Sherlock Holmes und die Ohren. Sir Arthur Conan Doyle

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Sherlock Holmes und die Ohren - Sir Arthur Conan Doyle


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leichtes Lächeln zog über deine Lippen, was mir zeigte, dass ich dich von der Lächerlichkeit dieser Methode, internationale Streitigkeiten beizulegen, überzeugt hatte. Bei diesem Punkt angelangt drückte ich dir meine Zustimmung damit aus, dass dies ganz unsinnig sei, und zu meiner grossen Freude ersah ich aus deinem Verhalten, dass alle meine Schlussfolgerungen richtig gewesen waren.“

      „Vollständig richtig!“ bemerkte ich. „Und nun, wo du mir alles erklärt hast, erscheint mir alles noch viel wunderbarer als zuvor.“

      „O, das war alles sehr einfach, mein lieber Watson, ich versichere dich, eine ganz oberflächliche Sache. Ich würde auch gewiss deine Aufmerksamkeit nicht darauf gelenkt haben, hättest du mir nicht neulich deine Ungläubigkeit gezeigt. Aber hier habe ich ein kleines Problem vor mir, dessen Lösung sich vermutlich schwieriger gestalten wird als mein kleiner Versuch im Gedankenlesen. Hast du in der Zeitung die kleine Notiz bemerkt, die sich auf den sonderbaren Inhalt eines Paketes bezieht, das durch die Bost einem Fräulein Susanna Cushing, Grossstreet, in Croydon zugeschickt worden ist?“

      „Nein, ich habe sie nicht gelesen.“

      „So? Dann musst du sie übersehen haben; bitte, gib mir mal die Zeitung herüber. Hier ist’s, unter den Börsennachrichten. Vielleicht bist du so freundlich, mir den kurzen Bericht laut vorzulesen.“

      Ich nahm die Zeitung zur Hand und las die bezeichnete Stelle vor. Sie war überschrieben: »Ein grausiges Paket« und lautete folgendermassen:

      „Fräulein Susanna Cushing, Grossstreet, in Croydon, ist das Opfer eines offenbar ausserordentlich schlecht angebrachten, sogenannten »Scherzes« geworden, sofern nicht überhaupt dem Zwischenfall eine viel ernstere Bedeutung beigelegt werden muss. Gestern nachmittag um zwei Uhr erhielt das Fräulein durch die Post ein in braunes Papier eingeschlagenes Paket. In dem Paket befand sich eine Pappschachtel, die mit sehr grobkörnigem Salz gefüllt war. Als Fräulein Cushing dieses ausleerte, erschrak sie zu Tode, als sie darin zwei menschliche Ohren fand, die augenscheinlich ganz frisch abgeschnitten waren. Die Schachtel war am Morgen vorher in Belfast aufgegeben worden. Wer der Absender ist, darüber fehlen noch alle Anhaltspunkte, und die ganze Angelegenheit ist um so rätselhafter, als Fräulein Cushing, eine unverheiratete Dame von über fünfzig Jahren, ein sehr zurückgezogenes Leben führt und so wenige Bekannte hat, dass sie nur selten etwas von der Post erhält. Einige Jahre vorher jedoch, als sie noch in Penge wohnte, vermietete sie in ihrem Hause Zimmer an drei junge Studenten der Medizin, die sich aber bei ihr so ungebührlich aufführten, dass sie gezwungen war, ihnen zu kündigen. Die Polizei ist der Ansicht, dass diese Studenten dem Fräulein den ungezogenen Streich gespielt haben, weil sie ihr wegen der Kündigung grollten und vielleicht hofften, sie durch Uebersendung eines solchen Andenkens aus dem Anatomiesaal zu erschrecken. Diese Annahme wird bis zu einem gewissen Grade dadurch gestützt, dass einer der Studenten aus Nordirland stammte und zwar — so glaubt sich wenigstens Fräulein Cushing zu erinnern — in Belfast zu Hause war. Der Fall wird eifrigst untersucht und liegt in den Händen des Herrn Lestrade, eines unsrerer tüchtigsten Detektivs.“

      „Soweit die Zeitung,“ sagte Holmes, als ich geendigt hatte. „Nun zu unserem Freund Lestrade! Ich erhielt heute morgen eine kurze Mitteilung von ihm, in der er schreibt: ,Ich glaube, dass dieser Fall Ihr ganzes Interesse finden wird. Wir haben alle Hoffnung, die Angelegenheit aufzuklären, nur finden wir es etwas schwierig, so rasch vorzudringen, als es uns geboten scheint. Wir haben natürlich an die Post in Belfast telegraphiert, aber gerade an diesem Tage wurde eine grosse Anzahl von Paketen aufgegeben, und den Leuten dort ist es nicht möglich, den Ueberbringer des bewussten Paketes noch zu ermitteln. Die Schachtel ist eine Zigarettenschachtel für hundert Stück, aber diese Feststellung bringt uns natürlich nicht weiter. Die Annahme, dass die jungen Mediziner im Spiel sind, scheint mir noch am meisten begründet zu sein, aber wenn Sie einige Stunden übrig hätten, so würde ich mich sehr freuen, wenn Sie zu mir kämen. Sie werden mich entweder auf der Polizeistation oder in der Grossstreet finden.‘ Was sagst du dazu? Hast du Lust, trotz der grossen Hitze mit mir nach. Croydon zu fahren, auf die Möglichkeit hin, einen weiteren Fall für deine Annalen zu finden?“

      „Gewiss! Ich wünsche mir gerade so etwas.“

      „Gut, so gehen wir also! Rufe, bitte, nach unseren Stiefeln und lass einen Wagen bestellen. Ich bin im Augenblick fertig, ich will mich nur rasch noch umziehen und mir einige Zigarren einstecken.“

      Während wir im Zug sassen, prasselte ein Gewitterregen nieder, und als wir in Croydon anlangten, war die Hitze weniger drückend als in London. Holmes hatte Lestrade telegraphisch von unserem Kommen unterrichtet, und so erwartete uns der Detektiv so tipp topp und sauber wie immer an der Station. Ein kleiner Gang von fünf Minuten brachte uns zur Grossstreet, wo Fräulein Cushing wohnte. Es war eine sehr lange Strasse mit hübschen, kleinen, zweistöckigen Backsteinhäusern; alle die Steintreppen vor den Häusern waren sauber weiss gestrichen, und kleine Gruppen von beschürzten Dienstmädchen schwatzten miteinander vor den Türen. Vor einem der Häuser hielt Lestrade und läutete an der Tür, die von einem kleinen, ordentlich gekleideten Mädchen geöffnet wurde. Fräulein Cushing sass in der Vorderstube, in die uns, das Mädchen führte. Das Fräulein hatte ein seelengutes Gesicht mit grossen, sanften Augen, und graue, gewundene Locken fielen ihr zu beiden Seiten über die Schläfen hinunter. Eine Stickerei lag auf ihrem Schoss, und ein Korb mit farbigen Seidenfäden stand neben ihr auf einem Stuhl.

      „Sie sind draussen im Schuppen, diese grässlichen Dinger!“ rief sie Lestrade bei seinem Eintritt entgegen. „Ich wünschte, Sie würden sie mitnehmen, damit ich’s aus dem Haus habe.“

      „Das wollen wir auch, Fräulein Cushing. Ich habe sie nur hier gelassen, damit Herr Holmes sie in Ihrer Gegenwart besehen kann.“

      „Aber, bitte, warum denn in meiner Gegenwart?“

      „Für den Fall, dass er irgendwelche Fragen an Sie zu richten hätte.“

      „Aber was soll das nützen, mir noch weitere Fragen vorzulegen, wenn ich Ihnen doch schon erklärt habe, dass ich absolut nichts von der Sache weiss?“

      „Sie haben ganz recht,“ sagte Holmes in seiner beruhigenden Art. „Ich kann mir denken, wie Sie in dieser Angelegenheit bereits mehr als genug mit Fragen belästigt worden sind.“

      „Ja, wahrhaftig! Ich bin eine ruhige Frau und führe ein zurückgezogenes Leben. Es hat etwas Aufregendes für mich, meinen Namen in den Zeitungen zu finden und die Polizei im Hause zu haben. Herr Lestrade, ich will die Dinger nicht in meinem Zimmer haben! Wenn Herr Holmes sie sehen will, so müssen Sie hinaus in den Schuppen gehen.“

      Wir begaben uns nun zu dem kleinen Schuppen, der in dem schmalen Gärtchen hinter dem Hause lag. Lestrade ging hinein und brachte eine gelbe Pappschachtel, ein Stück braunes Papier und einen Bindfaden heraus. In dem Garten stand eine Bank. Darauf setzten wir uns alle drei nieder, während Holmes nacheinander untersuchte, was ihm Lestrade an Indizien überreicht hatte.

      „Dieser Bindfaden da kommt mir ausserordentlich interessant vor,“ bemerkte er, indem er ihn genau untersuchte und dann daran roch. „Für was halten Sie das, Lestrade?“

      „Der Bindfaden ist offenbar geteert.“

      „Ganz richtig. Es ist ein Stück geteertes Segelgarn. Sie haben auch ohne Zweifel bemerkt, dass Fräulein Cushing den Bindfaden mit einer Schere aufgeschnitten hat, wie man an der doppelten Einkerbung sehen kann. Das ist von Wichtigkeit.“

      „Die Wichtig`keit hiervon vermag ich keineswegs einzusehen,“ bemerkte Lestrade.

      „Die Bedeutung liegt in der Tatsache, dass der Knoten nicht verlegt ist und dass dieser Knoten von ganz besonderer Art ist.“

      „Gewiss, gewiss,“ antwortete Lestrade zuvorkommend. „Der Knoten ist sehr schön geschlungen, und ich habe mir bereits früher schon eine Notiz darüber gemacht.“

      „Gut! Das wäre also der Bindfaden, und nun wollen wir mal das Packpapier ansehen. Gewöhnliches braunes Papier mit einem ausgesprochenen Geruch von gebranntem Kaffee. Was, Sie haben das nicht bemerkt? Aber ich denke doch, darüber kann gar kein Zweifel herrschen. Die Adresse in ziemlich ungelenken Buchstaben geschrieben: ,Fräulein S. Cushing,


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