Die Novellen um Claudia. Arnold Zweig

Читать онлайн книгу.

Die Novellen um Claudia - Arnold Zweig


Скачать книгу
sind dort leutselig. Er betrug etwa das doppelte des Postsatzes. Hm, sagte ich. Ja, sagte er, soviel koste es, und wenn ich es billiger haben wolle, was mir niemand verdenken könne, kein Mensch nicht, so sollte ich doch die Post nehmen, oder die gewöhnliche Fracht. Dazu brauchte ich nur auf den Güterbahnhof zu gehen. Wir schrieben Samstag, und am Montag um neun Uhr gedachte ich abzufahren.« Jetzt konnte nichts mehr vermieden werden, selbst wenn man es dringend wünschte …

      »Sie gingen also wieder zur Post?« lachte sie ihn an. Wie umständlich solch ein Mann sein konnte. Aber gerade das machte ihn so entzückend kindlich.

      »Ich wandte mich der Fracht zu, Fräulein Claudia. Ja. Ich ging nach dem Güterbahnhof. Er lag ziemlich weit vor der Stadt, wie solche Baulichkeiten eben zu liegen pflegen. Ich schleppte meine fünfundzwanzig Pfund bald unter dem rechten, bald unter dem linken Arm. Es blieb ein Viertelzentner. Da lachen Sie nun,« sagte er und lachte mit. Vielleicht war es doch nicht so gefährlich, vielleicht ging alles noch gut ab. Gib, daß es so sei, sagte er dringlich zu irgend wem.

      »Hatten Sie denn nicht die Idee, jemand zum Tragen zu mieten?« Wenn er lachte, sah er aus wie ein Junge.

      »In der Tat, diese Idee hatte ich, sie lag ja nicht allzufern, aber einerseits sah ich niemand in der Nähe, und andrerseits ging ich zwar jetzt allein, zu zweien aber wären wir eine Karawane gewesen, und dergleichen mißfällt mir. Ich kam auch allein endlich zum Güterbahnhof.«

      »Hier hatte doch die liebe Seele Ruh, nicht wahr?« – Die Erkenntnis, die er unter Wunsch und aufsteigender Leichtigkeit begraben hatte, sprang jäh auf und stand da, schwarz und vernichtend: er gab sich verloren.

      »Ja, Claudia, in gewisser Weise wenigstens. Also, da lag ein ziemlich umfangreicher Komplex, wie? Mit Rampen, Schuppen, großen Schiebetüren und dergleichen. Auch mit Büroräumen. Aber alles fest geschlossen. Nun, es schlug viertel sieben, Sie verstehen. Ich ging entlang, entlang, dann bog ich um Ecken, denn ich dachte mir, man läßt doch so etwas nicht allein. Nicht einmal ein Hund bellte, worüber ich mich übrigens freute, denn Hunde machen mich nervös. Endlich hörte ich ein Klopfen und Pochen, und da fand ich einige Leute mit Eisenbahnermützen auf dem Kopfe irgendwie untergeordnet beschäftigt, und ein Mann befehligte sie, der gar nicht amtlich aussah, sondern ein kleines Jackett anhatte und eine Reisemütze, eine Art Jockeymütze auf den Haaren. An den wandte ich mich mit meinem Viertelzentner. Nun, er sprach ungeheuer freundlich, ich solle das Zeug nur dalassen, er wolle das Zeug schon besorgen, da brauchte ich gar keine Sorge zu haben, er würde schon sehen und am Montag ging's fort, da sei gar kein Wort mehr not. Ich sagte ihm vielen Dank, ließ mein kostbares Volumen, das er Zeug nannte, in seinen Händen zurück und machte mich auf den Heimweg.« Seine weiche und hohe Stimme klang noch heiserer als sonst. Claudia bemerkte es:

      »Gott sei dank,« sagte sie lächelnd; »nehmen Sie noch Tee?«

      »Ja, das dachte ich auch. – Nun, wenn ich bitten darf, noch eine Tasse, den letzten, danke. Ich fühlte mich ziemlich guter Laune; die Sonne ging bald unter, es war kein übles Wetter und ich pfiff, was, weiß ich nicht mehr.«

      Er hielt zu kurzer Pause inne und senkte den Blick, der durstig von ihrem Gesicht getrunken hatte. Sie aßen beide längst nicht mehr. Schade, dachte er, während er den Tisch besah, auf dem das gebrauchte Gerät ungeordnet und unschön stand, unsere Bedürfnisse hinterlassen noch immer Häßlichkeit, trotz aller Pflege. Wie hübsch sah vorhin dieses Tischchen aus, mit dem hellen Schein auf all dem Weiß von Porzellan und Linnen … und ist jetzt ein schlimmer Anblick … Da stand Claudia auf und bat: »Einen Augenblick, lieber Freund, ich schlage einen Umzug vor; dieser Tisch verstört mich. Nehmen wir unsere Tassen und rauchen wir nebenan eine Zigarette. Wie?«

      Er fand in frohem Staunen über die Gleichzeitigkeit dieses Gefühls kein Wort; er ergriff nur seine Tasse und folgte ihr stumm und vorsichtig in den rotbraunen Raum. Und während sie sich im Hin- und Hergehen alles nötige Geschirr holten, wollte aus diesem nebensächlichen Geschehnis in ihm eine blasse Hoffnung wachsen. Sie hatten dennoch Gemeinsames, vielleicht mehr als sie wußten – sollte er nicht auch davon reden, wie sehnsüchtig und erstarrt und gleichgültig gegen alle äußeren Dinge er damals hinlebte? Sollte er sich nur beklagen, nicht auch entschuldigen und erklären? Daß er sich für sie unbedingt und ohne Zögern in jede Tat stürzen würde – sollte er das nicht gestehen? Nein. Nein, nein. Seine Aufgabe stand, genau umrissen. Wenn sie ihn gesehen hatte, konnte sie entscheiden. Es mochte ja nicht unbedingt sicher sein, daß sie ihn verwerfen werde. Aber die Hoffnung war verblüht.

      Ein kleines Tischchen stand zwischen ihnen, auf dem ein Licht mit orangenfarbenem Schirm brannte, und breite rote Klubsessel nahmen sie auf, während das Zimmer rings umher mit unbestimmten Gegenständen und zurückgewichenen Grenzen rötlich verdämmerte. Eine hohe Uhr pochte beharrlich und mahnend. »Ich bitte … Sie ziehen die Zigarre vor;« und Claudia atmete schon den weißen und duftenden Rauch aus. »Eigentlich soll ich nicht rauchen … danke, da ist Feuer. Wo hielt ich … Wenn Sie noch weiter hören wollen. Wie vorhergesagt, es ist langweilig.« Wenn sie jetzt ablenkte, wenn sie genug hatte, so konnte man in Ehren aufhören und ein andermal den Abschied in Szene setzen. Nur noch diese Stunde bat er genießen zu dürfen, dies rauchende Mädchen ansehen, auf dessen Gesicht wie Goldflecken das Licht lag hinter dem wohlriechenden Schleier von Rauch.

      »Gar nicht. Erzählen Sie nur, obgleich ich nicht weiß, was noch kommen kann; es ist ja fertig, und Sie gingen guter Dinge heim.« Aha, es war fertig, in der Tat, es war fertig – und es zitterte einen Moment lang in ihm nach: fertig.

      »Richtig, ich pfiff. Plötzlich hörte ich mittendrin auf – halt, ich weiß es jetzt, ich pfiff den Tannhäusermarsch – und erschrak vor einem Gedanken. Mir fiel ein, wie leichtsinnig ich gewesen war. Der Mann hatte mir ja keinen Schein gegeben, ein Papier, daß er von Dr. Rohme ein Paket bekommen habe. Er hatte auch kein sichtliches Zeichen eines Beamten gehabt. Es genügt doch nicht, über Eisenbahnmützen zu kommandieren oder vielmehr müßig bei ihnen zu stehen, um eine Vertrauensperson zu sein. Dieser Mann brauchte das Paket nur zu öffnen, um morgen meine schönen Bücher bei allen Antiquaren der Stadt zu zerstreuen, ich wußte ja nicht einmal seinen Namen, nur: ein kleines Jackett, ein Jockeymützchen – wenig, wenig. Ich hatte schon ein ziemliches Stück Weges hinter mir, ich blieb also stehen und wollte mich entschließen, zurückzugehen –«

      »Was sehr weise gewesen wäre,« schaltete Claudia ein –

      »Da besann ich mich, daß man diese Eisenbahnmützen, die am Samstag Nachmittag um ein viertel sieben Uhr an der und der Stelle gearbeitet hatten, sicherlich ermitteln konnte. Sie stellten Zeugen dar, drei wohlbeleumdete Zeugen. Das dürfte mir genügen. Sie mußten nötigenfalls schwören, daß ich dem Jockeymützchen ein rundliches Paket anvertraut hatte; und getröstet machte ich mich wieder auf den Weg zur Stadt, denn ich war müde und hungrig.« Er lächelte leicht und erinnert, von Vergangenheit überkommen. »Ihre Bücher hätten Sie durch diese Zeugen aber auch nicht wiederbekommen,« sagte sie sachlich. Man würde heute nicht mehr zu jener Unterhaltung kommen, die sie vorhin verschoben hatte, denn die Uhr lehrte sie, daß es allmählich spät wurde. Nun, morgen.

      »Oder nur schwer. Aber ich rechnete damit, daß auch der Mann des kleinen Jacketts an sie dachte. Sie bildeten eine moralische Ziffer. Mit einem Male traf mich diese Idee des Moralischen. Wie? Moral? Aber Geld war sicherlich stärker als Moral. Arme Leute haben Geld lieber als Moral, Arbeiter sind arme Leute, folglich, nun?« Er mußte einen Augenblick innehalten. Mitten im Sprechen wurde ihm bewußt, daß er von nun an wieder zu Monolog und Stummheit verurteilt sei; das nahm ihm den Atem. Er sah sie an, – sie dachte: um sie zu einer Äußerung zu veranlassen, und sie zog harmlos den Schluß, indem sie fand, daß seine Augen sehr gütig seien. »Folglich brachte er sie gegen Geld zum Schweigen.« Und die Form seiner Stirn wies sicherlich zarte Schönheit auf.

      »Natürlich,« rief er ungesund lebhaft aus, »man konnte sie bestechen. Reisemützchen würde für meine Bücher eine anständige Summe haben, davon konnte er ein paar Mark opfern, und meine Zeugen waren dahin, schwiegen, blieben stumm wie das Grab, um dem Volksmunde nachzureden. Und unter dem Druck dieser starken Möglichkeit blieb ich stehen, überwand Hunger und Müdigkeit und marschierte zurück. Ich kam kurz nach dreiviertel auf sieben an die Stelle, auf der ich mein Volumen ausgeliefert hatte.


Скачать книгу