich, mich anzukleiden und meinen Gastherrn ungesäumt aufzusuchen.

      Als


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