Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt. Хэлли Рубенхолд

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Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt - Хэлли Рубенхолд


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engelsgesichtigen jungen Fackelträger, die anbieten, den Nachtschwärmern heimzuleuchten, stecken oft mit den Räubern unter einer Decke. In diesem Teil Londons versucht man mit allen erdenklichen Mitteln zu bekommen, was man kriegen kann. Mit der Welt von Covent Garden vertraute Gentlemen behalten ihre Uhr immer im Auge und eine Hand an der Geldbörse, wenn sie sich der Dienste der dortigen Damen erfreuen.

      So überraschend es scheinen mag: Direkt im Herzen dieser Sündenmeile, eingekeilt zwischen einem Bordell und einem Schankhaus, hat der Arm des Gesetzes sein lokales Hauptquartier. Hier herrscht Richter John Fielding, bis zu dessen Tod im Jahr 1754 an der Seite seines federführenden Bruders Henry. Eine Polizei, wie wir sie kennen, gibt es nicht. Die Nachtwächter sind zu kaum etwas nütze und leicht zu bestechen. Dennoch ist Richter Fielding entschlossen, dem Verbrechen die Stirn zu bieten, und hat eine Truppe von acht Männern eingestellt – die Sondereinsatzgruppe der »Bow Street Runners« –, um Gesetzesbrechern das Handwerk zu legen. Bisher vermochten sie noch nicht viel zu ändern. Covent Garden ist ein Paradies für Schurken.

      Die ursprünglichen Bewohner hätten sich die Zukunft ihres Viertels sicher etwas anders vorgestellt. In den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts hatte der vierte Earl of Bedford den Architekten Inigo Jones damit beauftragt, eine vornehme Piazza im italienischen Stil anzulegen. Anfänglich hatte hier der höhere Adel seine Londoner Wohnungen, aber nach der Eröffnung des Theatre Royal 1663 begann es mit der ganzen Gegend bergab zu gehen. Das stets sittenlose Theater und seine Schauspielertruppen brachten den Pöbel, und der Pöbel liebte das Trinken und Huren, zumindest erzählt man sich’s so. Gleichwohl bestätigt schon ein kurzer Blick über den Platz und die umliegenden Straßen, dass auch der Adel die Ausschweifung genauso liebt wie jedermann sonst. Ohne Frage war es nicht zuletzt dessen Geld, was Covent Garden zu seinem Wohlstand verhalf. Als der Obst- und Gemüsemarkt 1670 seine Stände aufschlug, florierten die Kuppelgeschäfte der Frischfleischlieferanten bereits.

      So wie der Morgen in Covent Garden Marktzeit ist, ist die Nacht die Zeit, um andere Waren anzupreisen. Wenn am Abend die Lampen angezündet werden und die Bogenfenster der Kaschemmen und Kaffeehäuser in schummrigem Orange erglühen, zeigt der Platz sein geschminktes Gesicht. Man hört Lachen und Johlen, es werden Streiche gespielt und Hiebe ausgeteilt. Wände und Dielenbretter erbeben unter den Regungen hastiger Begattung. Kinder werden gezeugt und beim Kartenspiel Vermögen verloren. Männer wie Frauen erliegen den Verlockungen von Gin, Wein, Bier und Branntwein. Manche sacken unter die Tische, andere erbrechen sich auf ihre Kleider. Vielen werden die Taschen geplündert. Das Streben nach Vergnügen ist der größte Gleichmacher der Gesellschaft, bringt die Söhne von Herzögen mit den Töchtern von Schneidern und mit brotlosen Künstlern zum Zechen zusammen. Die wohlhabenden Kaufleute der Stadt, Offiziere, Anwälte, Maler und gemeine Kriminelle begegnen sich frei und ungezwungen. Bedenkt man, dass Großbritannien ganz und gar vom Unterschied der Klassen bestimmt ist, passiert in Covent Garden wahrhaft Erstaunliches. Das finden auch diejenigen, die selbst Zeuge davon werden, wie die folgenden Zeilen eines anonymen Dichters belegen:

      Here buskin’d Beaus in rich lac’d Cloathes

      Like Lords and Squires do bluster;

      Bards, Quacks and Cits, Knaves, Fools and Wits

      An Odd surprising Cluster.

      Gestiefelte Gecken, die in prächtigen Schnürkleidern stecken,

      Protzen hier, als wär’n sie Baron oder Gutsherr vom Lande;

      Philister, Medikaster, Dichtmeister; Schurken, Narren und Schöngeister

      Eine erstaunenswürd’ge, gar sonderliche Bande.

      Die eine oder andere Berühmtheit des 18. Jahrhunderts verleiht dieser »erstaunenswürd’gen, gar sonderlichen Bande« einen zusätzlichen Glanz. Im Bedford Coffee House oder in Charles Macklins Piazza Coffee House kann man schon mal David Garrick begegnen, dem prominentesten Schauspieler seiner Zeit, tief ins Gespräch vertieft mit Dr. Samuel Johnson, dem gefeierten Lexikografen. Auch Samuel Foote lässt sich blicken, einen Pulk ambitionierter Aktricen und Stückeschreiber im Schlepptau, unter ihnen zweifellos auch Samuel Derrick – doch von dessen Geschicken später mehr. Sobald er mit Foote fertig ist, wird Derricks nächste Anlaufstelle dann höchstwahrscheinlich Ned Shooter sein, den jemand Arm in Arm mit der Tänzerin Nancy Dawson gesichtet hat. Es gibt noch keine Paparazzi mit langen Teleobjektiven auf der Jagd nach dem perfekten Schnappschuss – was für ein leichtes Leben müssen die damaligen Superstars doch gehabt haben!

      An so einem Abend auf der Piazza könnte dem Beobachter auch auffallen, dass die Zahl der Männer die der Frauen bei weitem übersteigt. Echte Damen sind hier zu so später Stunde überhaupt nicht zu finden. Selbst diejenigen, die in ihren eleganten Hüten und ihrem glitzernden Schmuck einen durchaus ehrenwerten Eindruck machen, sind nur die erfolgreicheren Vertreterinnen der »gefallenen Schwestern«. Die Gesellschaft hat viele Namen für jene befleckten Damen, die ihre kostbare Tugend und ihre körperliche Unantastbarkeit geopfert haben, um den Männern der Nation dienstbar zu sein. Man kennt sie unter anderem als »Straßenmädchen«, als »Dienerinnen der Cypria« oder der »Aphrodite«, als »die Unreinen«, als »leichte Mädchen«, »Thaïse«, »Kokotten«, »Halbweltdamen«, »Kurtisanen« und »Hetären«, als »Lohndirnen« und »Freudenmädchen«, als »Venuspriesterinnen«, »Nymphen«, »Schlumpen«, »Vetteln«, »Födeln«, »Luppen«, »Mähren«, »Zaupen« und »Buhlerinnen«, als »gefallene Frauen«, »Metzen« und »Schandhuren«. Sie stammen aus den unterschiedlichsten Orten und Verhältnissen. Manche wurden in die Prostitution hineingeboren, so wie Charlotte Hayes, eine Venusgeweihte, die in diesem Buch eine große Rolle spielen wird. Andere beginnen sozusagen als Seiteneinsteigerinnen: Waisenkinder, verführte Dienstmädchen, arme Näherinnen, ausgebildete Putzmacherinnen, vielversprechende Nachwuchsschauspielerinnen, Vergewaltigungsopfer. Sie kommen aus London und von überall sonst, aus den entfernteren Grafschaften und aus Schottland und Irland. Selbst von den amerikanischen Kolonien oder den westindischen Inseln her wurden einige an die englischen Küsten gespült, andere hat es von Frankreich, Italien, Deutschland oder den Niederlanden in die britische Metropole verschlagen. In der Einwandererstadt London bilden sie einen bunten Querschnitt der verschiedenen Rassen und Völker.

      Entgegen der landläufigen Meinung haben viele der in Covent Garden arbeitenden Damen ihr Leben nicht an den Hungerpfoten der Armut saugend begonnen. Im 18. Jahrhundert ist der Lebensstandard des Einzelnen nichts Fixes, da gibt es keine Garantien. Man kennt keine Sozialhilfe, keine Arbeiterrenten, kein Arbeitslosengeld, keine Zahlungen im Fall der Erwerbsunfähigkeit. Wer seine Arbeit verliert, hat nichts zu beißen. Wer essen will, muss arbeiten bis an den Tod. Nicht einmal Gesellschaftsreformer hätten vom Konzept der nationalen Gesundheitsfürsorge zu träumen gewagt. Es ist eine schwierige Zeit für die Bewohner von London: Auf allen Ebenen – im Wirtschaftlichen, Gesellschaftlichen, Politischen – vollzieht sich ein Wandel. Britannien steht kurz davor, ein altes Imperium in Amerika zu verlieren und in Indien ein neues zu gewinnen. Rohstoffe strömen ins Land, und die Auslagen der Läden sind mit immer mehr nützlichen und interessanten Gütern dekoriert. Monat für Monat scheinen neue Gebäude, Straßen und Plätze aus dem Boden aufzutauchen. Es ist, als liege das Geld auf der Straße, aber man sollte sich nicht täuschen lassen: Die demütigenden Auflistungen der Bankrotteure in den Zeitungen erzählen eine andere Geschichte. In London wimmelt es von Spekulanten und Schuldnern, und nicht wenige Mittelstandsfamilien treibt die Last der Darlehensrückzahlungen in den Ruin. Dem Druck, immer das Neueste zu haben, kann sich keiner entziehen. Jedermann will in den schönsten Kleidern prunken und sein Haus mit Statussymbolen ausstaffieren, aber schon die Mietkosten zu bestreiten, kann schwer werden, und unversehens klettern die eigenen Schulden in astronomische Höhen. (Könnte vertraut klingen, nicht?)

      Dem Mittelstand anzugehören, ist zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein relativ neues Phänomen, und noch bilden diese Leute eine seltsam zwiegesichtige Gesellschaftsgruppe. Die ganz oben sind oft so reich wie der Adel. Die in der Mitte und unten – kleine Ladeninhaber, Handwerksmeister, Apotheker, Verleger, Schullehrer, der niedrige Klerus – müssen die meiste Zeit mächtig strampeln, um nicht den Anschluss zu verlieren. Diese »vom sozialen Abstieg gefährdete Mittelschicht« und jene Familien, die einen sehr schwankenden Platz am unteren Ende der Stufenleiter des Erfolgs einnehmen, treten so manche aus dem Kreis ihrer Töchter


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