Der Nachsommer. Adalbert Stifter
Читать онлайн книгу.Redensarten nicht, sondern es ist wirklich so. Wenn Ihr das einmal wollt, so lebt in diesem Hause, solange es Euch zusagt, und lebt so ungebunden, als Ihr wollt, so wie auch wir so ungebunden leben werden, als wir wollen. Wenn Ihr uns die Zeit vorher etwa durch einen Boten wissen machen könntet, wäre es gut, weil wir, wenn auch nicht oft, doch manchmal abwesend sind.“
„Ich glaube, daß Ihr mich freundlich aufnehmen werdet, wenn ich wiederkomme“, antwortete ich, „weil Ihr es sagt und Euer Wesen mir so erscheint, daß Ihr nicht eine unwahre Höflichkeit aussprechen würdet. Ich begreife zwar den Grund nicht, weshalb Ihr mich einladet, aber da Ihr es tut, nehme ich es mit vieler Freude an und sage Euch, daß ich im nächsten Sommer, wenn mich auch mein gewöhnlicher Weg nicht hieher führt, freiwillig in diese Gegend und in dieses Haus kommen werde, um eine kleine Zeit dazubleiben.“
„Tut es, und Ihr werdet sehen, daß Ihr nicht unwillkommen seid“, sagte er, „wenn Ihr auch die Zeit ausdehnt.“
„Ich werde vielleicht das letztere tun“, antwortete ich, „und so lebet wohl.“
„Lebt wohl.“
Bei diesen Worten reichte er mir die Hand und drückte sie.
Ich reichte meine Hand, da er sie losgelassen hatte, auch an den Knaben Gustav, welcher sie annahm, aber nicht sprach, sondern mich bloß mit seinen Augen freundlich ansah.
Hierauf schieden wir, indem sie durch das Gitter zurückgingen, ich aber den Hut auf dem Haupte den Weg hinabwandelte, den ich vor zwei Tagen heraufgegangen war.
Ich fragte mich nun, bei wem ich denn diesen Tag und die zwei Nächte zugebracht habe. Er hat um meinen Namen nicht gefragt und hat mir den seinigen nicht genannt. Ich konnte mir auf meine Frage keine Antwort geben.
Und so ging ich denn nun weiter. Die grünen Ähren gaben jetzt in der Morgensonne feurige Strahlen, während sie bei meinem Heraufgehen im Schatten des herandrohenden Gewitters gestanden waren.
Ich sah mich noch einmal um, da ich zwischen den Feldern hinabging, und sah das weiße Haus im Sonnenscheine stehen, wie ich es schon öfter hatte stehen gesehen, ich konnte noch den Rosenschimmer unterscheiden und glaubte, noch das Singen der zahlreichen Vögel im Garten vernehmen zu können.
Hierauf wendete ich mich wieder um und ging abwärts, bis ich zu der Hecke und der Einfriedigung der Felder kam, bei der ich vorgestern von der Straße abgebogen hatte. Ich konnte mich nicht enthalten, noch einmal umzusehen. Das Haus stand jetzt nur mehr weiß da, wie ich es öfter bei meinen Wanderungen gesehen hatte.
Ich ging nun auf der Landstraße in meiner Richtung vorwärts.
Den ersten Mann, welcher mir begegnete, fragte ich, wem das weiße Haus auf dem Hügel gehöre und wie es hieße.
„Es ist der Aspermeier, dem es gehört“, antwortete der Mann, „Ihr seid ja gestern selber in dem Asperhofe gewesen und seid mit dem Aspermeier herumgegangen.“
„Aber der Besitzer jenes Hauses ist doch unmöglich ein Meier?“ fragte ich; denn mir war wohlbekannt, daß man in der Gegend jeden größeren Bauern einen Meier nannte.
„Er ist anfangs nicht der Aspermeier gewesen“, antwortete der Mann, „aber er hat von dem alten Aspermeier den Asperhof gekauft, und das Haus hat er gebaut, welches in dem Garten steht und zu dem Asperhof gehört, und jetzt ist er der Aspermeier; denn der alte ist längst gestorben.“
„Hat er denn nicht auch einen andern Namen?“ fragte ich.
„Nein, wir heißen ihn den Aspermeier“, antwortete er.
Ich sah, daß der Mann nichts weiteres von meinem Gastfreund wisse und sich nicht um denselben gekümmert habe, ich gab daher bei ihm jedes weitere Forschen auf.
Es begegneten mir noch mehrere Menschen, von denen ich dieselbe Antwort erhielt. Alle kehrten das Verhältnis um und sagten, das Haus im Garten gehöre zu dem Asperhofe. Ich beschloß daher, vorläufig jedes Forschen zu unterlassen, bis ich zu einem Menschen gekommen sein würde, von dem ich berechtigt war, eine bessere Auskunft zu erwarten.
Da mir aber der Name Aspermeier und Asperhof nicht gefiel, nannte ich das Haus, in welchem ein solcher Rosendienst getrieben wurde, in meinem Haupte vorläufig das Rosenhaus.
Es begegnete mir aber niemand, den ich noch einmal hätte fragen können.
Ich ließ, da ich so meines Weges weiter wandelte, die Dinge des letzten Tages in mir vorübergehen. Mich freute es, daß ich in dem Hause eine so große Reinlichkeit und Ordnung getroffen hatte, wie ich sie bisher nur in dem Hause meiner Eltern gesehen hatte. Ich wiederholte, was der alte Mann mir gezeigt und gesagt hatte, und es fiel mir ein, wie ich mich viel besser hätte benehmen können, wie ich auf manche Reden bessere Antworten geben und überhaupt viel bessere Dinge hätte sagen können.
In diesen Betrachtungen wurde ich unterbrochen. Als ich ungefähr eine Stunde auf dem Wege gewandert war, kam ich an die Ecke des Buchenwaldes, von dem wir vorgestern abends gesprochen hatten, der zu den Besitzungen meines Gastfreundes gehört, und in welchem ich einmal eine Gabelbuche gezeichnet hatte. Der Weg geht an dem Walde etwas steiler hinan und biegt um die Ecke desselben herum. Da ich bis zu der Biegung gelangt war, kam mir ein Wagen entgegen, welcher mit eingelegtem Radschuhe langsam die Straße herabfuhr. Er mochte darum langsamer als gewöhnlich fahren, weil sich diejenigen, welche in ihm saßen, Vorsicht zum Gesetze gemacht haben konnten. Es saßen nämlich in dem offenen und des schönen Wetters willen ganz zurückgelegten Wagen zwei Frauengestalten, eine ältere und eine jüngere. Beide hatten Schleier, welche von den Hüten über die Schultern niedergingen. Die ältere hatte den Schleier über das Angesicht gezogen, welches aber doch, da der Schleier weiß war, ein wenig gesehen werden konnte. Die jüngere hatte den Schleier zu beiden Seiten des Angesichts zurückgetan und zeigte dieses Angesicht der Luft. Ich sah sie beide an und zog endlich zu einer höflichen Begrüßung meinen Hut. Sie dankten freundlich, und der Wagen fuhr vorüber. Ich dachte mir, da der Wagen immer tiefer über den Berg hinabging, ob denn nicht eigentlich das menschliche Angesicht der schönste Gegenstand zum Zeichnen wäre.
Ich sah dem Wagen noch nach, bis er durch die Biegung des Weges unsichtbar geworden war. Dann ging ich an dem Waldrande vorwärts und aufwärts.
Nach drei Stunden kam ich auf einen Hügel, von welchem ich in die Gegend zurücksehen konnte, aus der ich gekommen war. Ich sah mit meinem Fernrohre, das ich aus dem Ränzlein genommen hatte, deutlich den weißen Punkt des Hauses, in welchem ich die letzten zwei Nächte zugebracht hatte, und hinter dem Hause sah ich die duftigen Berge. Wie war nun der Punkt so klein in der großen Welt.
Ich kam bald in den Ort, in welchem ich, da ich bisher nirgends angehalten hatte, mein Mittagsmahl einzunehmen gesonnen war, obwohl die Sonne bis zum Scheitel noch einen kleinen Bogen zurückzulegen hatte.
Ich fragte in dem Orte wieder um den Besitzer des weißen Hauses und beschrieb dasselbe und seine Lage, so gut ich konnte. Man nannte mir einen Mann, der einmal in hohen Staatsämtern gestanden war; man nannte mir aber zwei Namen, den Freiherrn von Risach und einen Herrn Morgan. Ich war nun wieder ungewiß wie vorher.
Am anderen Tage morgens kam ich in den Gebirgszug, welcher das Ziel meiner Wanderung war und in welchen ich von dem anderen Gebirgszuge durch einen Teil des flachen Landes überzusiedeln beschlossen hatte. Am Mittage kam ich in dem Gasthofe an, den ich mir zur Wohnung ausgewählt hatte. Mein Koffer war bereits da, und man sagte mir, daß man mich früher erwartet habe. Ich erzählte die Ursache meiner verspäteten Ankunft, richtete mich in dem Zimmer, das ich mir bestellt hatte, ein und begab mich an die Geschäfte, welche in diesem Gebirgsteile zu betreiben ich mir vorgesetzt hatte.
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