Autobiografie von Alice B.Toklas. Gertrude Stein

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Autobiografie von Alice B.Toklas - Gertrude Stein


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bei ihr zu nehmen.

      Ich wanderte umher und musterte die Menge, nie hätte ich gedacht dass es so viele unterschiedliche Männer geben könne die Bilder malen und anschauen. In Amerika, sogar in San Francisco, war ich es gewohnt Frauen auf Ausstellungen zu sehen auch einige Männer, aber hier waren Männer, Männer, Männer, manchmal Frauen bei ihnen aber häufiger drei oder vier Männer mit einer Frau, manchmal fünf oder sechs Männer mit zwei Frauen. Später gewöhnte ich mich an dieses Verhältnis. In einer dieser Gruppen von fünf oder sechs Männern und zwei Frauen sah ich die Picassos, das heißt ich sah Fernande mit ihrer charakteristischen Geste, einen beringten Zeigefinger gerade in die Luft gestreckt. Wie ich später herausfand hatte sie Napoleons Zeigefinger genauso lang wenn nicht gar ein bisschen länger als ihr Mittelfinger, und der stach, sobald sie erregt war, was aber eigentlich nicht sehr oft geschah denn Fernande war träge, immer schnurstracks in die Luft. Ich wartete weil ich nicht in diese Gruppe eindringen wollte an deren einem Ende sie und an deren anderem Ende Picasso alle Aufmerksamkeit auf sich zog aber schließlich nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und trat vor und lenkte ihr Augenmerk auf mich und trug ihr meinen Wunsch vor. Oh ja, sagte sie freundlich, Gertrude hat mir von Ihrem Wunsch erzählt, es würde mir großes Vergnügen bereiten Ihnen Stunden zu geben, Ihnen und Ihrer Freundin, in den nächsten Tagen werde ich aber noch sehr viel damit zu tun haben mich in meiner neuen Wohnung einzurichten. Gertrude will mich Ende der Woche besuchen, wenn Sie und Ihre Freundin sie begleiten wollen könnten wir dann alles abmachen. Fernande sprach ein sehr elegantes Französisch, natürlich mit Rückfällen ins Montmartrische dem ich nur schwer folgen konnte, aber sie war zur Lehrerin ausgebildet worden, ihre Stimme war bezaubernd und sie war sehr sehr schön mit einem herrlichen Teint. Sie war eine üppige Frau aber nicht zu üppig denn sie war träge und sie hatte die kleinen runden Arme die die charakteristische Schönheit aller französischen Frauen ausmachen. Es war eher schade dass kurze Röcke je aufkamen denn bis dahin hatte man keine Vorstellung von den stämmigen französischen Beinen der durchschnittlichen französischen Frau, man dachte bloß immer an die Schönheit der kleinen rundlichen Arme. Ich willigte in Fernandes Vorschlag ein und ging.

      Auf dem Weg dahin wo meine Freundin saß gewöhnte ich mich weniger an die Bilder als vielmehr an die Leute. Es wurde mir klar dass es einen bestimmten einheitlichen Typ gab. Viele Jahre später, also vor nur wenigen Jahren, als Juan Gris den wir alle sehr liebten starb, (er war nach Pablo Picasso Gertrude Steins liebster Freund) hörte ich sie zu Braque sagen, als sie und er bei der Trauerfeier nebeneinanderstanden, wer sind all diese Leute, es sind so viele und sie kommen mir so bekannt vor und ich weiß von keinem wer er ist. Oh, erwiderte Braque, das sind all die Leute die Sie bei der Vernissage der Indépendants und im Herbstsalon zu sehen pflegten und Sie sahen ihre Gesichter zweimal im Jahr, Jahr für Jahr, und das ist der Grund weshalb sie Ihnen alle so bekannt vorkommen.

      Gertrude Stein und ich gingen etwa zehn Tage darauf nach Montmartre, ich zum ersten Mal. Ich habe nie aufgehört es zu lieben. Wir gehen von Zeit zu Zeit dorthin und jedes Mal habe ich wieder dasselbe zarte freudige Gefühl der Erwartung das ich damals hatte. Es ist ein Ort, wo man immer stand und manchmal wartete, nicht darauf dass etwas geschah, man stand nur einfach da. Die Bewohner von Montmartre saßen nicht viel, meistens standen sie was ebenso gut war da die Stühle, die Restaurantstühle Frankreichs, einen nicht zum Sitzen einladen. Also ging ich nach Montmartre und begann meine Lehrzeit im Stehen. Zuerst besuchten wir Picasso und dann besuchten wir Fernande. Picasso geht jetzt nicht gern nach Montmartre, er möchte nicht gern daran denken und schon gar nicht davon sprechen. Selbst zu Gertrude Stein spricht er nur ungern darüber, es gab Dinge die damals seinen spanischen Stolz tief verletzten und die letzte Zeit seines Lebens in Montmartre war ganz Bitterkeit und Enttäuschung, und nichts kann bitterer sein als spanische Enttäuschung.

      Doch damals war er dort zu Hause und gehörte zu Montmartre und wohnte in der Rue Ravignan.

      Wir gingen zum Odéon und nahmen dort einen Omnibus, das heißt wir stiegen ganz nach oben auf einen Omnibus, einen jener hübschen alten von Pferden gezogenen Omnibusse die schön schnell und regelmäßig quer durch Paris fuhren und dann bergauf bis zur Place Blanche. Dort stiegen wir aus und gingen eine steile Straße hinauf die gesäumt war von Läden mit Sachen zum Essen, die Rue Lépic, und dann bogen wir um eine Ecke und stiegen noch steiler wirklich beinahe senkrecht hinauf und kamen zur Rue Ravignan, jetzt Place Emile-Gondeau sonst aber unverändert, deren Stufen zu dem kleinen ebenen Platz mit seinen wenigen aber sehr zierlichen kleinen Bäumen führen, in einem seiner Winkel tischlerte ein Mann, als ich das letzte Mal vor nicht langer Zeit dort war tischlerte dort noch immer ein Mann in einem seiner Winkel, und ein kleines Café gerade dort wo man die Stufen hinaufgeht wo sie alle zu essen pflegten, es ist noch da, und linker Hand das niedrige Holzgebäude mit den Ateliers das noch da ist.

      Wir gingen die paar Stufen hinauf und durch die offene Tür linker Hand vorbei an dem Atelier in dem später Juan Gris sein Märtyrerdasein führen sollte wo aber damals ein gewisser Vaillant lebte, ein unscheinbarer Maler der sein Atelier als Damengarderobe bei dem berühmten Bankett für Rousseau zur Verfügung stellen sollte, und dann vorbei an einer steilen Stiege an deren Fuß Max Jacob ein wenig später sein Atelier hatte, und vorbei an einer weiteren und schmalen steilen Treppe die zu dem Atelier führte wo vor Kurzem ein junger Mensch Selbstmord begangen hatte, Picasso malte eins seiner schönsten frühen Bilder von den um den Sarg versammelten Freunden, wir gingen an all dem vorbei zu einer größeren Tür an die Gertrude Stein klopfte und Picasso öffnete die Tür und wir traten ein.

      Er trug was die Franzosen singe oder Affenanzug nennen, einen Overall aus blauem oder braunem Jeansstoff, ich glaube seiner war blau und er wird singe oder Affe genannt weil er aus einem Stück besteht mit einem Gürtel, wenn der Gürtel nicht zugemacht wird, was meistens geschieht, dann baumelt er hinten herunter sodass man wie ein Affe aussieht. Seine Augen waren herrlicher als selbst ich sie in Erinnerung hatte, so tief und so braun, und seine Hände so dunkel und zierlich und flink. Wir gingen weiter hinein. Da war ein Sofa in einer Ecke, ein sehr kleiner Ofen der zum Kochen und Heizen diente in der anderen Ecke, ein paar Stühle, der große zerbrochene in dem Gertrude Stein saß als sie gemalt wurde und ein allgemeiner Geruch nach Hund und Farbe und da war eine große Hündin und Picasso schob sie hin und her von einem Platz zum anderen genauso als wäre die Hündin ein großes Möbelstück gewesen. Er forderte uns zum Sitzen auf doch da alle Stühle belegt waren standen wir alle und blieben stehen bis wir gingen. Es war meine erste Erfahrung im Stehen aber später merkte ich dass hier alle stundenlang so standen. Gegen die Wand war ein riesengroßes Bild gelehnt, ein merkwürdiges Bild in hellen und dunklen Farben, das ist alles was ich sagen kann, von einer Gruppe, einer riesengroßen Gruppe und daneben ein anderes in einem Rotbraun, von drei stämmigen und posierenden Frauen, das Ganze eher erschreckend. Pablo Picasso und Gertrude Stein standen nebeneinander und plauderten. Ich stand etwas abseits und sah mich um. Ich kann nicht behaupten dass ich irgendetwas begriff doch ich spürte dass da etwas Schmerzliches und Schönes war und Bedrückendes und doch Unfreies. Ich hörte Gertrude Stein sagen, und meins. Daraufhin holte Picasso ein kleineres Bild hervor, eine ziemlich unfertige Arbeit die nicht fertig werden konnte, sehr blass fast weiß, zwei Figuren, sie waren wohl ganz da aber sehr unfertig und nicht fertigzustellen. Picasso sagte, das wird er aber nie akzeptieren. Ja, ich weiß, antwortete Gertrude Stein. Aber trotzdem ist es das Einzige in dem alles da ist. Ja, ich weiß, erwiderte er und sie verstummten. Danach setzten sie ihre leise Unterhaltung fort und dann sagte Miss Stein, nun wir müssen gehen, wir sind zum Tee bei Fernande. Ja, ich weiß, erwiderte Picasso. Wie oft siehst du sie, sagte sie, er wurde sehr rot und machte ein verlegenes Gesicht. Ich bin noch gar nicht da gewesen, sagte er verärgert. Sie gluckste, wir gehen jedenfalls hin, sagte sie, und Miss Toklas wird Französischstunden nehmen. Ah die Miss Toklas, sagte er, mit den kleinen Füßen wie eine Spanierin und Ohrringen wie eine Zigeunerin und einem Vater der König von Polen ist wie die Poniatowkis, natürlich wird sie Stunden nehmen. Wir alle lachten und gingen zur Tür. Dort stand ein sehr schöner Mann, oh Agero, sagte Picasso, du kennst die Damen. Er sieht wie ein Greco aus, sagte ich auf Englisch. Picasso fing den Namen auf, ein gefälschter Greco, sagte er. Oh ich vergaß dir die hier zu geben, sagte Gertrude Stein und reichte Picasso ein Bündel Zeitungen, die werden dich trösten. Er öffnete sie, es waren die Sonntagsbeilagen von amerikanischen Zeitungen, es waren die Katzen yammer kids. Oh oui, Oh oui, sagte er mit zufriedenem Gesicht, merci danke Gertrude,


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