Die Reise um die Erde in achtzig Tagen. Jules Verne
Читать онлайн книгу.Reise um die Erde!“ schrie Fix.
„Jawohl, in achtzig Tagen! Eine Wette, sagte er, aber unter uns gesagt, ich glaube nicht recht daran. Das hätte ja gar keinen Sinn. Die Sache hängt anders zusammen.“
„Ach! Also wohl ein Original, der Herr Fogg.“
„Glaube, ja.“
„Ist wohl sehr reich?“
„Allem Anschein nach! Wenigstens schleppt er eine stattliche Summe in Banknoten mit! Und von Geldsparen unterwegs ist keine Rede! Hören Sie bloß! Er hat dem Maschinenführer der ,Mongolia’ eine großartige Prämie zugesichert, wenn wir mit einem erklecklichen Vorsprung in Bombay anlegen.“
„Sie kennen Ihren Herrn schon lange?“
„Ich?“ versetzte Passepartout — „nicht im geringsten! Bin ich doch erst am Tage unserer Abreise bei ihm eingetreten!“
Man wird sich den Eindruck leicht vorstellen können, den diese Antworten auf den schon überreizten Geist des Polizeikommissars ausüben mußten.
Diese beschleunigte Abreise aus London, und zwar kurze Zeit nach dem Diebstahl, die große Summe, die der Herr dieses Lakaien mit sich schleppte, die Eile, in weitab gelegene Länder zu gelangen, der Vorwand einer verrückten Wette, dies alles bekräftigte Fix in seinen Vorstellungen. Er ließ den Franzosen weiter schwatzen und erlangte die Gewißheit, daß dieser Diener seinen Herrn ganz und gar nicht kannte, daß dieser Herr abgeschlossen von der Welt in London lebte, daß er in dem Rufe stand reich zu sein, ohne daß jemand wußte, woher sein Vermögen stammte, daß es ein unnahbarer und undurchdringlicher Mensch sei, und so weiter. Aber gleichzeitig konnte es Fix auch für gewiß annehmen, daß Phileas Fogg sich in Suez nicht ausschiffte, sondern tatsächlich nach Bombay fuhr.
„Ist’s weit bis Bombay?“ fragte Passepartout.
„Ziemlich weit“, erwiderte der Polizist. „Vierzehn Tage ungefähr werden Sie noch auf dem Meere sein müssen.“
„Und wo liegt Bombay?“
„In Indien.“
„Also Asien?“
„Natürlich.“
„Teufel auch! Was ich Ihnen noch sagen möchte . . . eine Sache quält mich scheußlich . . . meine Gasflamme!“
„Welche Gasflamme denn?“
„Meine Gasflamme, die ich abzudrehen vergessen habe und die nun für meine Rechnung zu Hause brennt. Ich habe schon ausgerechnet, daß sie mich achtzig Stunden lang zwei Schilling kostet — gerade sechs Pence mehr als ich verdiene — und Sie sehen doch ein, daß je länger die Reise dauert . . .“
Ob Fix diese Gasangelegenheit begriff? Das ist nur wenig wahrscheinlich. Er hörte kein Wort mehr, sondern faßte einen Entschluß. Der Franzose war mit ihm bis zum Basar gelangt. Fix ließ seinen Kameraden seine Einkäufe dort machen, legte ihm noch ans Herz, die Abfahrt der „Mongolia“ nicht zu vergessen, und verfügte sich eiligst zurück nach den Kontoren des Konsular-Agenten.
Fix war nun vollständig zur Überzeugung gelangt und hatte seine ganze Kaltblütigkeit wieder gewonnen.
„Verehrter Herr Konsul“, sagte er dort, „bei mir ist nunmehr jeder Zweifel ausgeschlossen. Ich habe meinen Mann. Er spielt sich als exzentrischen Menschen auf, der in achtzig Tagen die Reise um die Erde machen will.“
„Also ist es ein böser Schlingel“, versetzte der Konsul, „der mit der Absicht umgeht, wieder nach London zurückzukehren, wenn es ihm gelungen ist, alle Polizisten der beiden Kontinente auf eine falsche Fährte zu locken!“
„Nun, das wollen wir doch mal erst sehen!“ antwortete Fix.
„Aber befinden Sie sich auch nicht im Irrtum?“ fragte der Konsul noch einmal.
„Ich befinde mich in keinem Irrtum.“
„Warum hat aber dieser Spitzbube darauf bestanden, daß ihm seine Reise nach Suez durch ein Visum amtlich bestätigt wurde?“
„Warum? . . . das weiß ich allerdings nicht, verehrter Herr Konsul“, gab der Detektiv zur Antwort, „aber hören Sie, bitte, was ich sage . . .“
Mit wenigen Worten erzählte er nun die wichtigsten Punkte aus der Unterhaltung, die er mit dem Lakaien des sogenannten Fogg geführt hatte.
„Allerdings sprechen alle Vermutungen wider diesen Mann“, sagte der Konsul. „Wie gedenken Sie zu verfahren?“
„Ich telegraphiere nach London, mir einen Haftbefehl nach Bombay zu senden, schiffe mich auf der „Mongolia“ ein, halte mich meinem Gauner bis nach Indien auf den Fersen, lasse ihn dort, auf englischem Boden, ganz ruhig landen und nehme ihn dann, mit meinem Haftbefehl in der Hand, am Schlaffittchen.“
Nach diesen mit kaltem Vorbedacht gesprochenen Worten verabschiedete sich der Polizist von dem Konsul und begab sich nach dem Telegraphenbüro. Dort drahtete er an den Londoner Polizeidirektor jene dem Leser bekannte Depesche.
Eine Viertelstunde später schiffte sich Fix, mit seinem leichten Reisegepäck in der Hand, an Bord der „Mongolia“ ein, und bald schoß der flinke Dampfer mit Volldampf über die Fluten des Roten Meeres.
Neuntes Kapitel,
worin sich sowohl das Rote Meer wie auch der Indische Ozean den Absichten Phileas Foggs günstig erweisen
Die Entfernung zwischen Suez und Aden beträgt genau 1310 Meilen, und das Logbuch der Dampfschiffahrtsgesellschaft räumt den Paketdampfern einen Zeitverbrauch von 138 Stunden ein zur Durchkreuzung dieser Strecke. Die „Mongolia“ fuhr mit gesteigertem Dampf; ihr Maschinenführer wollte sich die von Herrn Phileas Fogg ausgesetzte Prämie dadurch verdienen, daß er vor der fahrplanmäßigen Ankunft in den Hafen von Bombay einfuhr.
Das Reiseziel der meisten in Brindisi eingeschifften Passagiere war Ostindien. Die einen begaben sich nach Bombay, die anderen nach Kalkutta, denn seitdem ein Schienenstrang die ostindische Halbinsel in ihrer ganzen Breite durchschneidet, hat man es nicht mehr nötig, um die Spitze von Ceylon zu segeln.
Unter diesen Passagieren der „Mongolia“ befanden sich verschiedene bürgerliche und militärische Würdenträger. Alle befanden sich im Besitze vorzüglicher Einkünfte. Man lebte an Bord der „Mongolia“ in dieser Gesellschaft von Würdenträgern ganz famos, zumal sich zu ihnen verschiedene junge Engländer gesellten, die sich im fernen Lande als Kaufleute niederzulassen gedachten. Beim Dejeuner früh morgens, beim Lunch um 2 Uhr, beim Diner um halb 6 Uhr, beim Souper um 8 Uhr, bogen sich die Tafeln förmlich unter den Schüsseln mit frischem Fleisch und den vielen Zwischenspeisen. Die Damen erschienen zweimal am Tage in neuer Toilette. Es wurde musiziert und sogar getanzt, wenn es das Meer erlaubte.
Das Rote Meer ist aber voller Launen und Tücken und nur allzuoft sehr ungastlich. Wenn der Wind von der asiatischen und ebenso, wenn er von der afrikanischen Küste blies, wurde die „Mongolia“ in der Quere gefaßt und schlingerte ganz entsetzlich. Dann verschwanden die Damen, die Pianinos verstummten, Gesang und Tanz hörten auf. Und doch lief die „Mongolia“ ungeachtet aller Hindernisse, von ihrer mächtigen Maschine getrieben, ohne Verspätung in die Meerenge von Bab-el-Mandeb ein.
Was trieb nun Phileas Fogg in dieser ganzen Zeit?
Der Gedanke läge nahe, daß er, in einem fort von Angst und Unruhe verfolgt, für weiter nichts Sinn gehabt hätte als für den Wechsel gefahrvoller, die Fahrtgeschwindigkeit beeinträchtigender Winde, für Störungen im Maschinenwerk oder für allerhand sonstige Zufälle von Havarien, wodurch die „Mongolia“ gezwungen würde, in einem Hafen anzulaufen, und seine ganze Weltreise in Frage gestellt werden könnte.
Sichtbar werden ließ es der eigentümliche Herr nicht, wenn ihn solche Gedanken beschäftigten. Er zeigte sich immer gleichgültig, als jenes unnahbare und undurchdringliche Mitglied des Reform-Klubs, das sich durch keinen Zufall überraschen ließ. Es schien, als sei er ebensowenig zu erschüttern oder auch nur zu beeinflussen wie die an Bord befindlichen Chronometer.