Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout. Ortwin Meiss

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Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout - Ortwin Meiss


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      2Biologische Grundlagen der Depression und des Burnouts

       Ökonomie als biologisches Grundprinzip

      Menschen sind ökonomische Wesen. Sie berechnen bewusst oder unbewusst beständig, ob sich eine Handlung lohnt und die Effekte bringt, die den Aufwand rechtfertigen (Thibaut u. Kelly 1959). Diese Eigenschaft teilen sie mit anderen Organismen. Da Ressourcen, die für das Überleben gebraucht werden, häufig knapp sind, kann es für das Überleben entscheidend sein, keine Energie in Tätigkeiten zu investieren, die keinen adäquaten Nutzen bringen. Mit anderen Worten: Energie in etwas zu stecken, was keinen dem Aufwand entsprechenden Ertrag bringt, reduziert die Überlebenswahrscheinlichkeit. (Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass schon frisch geschlüpfte Küken einen Mengenbegriff besitzen.)

      Tatsächlich bewerten wir den Erfolg oder den Nutzen einer Handlung nicht nach ihrem absoluten Ergebnis, sondern nach dem Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag. Wenn wir wenig Geld für eine Sache ausgeben, erwarten wir nur einen beschränkten Nutzen. Haben wir ein billiges Zimmer in einem Hotel mit einem Stern gebucht, das laut Beschreibung ein Bad und eine Toilette auf dem Gang hat, und werden dann, weil das Hotel renoviert wird, ohne zusätzliche Kosten auf ein Dreisternehotel umgebucht und erhalten ein Zimmer mit Bad, Toilette und Meerblick, so erhellt dies unsere Stimmung und wir sind guter Laune. Haben wir den Preis für ein First-Class-Hotel gezahlt, erwarten wir für den gezahlten Betrag Meerblick, Whirlpool und ein reichhaltiges Frühstücksbuffet. Wenn man dann in einem kleinen Zimmer landet und auf die belebte, laute Durchgangsstraße blickt, wird man sauer und wütend über das schlechte Verhältnis zwischen Gezahltem und Erhaltenem. Ich persönlich habe selten so viele Leute gesehen, die sich über den miesen Service beschwert haben, wie in Fünfsternehotels. Ich erinnere mich an einen Langstreckenflug bei dem die Fluggesellschaft die Maschine überbucht hatte. Ich bekam ein kostenloses Upgrade in die Businessclass. Gut gelaunt saß ich auf einem bequemen Platz, neben mir ein Passagier mit ziemlich schlechter Laune. Ihn hatte man aus der ersten Klasse heruntergestuft.

      Dieses Verrechnungssystem hat sich in der Natur bewährt. Es sichert das Überleben. Der Organismus belohnt ein positives Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag mit Lust und Freude, während ein negatives Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag Frust, Ärger und Wut nach sich zieht. Dieses innere Belohnungssystem hilft, dem Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag die nötige Aufmerksamkeit zu geben.

       Soziale Verrechnungssysteme

      Wir verrechnen nicht nur, was wir selbst tun in Bezug auf den Ertrag, den wir daraus erzielen, sondern auch das, was wir für andere tun, in Bezug auf das, was wir von ihnen zurückbekommen. Soziale Systeme funktionieren nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit (De Waal 2006). Man investiert seine Arbeitskraft und erhält einen Lohn oder ein Honorar. Man tut dem anderen einen Gefallen und erhält etwas zurück. Die Gegenleistung ist nicht unbedingt materieller Natur. Anerkennung, Würdigung, Status, Lob und Dankbarkeit für die Leistungen und das Gute, was wir für andere getan haben, sind genauso erwünscht. Bei diesen Rechnungen rechnet gleichwohl mehr der Bauch als der Verstand.

      Das Prinzip der Gegenseitigkeit wird nur dann außer Kraft gesetzt, wenn deutliche Statusungleichheiten bestehen. Der König braucht den Untertanen das, was er ihnen nimmt, nicht zurückzugeben. Wenn er gibt, gibt er aus dem Status eines Überlegenen und erweist sich als großzügig. Würde einer der Untertanen auf die Idee kommen, in gleicher Weise zurückzugeben, würde das von dem Überlegenen als Zeichen gewertet, dass er die Überlegenheit nicht anerkennt. Es würde als Angriff auf den eigenen Status verstanden.

       Frust, Ärger, Enttäuschung, Wut und Aggression

      Bleiben Handlungen ohne Wirkung oder bleiben erwartete Gegenleistungen aus, so produziert der Organismus unangenehme Gefühle und Empfindungen. Wurde viel in eine Sache investiert oder etwas für andere getan, ohne dass ein Ausgleich erfolgt, reagiert man mit Frust, Enttäuschung, Ärger, Wut oder Aggression. Versuchen wir, ein Möbelstück aufzubauen, das uns immer wieder zusammenfällt, reagieren wir mit Ärger und Frustration. Haben wir lange für eine Prüfung gelernt und fallen dennoch durch, entsteht Enttäuschung und Niedergeschlagenheit. Das gleiche Muster zeigt sich in den Interaktionen mit unserer Umgebung. Gelingt es uns trotz vieler Versuche nicht, eine für uns wichtige Hotline zu erreichen, da permanent besetzt ist, werden wir ärgerlich; gegen einen Handwerker, der für seinen Pfusch eine gepfefferte Rechnung präsentiert, entwickeln wir Aggressionen; ein Kunde, der seine Rechnung für die geleistete Arbeit nicht bezahlt, bringt uns gegen ihn auf. Die Aggression richtet sich nicht nur gegen Personen, oft behandeln wir Dinge wie lebendige Interaktionspartner: Einen Computer, der genau dann, wenn wir einen ausführlichen Artikel geschrieben, aber noch nicht abgespeichert haben, abstürzt, könnten wir treten; ein Auto, das im falschen Moment liegen bleibt, wird beschimpft – »Scheiß Karre!«. Es entsteht oft sogar das Bedürfnis, den Gegenstand selbst zu bestrafen, ihn zu treten oder auf ihn einzuschlagen.

      Die unangenehmen Gefühle, die entstehen, wenn wir ein Missverhältnis zwischen Investition und Ertrag erleben, also ein Geschäft machen, das uns ins Minus bringt, sind für unser Überleben sinnvoll. Sie motivieren uns, unser Verhalten zu ändern und etwas anderes auszuprobieren, was dieses Minus reduziert. Wir verändern unser Verhalten, testen eine neue Strategie, versuchen etwas auf eine andere Weise oder lassen von unserem Vorhaben ab und probieren etwas anderes.

      Wird man durch jemanden aus der sozialen Umgebung ins Minus gebracht, fordert man einen Ausgleich. Wenn der andere diesen Ausgleich verweigert, entsteht das Bedürfnis, diesen anderen zu bestrafen, damit auch er ins Minus gerät. Auch im Verhältnis zu anderen entscheidet nicht das absolute Resultat, sondern der Vergleich. Wenn es dem anderen auch schlecht geht, ist man befriedigt. So hat man festgestellt, dass auch dann, wenn Racheaktionen einem selbst schaden, das Belohnungszentrum im Gehirn aktiv wird. Wie es auch der Volksmund schon sagt: Rache ist süß. Die Bestrafung verhindert, dass sich innerhalb einer sozialen Gemeinschaft Verhaltensweisen einbürgern, die anderen Mitgliedern schaden. Dies ist für das Überleben einer sozialen Gemeinschaft von Vorteil.

       Energiesparmodus

      Besteht die Erwartung, dass eine Aktion oder Handlung sich nicht lohnt, der Aufwand also in keinem angemessenen Verhältnis zum Nutzen steht, wird die Handlung nicht vollzogen. Der Organismus spart die Energie, bis sich etwas Lohnenderes ergibt. Bei vielen Tieren kann man beobachten, dass sie in Zeiten von Produktionslosigkeit ihren Stoffwechsel reduzieren. Bären halten ihren Winterschlaf, Reptilien geraten bei Kälte in einen Starrezustand. Wenn es sich nicht lohnt, aktiv zu werden, wird der Stoffwechsel auf ein Minimum reduziert. Ein Einzeller wie die Amöbe wird, wenn ihr Lebensraum austrocknet, zu einer Kugel und kapselt sich ein. Sie verharrt dabei in Regungslosigkeit, bis ihr Lebensraum wieder genug Wasser enthält. Die gleichen Phänomene finden wir bei Pflanzen, die in Zeiten ungünstiger Wachstumsbedingungen ihr Wachstum unterbrechen und ihre Stoffwechselprozesse zum Teil vollständig einstellen.

      Wir können auch hier von einem Naturprinzip ausgehen, das sich in Bezug auf das Überleben einer Spezies bewährt hat. Es ist unsinnig, Energie zu verbrauchen, wenn nichts dabei herauskommt. Im Zustand der Unbeweglichkeit und Starre wird Energie gespart. Bei einer Depression oder einem Burnout entwickelt sich genau diese Unbeweglichkeit. Wie wir sehen werden, kann sie als Versuch des Unbewussten verstanden werden zu verhindern, dass weitere Energie in Aktionen und Beziehungen investiert wird, die keine positiven Resultate bringen.

       Selbstwirksamkeit versus Hilflosigkeit

      Hilflosigkeit und die Erfahrung von fehlender Selbstwirksamkeit sind wesentliche Faktoren bei der Entstehung von Depressionen und Burnout. Menschen, die das Gefühl haben, nichts bewirken und verändern zu können, und die Hoffnung verloren haben, dass sich dies irgendwann ändert, fühlen sich miserabel und reagieren mit


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