Die Witwe des Millionärs. Laura Lippman

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Die Witwe des Millionärs - Laura  Lippman


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ein paar Leute auftauchten, die nicht unbedingt Martinis mochten, aber gerne betonten, dass sie die besten probiert hatten.

      Gut, ihr Lieblingsbarkeeper war da. Und Feeney auch, er saß auf einer Bank in einer dunklen Ecke, seine Finger umklammerten den Stiel eines Martiniglases, und auf dem weißen Tischtuch vor ihm lag ein vielsagender Berg zahnstochergespickter Oliven. Tess deutete auf Feeneys Glas und zeigte damit an, dass sie dasselbe wollte, dann setzte sie sich auf den Stuhl Feeney gegenüber. Er war in sich zusammengesackt und schien sie auch nicht zu bemerken, es sei denn, man betrachtete ein paar genuschelte Zeilen von Auden als angemessene Begrüßung.

      »Ich sitze in einer Spelunke / In der 52nd Street / Unsicher und voller Angst, / Während die klugen Hoffnungen / Eines niederträchtigen Jahrhunderts schwinden.«

      Tess seufzte. Richard Burton hätte es nicht besser – oder besoffener – sagen können. Auden war ein besonders schlechtes Zeichen, er war reserviert für die ganz tiefen Tiefs. Nur Yeats oder Housman waren schlimmer.

      »Du bist in der Charles Street, und der Brass Elephant ist keine Spelunke, obwohl ich mit dir nicht über die Nachteile dieses verdammten Jahrzehnts diskutieren würde.«

      »Ich habe bloß meine Stimme / Um die fältigen Lügen ungesagt zu machen / Die romantische Lüge im Gehirn / Vom sinnlichen Mann auf der Straße …«

      »Das wollten sie also von dir? Du solltest der Mann auf der Straße sein?« Das wäre ja gar kein so großes Problem, davon könnte sie Feeney ablenken. Tess kannte den unerschütterlichen Glauben der Medien, dass normale Menschen etwas von aktuellen Ereignissen verstünden. Wenn irgendetwas Wichtiges in weiter Ferne passierte, schickten die Redakteure gnadenlos Reporter auf die Straße, um gemeine Zitate von gemeinen Menschen einzuholen.

      Der Barkeeper tauchte mit ihrem Drink am Tisch auf. Das Ritual war Teil ihres Vergnügens – die Drehung des Shakers aus dem Handgelenk, wie er den Martini künstlerisch einschenkte. Tess nippte daran und fühlte sich gleich besser, stärker, klüger, bereit für Feeney in extremis.

      »Und was war heute die Frage? Irgendwas mit der NATO? Die NATO ist doch immer gut für einen Mann auf der Straße. Ich weiß noch, als ich beim Star war, hat jemand in Pigtown gedacht, die NATO sei ein überdachtes Schwimmbad, das der Bürgermeister im Patterson Park bauen wollte.«

      »Du enttäuschst mich, Tess«, sagte Feeney bitter und begann, an einem der Zahnstocher von dem Hügel vor ihm zu kauen. »Du nimmst das alles genauso wörtlich wie meine bescheuerten Chefredakteure.«

      Tess nahm einen zweiten größeren Schluck aus ihrem Glas, sie genoss die Kühle und dann den kleinen hitzigen Nachgeschmack. Wirklich ein wunderbarer Drink.

      »Es ist auch schön, dich zu sehen, Feeney.«

      »Schön, mich zu sehen? Du kannst es kaum ertragen, mich anzuschauen.«

      Verloren in seinem eigenen Elend, hatte Feeney unwissentlich die Wahrheit ausgesprochen. Tess mied seinen Blick, der dunkel war von Bitternis, und sein nach unten gekehrtes Grinsen. Feeney war immer grau gewesen – grau-blaue Augen, grau-blondes Haar, selbst seine Haut wirkte grau-rosa, sie war nur ein wenig heller als die halbrohen Hotdogs, die er bei den Ständen vor dem Gerichtsgebäude kaufte. Aber heute sah alles noch etwas fahler aus als sonst, als bekäme er nicht genug Sauerstoff. Auf seinem blassen Gesicht wirkten die aufgeplatzten Äderchen in seinen Wangen wie Straßenkarten ins Nirgendwo. Gin-Blüten, die eine Blume, die man das ganze Jahr über im gottverdammten Baltimore finden konnte.

      »Was ist los, Feeney?«

      »Meine Karriere ist vorbei.«

      »Das sagst du einmal im Monat.«

      »Ja, aber normalerweise ist das bloß ungerechtfertigte Paranoia. Heute habe ich es ganz offiziell erfahren. Ich gehöre nicht dazu. Ich bin kein Mannschaftsspieler.« Er nuschelte schrecklich.

      »Sie können dich doch nicht feuern.« Der Beacon war ein Gewerkschaftsblatt, was es schwierig, wenn auch nicht unmöglich machte, Angestellten zu kündigen. Aber Feeney war gut. Ein Profi. Es wäre schwer, ihn loszuwerden. Es sei denn, er hatte es ihnen leicht gemacht, indem er Anweisungen der Redakteure ignoriert hatte. Ungehorsam war Grund genug für eine fristlose Kündigung.

      »Nehmen wir mal an, du hättest die Story deines Lebens geschrieben, Tess«, sagte er und beugte sich zu ihr herüber. Sein Gesicht war ihrem so nahe, dass sie den Gin riechen konnte, den er zu sich genommen hatte, und auch ein wenig Tabak. Merkwürdig – Feeney hatte vor Jahren aufgehört zu rauchen. »Die beste Story, die du dir vorstellen kannst. Stell dir vor, darin wäre alles, was du von einer Geschichte erwarten kannst, und für alles gibt es mindestens zwei Quellen. Und stell dir vor, diese gottverdammten feigen Ratten wollen es nicht drucken.«

      »Das hat irgendwas mit dieser Basketballgeschichte zu tun, oder? Die Story, von der du mir gestern noch nichts sagen wolltest.«

      Feeney nahm seine Gabel und begann, in den Happy-Hour-Ravioli herumzustochern, bis kleine Tomatensoßenspritzer das Tischtuch zierten. »Na, jetzt kann ich sie dir ja erzählen. Überhaupt wird sie nur dann jemand hören, wenn ich sie erzähle. Vielleicht sollte ich mich mit einem Schild an die Straßenecke stellen und anbieten, sie für einen Dollar vorzulesen.«

      »Wie gut ist sie? Wie groß?«

      Wieder antwortete er mit seiner Singsang-Dichterstimme: »Wink Wynkowski, Baltimores größte Hoffnung, eine Basketballmannschaft nach Baltimore zu locken, hat in seiner Vergangenheit vieles getan, über das er lieber nicht spricht, vor allem nicht mit der NBA. Seine Geschäfte sind ein Kartenhaus, er steht kurz vor der Pleite, wird von Anwälten verfolg wegen Sachen von ›Ambulanter Notdienst‹ bis ›Zippys Druckerei‹. Vielleicht kann er genug für eine Mannschaft zusammenkratzen, aber er ist nicht flüssig genug, sie anschließend zu finanzieren.«

      »Warum will er dann eine kaufen, wenn es ihn in den Bankrott treibt?«

      »Gute Frage. Zwei mögliche Antworten. Er ist dumm – das darf man bezweifeln. Oder er will die Mannschaft ziemlich schnell wieder verkaufen, sobald die Stadt ihm die neue Sporthalle gebaut hat, die den Wert der Mannschaft über Nacht verdoppelt.«

      »Das kommt mir ein bisschen weit hergeholt vor.«

      »Hey, erinnerst du dich an Eli Jacobs? Der hat 1980 die Orioles für 70 Millionen gekauft. Als in der Rezession seine Geschäfte zusammenbrachen, hat er sie für fast 175 Millionen verkauft, und es war Camden Yards, bezahlt vom Staat, das die Mannschaft so teuer machte. Wenn Wink es schafft, seine fliegenden Bauten noch ein paar Jahre intakt zu halten und die Mannschaft zu verkaufen, bevor seine Kreditgeber ihm die Luft abwürgen, streicht er einen Riesengewinn ein.«

      »Gibt es noch mehr?« Feeney runzelte die Stirn. »Nicht, dass da mehr sein müsste«, setzte sie eilig hinzu. »Du hast die Punkte miteinander verbunden, ich kann das Bild sehen.«

      »Aber es gibt mehr. Viel mehr. Dunkle Geheimnisse. Eine üble erste Ehe. Miese Angewohnheiten, die gar nicht zum Profisport passen. Wie viel würdest du für diese Story bezahlen? 39,95 Dollar? 49,95? 59,95? Warte, sag nichts – wie wäre es, wenn wir noch ein paar Ginsu-Messer dazugeben?« Er begann, leicht hysterisch zu lachen, dann riss er sich zusammen. »Glaub mir, Tess. Die Story steht. Ich wünschte, mein Haus stünde auf einem ähnlich soliden Fundament.«

      »Wieso bringt die Zeitung sie dann nicht?«

      »Alle möglichen Gründe. Sie behaupten, sie wäre nicht hieb- und stichfest. Dass es rassistisch wäre, so aggressiv mit einer NBA-Story an den Start zu gehen, wo wir doch den Football, der vor allem die Weißen interessiert, ohne Gegenwehr in die Stadt gelassen haben. Sie sagen, wir hätten zu viele anonyme Quellen, aber ein paar der Leute, die mit mir geredet haben, arbeiten nun mal noch für Wink, Tess. Die haben gute Gründe, anonym bleiben zu wollen. Einer vor allem. Die Chefredakteure haben uns heute Nachmittag gesagt, wir müssten ihnen alle Namen der Quellen nennen, bevor sie die Geschichte bringen. Sie wussten, dass ich das nicht tun würde, eher würde ich die Geschichte aufgeben. Und genau darum ging es. Sie brauchten eine Entschuldigung, um der Story den Garaus zu machen, weil sie uns nicht trauen.«

      »Uns?«


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