Die Leute von Seldwyla - 1. Teil. Gottfried Keller
Читать онлайн книгу.,ei! Ihre verliebte Neigung, zu deren Erklärung ich Sie endlich gezwungen habe! Sie werden mir doch nicht leugnen wollen, dass Sie hingerissen waren und mir soeben erzählten, wie ich Ihnen von jeher gefallen? Warum liessen Sie das in Ihrer Grobheit nicht ein klein weniges merken, so wie es dem schlichtesten und anspruchlosesten Menschen wohl ansteht, und wenn er ein Schafhirt wäre, so würde uns diese ganzeKomödie, wie Sie es nennen, erspart worden sein, und ich hätte mich begnügt!‘
„,Hätten Sie mich in meiner Ruhe gelassen, meine Schöne, erwiderte ich, ,so hätten Sie mehr gewonnen. Denn Sie scheinen zu vergessen, dass dies Wohlgefallen sich jetzt notwendig in sein Gegenteil verkehren muss, zu meinen eigenen Schmerzen!‘
„,Hilft Ihnen nichts,‘ sagte sie, ,ich weiss einmal, dass ich Ihnen wohlgefallen habe und in Ihrem Blute wohne! Ich habe Ihr Geständnis angehört und bin meiner Eroberung versichert. Alles übrige ist gleichgültig; so geht es zu, bester Herr Pankrazius, und so werden diejenigen bestraft, die sich vergehen im Reiche der Königin Schönheit!‘
,,,Das heisst,‘ sagte ich, ,es scheint dies Reich eher einer Zigeunerbande zu gleichen. Wie können Sie eine Feder auf den Hut stecken, die Sie gestohlen haben wie eine gemeine Ladendiebin? gegen den Willen des Eigentümers?‘
„Sie antwortete: ,Auf diesem Felde, bester Herr Eigentümer, gereicht der Diebstahl der Diebin zum Ruhm, und Ihr Zorn beweist nur aufs neue, wie gut ich Sie getroffen habe!‘
„So zankten wir noch eine gute halbe Stunde herum in dem süssen Orangenhaine, aber mit bittern, harten Worten, und ich suchte vergeblich ihr begreiflich zu machen, wie diese abgestohlene und erschlichene Liebesgeschichte durchaus nicht den Wert für sie haben könnte, den sie ihr beilegte. Ich führte diesen Beweis nicht nur aus philisterhafter Verletztheit und Dummheit, sondern auch um irgendeinen Funken vom Gefühl ihres Unrechtes und der Unsittlichkeit ihrer Handlungsweise in ihr zu erwecken. Aber umsonst! Sie wollte nicht einsehen, dass eine rechte Gemütsverfassung erst dann in der vollen und rückhaltlosen Liebe aufflammt, wenn sie Grund zur Hoffnung zu haben glaubt, und dass also diesen Grund zu geben, ohne etwas zu fühlen, immer ein grober und unsittlicher Betrug bleibt, und um so gewissenloser, als der Betrogene einfacher, ehrlicher und argloser Art ist. Immer kam sie auf das Faktum meiner Liebeserklärung zurück, und zwar warf sie, die sonst ein so gesundes Urteil zu haben schien, die unsinnigsten, kleinlichsten und unanständigsten Reden und Argumente durcheinander und tat einen wahren Kindskopf kund. Während der ganzen Jahre unsers Zusammenseins hatte ich nicht so viel mit ihr gesprochen, wie in dieser letzten zänkischen Stunde, und nun sah ich, o gerechter Gott! dass es ein Weib war von einem gross angelegten Wesen, mit den Manieren, Bewegungen und Kennzeichen eines wirklich edeln und seltenen Weibes, und bei alledem mit dem Gehirn — einer ganz gewöhnlichen Soubrette, wie ich sie nachmalen zu Dutzenden gesehen habe auf den Vaudevilletheatern zu Paris! Während dieses Zankes aber verschlang ich sie dennoch fortwährend mit den Augen, und ihre unbegreifliche, grundlose, so persönlich scheinende Schönheit quälte mein Herz in die Wette mit dem Wortwechsel, den wir führten. Als sie aber zuletzt ganz sinnlose und unverschämte Dinge sagte, rief ich, in bittere Tränen ausbrechend: ,O Fräulein! Sie sind ja der grösste Esel, den ich je gesehen habe!‘
„Sie schüttelte heftig die Wucht ihrer Locken und sah bleich und erstaunt zu mir auf, wobei ein wilder, schiefer Zug um ihren sonst so schönen Mund schwebte. Es sollte wohl ein höhnisches Lächeln sein, ward aber zu einem Zeichen seltsamer Verlegenheit.
,„Ja,‘ sagte ich, mit den Fäusten meine Tränen zerreibend, ,nur wir Männer können sonst Esel sein, dies ist unser Vorrecht, und wenn ich Sie auch so nenne, so ist es noch eine Art Auszeichnung und Ehre für Sie. Wären Sie nur ein bisschen gewöhnlicher und geringer, so würde ich Sie einfach eine schlechte Gans schelten!‘
„Mit diesen Worten wandte ich mich endlich von ihr ab und ging, ohne ferner nach ihr hinzublicken, aber mit dem Gefühle, dass ich, das, was mir jemals in meinem Leben von reinem Glück beschieden sein mochte, jetzt für immer hinter mir lasse, und dass es jetzt vorbei wäre mit meiner gläubigen Frömmigkeit in solchen Dingen.
,,,Das hast du nun von deinem unglückseligen Schmollwesen!‘ sagte ich zu mir selbst: ,hättest du von Anbeginn zuweilen nur halb so lange mit ihr freundlich gesprochen, so hätte es dir nicht verborgen bleiben können, wes Geistes Kind sie ist, und du hättest dich nicht so gröblich getäuscht! Fahr hin und zerfliesse denn, du schönes Luftgebilde!‘
„Als ich mich nun mit zerrissenen Gedanken vom Gouverneur verabschiedete, sah mich derselbe vergnüglich und verschmitzt an und blinzelte spöttisch mit den Augen. Ich merkte, dass er meine Affäre wohl kannte, überhaupt dieselbe von jeher beobachtet hatte und eine Art von schadenfrohem Spass darüber empfand. Da er sonst ein ganz biederer und honetter Mann war, so konnte das nichts anderes sein als die einfältige Freude aller Philister an grausamen und schlechten Bratenspässen. Im vorigen Jahrhundert belustigten sich grosse Herren daran, ihre Narren, Zwerge und sonstigen Untergebenen betrunken zu machen und dann mit Wasser zu begiessen oder körperlich zu misshandeln. Heutzutage wird dies bei den Gebildeten nicht mehr beliebt; dagegen unterhält man sich mit Vorliebe damit, allerlei feine Verwirrungen anzuzetteln, und je weniger solche Philisterseelen selber einer starken und gründlichen Leidenschaft fähig sind, desto mehr fühlen sie das Bedürfnis, dergleichen mit mehr oder weniger plumpen Mitteln in denen zu erwecken, die sich dazu eignen, in solche herzlos aufgestellte Mäusefallen zu geraten. Wenn nun der Gouverneur seinerseits es nicht verschmähte, seine eigene Tochter als gebratenen Speck zu verwenden, so war hiegegen nichts weiter zu sagen, und ich nahm, obschon noch ein guter Gepäckwagen abfuhr, eigensinnig meinen schweren Tornister und die Muskete auf den Rücken und führte einen zurückgebliebenen Trupp in die Nacht hinaus dem Regimente nach, das schon in der Frühe abmarschiert war.
„Ich sah mich nach einem mühseligen und heissen Marsch nun in eine neue Welt versetzt, als die Kompagne eröffnet war und die Truppen der ostindischen Kompanie sich mit den wilden Bergstämmen an der äussersten Grenze des indo-britischen Reiches herumschlugen. Einzelne Kompanien unseres Regimentes waren fortwährend vorgeschoben; eines Tages aber wurde die meinige so mörderlich umzingelt, dass wir uns mitten in einem Knäuel von banditenähnlichen Reitern, Elefanten und sonderbar bemalten und vergoldeten Wagen befanden, auf denen stille, schöne hindostanische Scheinfürsten sassen, von den wilden Häuptlingen als Pupven mitgeführt. Unsere sämtlichen Offiziere fielen an diesem Tage, und die Kompanie schmolz auf ein Drittel zusammen. Da ich mich ordentlich hielt und einige Dienste leistete, so erlangte ich das Patent des ersten Leutnants der Kompanie, und nach Beendigung des Feldzuges war ich deren Kapitän.
„Als solcher hielt ich mit etwa hundertundfünfzig Mann zwei Jahre lang einen kleinen Grenzbezirk besetzt welcher zur Abrundung unseres Gebietes erobert worden, und war während diefer Zeit der oberste Machthaber in dieser heidnischen Wildnis. Ich war nun so einsam, als ich je in meinem Leben gewesen misstrauisch gegen alle Welt und ziemlich streng in meinem Dienstverkehr, ohne gerade böse oder ungerecht zu sein. Meine Haupttätigkeit bestand darin, christliche Polizei einzuführen und unsern Religionsleuten nachdrücklichen Schutz zu gewähren, damit sie ungefährdet arbeiten konnten. Hauptsächlich aber hatte ich das Verbrennen indischer Weiber zu verhüten, wenn ihre Männer gestorben, und da die Leute eine förmliche Sucht hatten, unser englisches Verbot zu übertreten und einander bei lebendigem Leibe zu braten zu Ehren der Gattentreue, so mussten wir stets auf den Beinen sein, um dergleichen zu hintertreiben. Sie waren dann ebenso mürrisch und missvergnügt, wie wenn hierzulande die Polizei ein unerlaubtes Vergnügen stört. Einmal hatten sie in einem entfernten Dorfe die Sache ganz schlau und heimlich so weit gebracht, dass der Scheiterhaufen schon lichterloh brannte, als ich atemlos herzugeritten kam und das Völkchen auseinanderjagte. Auf dem Feuer lag die Leiche eines uralten, gänzlich vertrockneten Gockelhahns, welcher schon ein wenig brenzelte. Neben ihm aber lag ein bildschönes Weibchen von kaum sechzehn Jahren, welches mit lächelndem Munde und silberner Stimme seine Gebete sang. Glücklicherweise hatte das Geschöpfchen noch nicht Feuer gefangen, und ich fand gerade noch Zeit, vom Pferde zu springen und sie bei den zierlichen Füsschen zu packen und vom Holzstoss zu ziehen. Sie gebärdete sich aber wie besessen und wollte durchaus verbrannt sein mit ihrem alten Stänker, so dass ich die grösste Mühe hatte, sie zu bändigen und zu beschwichtigen. Freilich gewannen diese armen Witwen nicht viel durch solche Rettung: denn sie fielen hernach