Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1. Augustinus von Hippo
Читать онлайн книгу.ja gar nicht im Götterdienste überliefert, sondern in den Fabeln der Dichter. – Ich will nicht behaupten, daß die Mysterien schandbarer seien als die Theaterspiele; aber das behaupte ich – und wer es leugnen wollte, wird von der Geschichte überführt – daß eben die Spiele, zu denen die Fabeleien der Dichter den Stoff bilden, nicht in blindem Eifer von den Römern bei ihrem Götterdienste eingeführt worden sind, sondern daß die Götter selbst durch strengen Befehl, fast möchte man sagen durch Erpressung, es dahingebracht haben, daß sie ihnen feierlich abgehalten und zu ihren Ehren geweiht wurden; ich habe das schon im ersten Buche[91] kurz berührt. Bei Überhandnahme der Pest nämlich wurden die Bühnenspiele auf Anordnung der Opferpriester erstmals in Rom eingeführt. Wie sollte man nun für die Lebensführung nicht eher das als Richtschnur betrachten, was bei den auf göttlichen Befehl eingesetzten Spielen in lebendiger Handlung vor Augen gestellt wird, als das, was in papiernen Gesetzen steht, die Menschenwitz ersonnen und verkündet hat? Wenn die Dichter fälschlich den Jupiter als Ehebrecher hinstellten, so hätten keusche Götter doch wohl zürnen und strafen sollen deshalb, weil solcher Frevel in Spielen gemimt wurde, nicht aber deshalb, weil man das unterließ. Und da handelt es sich noch um die erträglicheren unter den Spielen, um Komödien und Tragödien nämlich, d. h. um Aufführungen von Dichterfabeln, die zwar inhaltlich genug des Schändlichen enthalten, aber doch nicht, wie vieles andere, in schandbaren Ausdrücken verfaßt sind; um Dichterfabeln, die auch bei den sogenannten edlen und freien Studien von den Knaben auf Befehl der Älteren gelesen und gelernt werden.
9. Wie die alten Römer urteilten über die Einschränkung der dichterischen Freiheit, während die Griechen ihr, hierin dem Urteil der Götter beistimmend, keine Zügel angelegt wissen wollten.
Wie darüber die alten Römer dachten, bezeugt uns Cicero in seinen Büchern über den Staat[92] , wo Scipio in einer Unterredung sagt: „Niemals hätten die Komödien mit ihren Schändlichkeiten beim Publikum Anklang finden können, wenn es nicht die Lebensart so mit sich gebracht hätte“. Und die Griechen der älteren Zeit haben, so verkehrt ihre Anschauung hierin war, ein gewisses Gefühl für das Schickliche bewahrt; denn bei ihnen war es sogar gesetzlich erlaubt, daß die Komödie über jeden beliebigen jede beliebige Anspielung mache, und zwar mit Nennung des Namens. „Wen hat sie daher“, wie Afrikanus in demselben Werke sagt, „nicht angetastet oder vielmehr nicht verfolgt? wen hat sie verschont? Mag sie sich immerhin gegen unehrliche Volksschmeichler, politische Wühler wie Kleo, Kleophontes, Hyperbolus gekehrt haben. Das könnte man hingehen lassen, obgleich es besser wäre, wenn solche Bürger vom Zensor statt vom Dichter gerügt würden. Aber einen Perikles durch Spottverse zu verletzen und sie auf der Bühne vorzubringen, zu einer Zeit, da er bereits mehrere Jahre hindurch seinem Staate in Krieg und Frieden mit größtem Ansehen vorgestanden hatte, das war ebenso ungeziemend, als wenn“, sagt er, „unser Plautus oder Nävius auf Publius und Gn. Scipio oder ein Cäcilius auf Marcus Cato schmähen wollte.“ Und kurz danach fährt er fort: „Unsere zwölf Tafeln dagegen, die doch nur auf ganz wenige Verbrechen die Todesstrafe setzten, glaubten darunter auch den Fall aufnehmen zu sollen, daß jemand etwas singen oder dichten würde, was einen andern in Ehrlosigkeit und Schande brächte. Vortrefflich! Denn unser Leben soll nicht dem Witz der Dichter, sondern dem Urteil der Behörden und ordnungsgemäßen Prozessen unterstellt sein und wir sollen keinen Vorwurf zu hören bekommen, ohne daß uns die Möglichkeit geboten wird, uns zu verantworten und gerichtlich zu verteidige.“ Diese Stelle aus Ciceros viertem Buch über den Staat glaubte ich, mit wenigen Auslassungen und geringen Änderungen zum Zweck des besseren Verständnisses, im übrigen wortgetreu herübernehmen zu sollen; denn sie hängt enge mit dem Gegenstand zusammen, den ich, wenn ich imstande bin, klar machen will. Er fügt dann noch anderes hinzu und schließt die Ausführung mit dem Hinweis, daß die alten Römer weder am Lobe noch am Tadel eines Lebenden durch das Theater einen Gefallen gehabt hätten. Die Griechen dagegen haben, wie gesagt, zwar mit weniger Gefühl für Ehrerbietung, aber mit mehr Gefühl für Schicklichkeit diese Freiheit in Anspruch genommen, da sie sahen, daß ihren Göttern Schmähungen in Bühnenstücken lieb und angenehm seien, nicht nur auf Menschen, sondern auch auf die Götter selbst, ob nun diese Schmähungen von den Dichtern frei erfunden waren oder ob ihre wahren Schandtaten vorgebracht und gemimt wurden in den Theatern und ihren Verehrern vor Augen geführt wurden, die sie leider nicht bloß des Belachens, sondern auch der Nachahmung wert erachteten. Übertriebener Hochmut war es, den Ruf der Staatslenker und der Bürger zu schonen, wo die Götter für ihren Ruf keine Schonung heischten.
10. Arglist der Dämonen ist es, wenn sie Schandtaten — sei es wirkliche oder erlogene — von sich erzählt wissen wollen.
Denn was man zur Rechtfertigung dieser Bühnenspiele vorbringt, daß sie nämlich nicht Wirkliches, sondern Erlogenes und Erdichtetes wider die Götter behaupten, gerade das ist noch verbrecherischer, wenn man die der Religion schuldige Ehrfurcht ins Auge faßt; wenn man sich dagegen die Bosheit der Dämonen vergegenwärtigt, wie hätte man es da schlauer und verschmitzter anpacken können, um irre zu führen? Wenn ein Vorwurf erhoben wird gegen einen guten und tüchtigen Staatslenker, ist das nicht umso nichtswürdiger, je weniger er zutrifft und je weniger sein Wandel Anlaß dazu bietet? Welche Strafen würden demnach zureichen, wenn einem Gott eine so frevelhafte, so außerordentliche Unbill zugefügt wird? Aber die bösen Geister, die man für Götter hielt, lassen sich auch Schandtaten, die sie gar nicht begangen haben, nachsagen, wofern sie nur durch solche Meinung von sich den Geist der Menschen wie mit Netzen umgarnen und mit sich in die prädestinierte Pein reissen können, mögen nun derlei Schandtaten jemals von Menschen begangen worden sein — in diesem Falle freuen sich die Dämonen darüber, daß solche Menschen für Götter gehalten werden, wie sie sich über alle Irrwege der Menschen freuen; sie setzen auch mit ihren tausenderlei Lug- und Trugkünsten sich an deren Stelle und nehmen für sie die göttliche Verehrung entgegen — oder mag es sich überhaupt nicht um wirkliche Verbrechen auch nur von Menschen handeln — dann lassen es sich eben diese ganz abgefeimten Geister gern gefallen, daß man solche Verbrechen Gottheiten andichtet, damit es den Anschein gewinne, als ob vom Himmel selbst ein so anregendes Vorbild für Verübung von Freveln und Schändlichkeiten auf die Erde herüberwirke. Da sich also die Griechen als Diener von solchen Gottheiten fühlten, so glaubten sie bei so vielen und schweren Schmähungen der Götter durch die Bühnenspiele auch für sich selbst keine Schonung von den Dichtern beanspruchen zu sollen, entweder weil sie ihren Göttern auch hierin ähnlich sein wollten, oder weil sie deren Zorn herauszufordern fürchteten, wenn sie nach einem besseren Rufe strebten und in dieser Richtung vor ihnen etwas voraus haben wollten.
11. Die Griechen haben die Schauspieler zur Verwaltung des Staatswesens zugelassen, weil es unbillig sei, daß sie, die die Götter versöhnen, von den Menschen verachtet werden.
Aus demselben Gefühl für Schicklichkeit heraus haben sie auch die Schauspieler dieser Fabeln nicht geringer Ehre von Seiten des Staates für würdig erachtet; wie nämlich in demselben Buche über den Staat berichtet wird[93] , widmete sich der Athener Aeschines, ein sehr beredter Mann, nachdem er in der Jugend Tragödien gemimt hatte, der politischen Laufbahn, und einen andern Tragödienspieler, Aristodemus mit Namen, ordneten die Athener oft in hochwichtigen Angelegenheiten des Friedens und des Krieges als Gesandten an Philippus ab. Denn es schien ihnen ungereimt, da diese Künste und diese Schauspiele, wie sie sahen, sogar ihren Göttern angenehm seien, die Akteure zu den Ehrlosen zu zählen. So hielten es die Griechen, schändlich allerdings, aber völlig im Sinne ihrer Götter: sie wagten es nicht, den Lebenswandel ihrer Bürger vor der Herabwürdigung durch Dichter und Schauspieler sicher zu stellen, da sie sahen, daß von diesen ja auch der Wandel der Götter, und zwar unter freudiger Zustimmung der Götter selbst heruntergezogen werde; und sie erachteten die Leute, die das, was nach ihrer Überzeugung den Gottheiten angenehm war, in den Theatern mimten, nicht bloß durchaus nicht für verächtliche Glieder das Staatswesens, sondern im Gegenteil für würdig der größten Ehren. Warum