Die Kraft der unscheinbaren Kleinigkeiten. Gary L. Thomas

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Die Kraft der unscheinbaren Kleinigkeiten - Gary L. Thomas


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bald unmöglich erscheinen. Sie werden es als drückende Last empfinden.

      Die christlichen Tugenden sind so etwas wie Gottes Werkzeuge, mit denen er aus dem Material unserer Persönlichkeit das Bild seines Sohnes „heraus schnitzt“. Das geht langsam, aber sicher. Wenn wir dieses Leben in uns entdecken, dann erfahren wir, was Jesus meinte, als er sagte: „Ich bin gekommen, damit du das Leben findest, das Leben in Fülle“ (Johannes 10,10).

      Die christlichen Tugenden sind Gottes Werkzeuge, mit denen er aus dem Material unserer Persönlichkeit das Bild seines Sohnes „heraus schnitzt“.

      GARY L. THOMAS

       Anmerkung

      1 C. S. Lewis, Dienstanweisung für einen Unterteufel. Brendow Verlag, Moers 1995, S. 65.

      KAPITEL 2

      Gottes Gegenwart im Alltag erfahren

      Versuchen Sie niemals, Ihren Brüdern etwas aufzuzwingen. Die Gnade kann mehr.

      QUELLE UNBEKANNT

      Eine Einübung in die christlichen Tugenden ist eine Art Schnellstraße zur Erfahrung der Gegenwart Jesu in meinem Leben.

      GARY L. THOMAS

      ICH HATTE EINE ANSTRENGENDE VORTRAGSREISE hinter mir und freute mich auf ein bisschen Entspannung während des Rückflugs. Zunächst etwas verärgert, dass ich keinen Fensterplatz mehr bekommen hatte, zwängte ich mich in einen Sitz im Mittelgang zwischen einem recht beleibten Herrn und einer älteren Dame und holte den Roman aus der Tasche, der mir die Flugzeit verkürzen sollte. Ich hatte mich noch nicht einmal angeschnallt, als die Dame fragte: „Leben Sie in Kalifornien?“ „Nein“, sagte ich. „Es war eine Geschäftsreise.“

      Sie strahlte eine tiefe Freundlichkeit aus. Eine richtig liebenswerte Großmutter. Ich war müde und schielte nach meinem Buch, das mir etwas Ablenkung versprach. Aber ich wollte nicht unhöflich sein …

      „Oh, Sie wollen sicher lesen“, entschuldigte sich die Dame, die meinen Blick wohl bemerkt hatte.

      Ich lächelte kurz und schlug mein Buch auf. „Ich habe nicht oft die Gelegenheit, mich zu unterhalten“, sagte sie. „Seit mein Mann vor fünfzehn Jahren starb …“

      Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag. Ich war müde, voller Selbstmitleid über einige Schwierigkeiten, in denen ich steckte, und beanspruchte selbstsüchtig, gefälligst in Ruhe gelassen zu werden. Aber … konnte es sein, dass ich nicht zufällig auf diesen engen Sitz im Mittelgang platziert worden war, der mir gar nicht behagte? War es nur ein Zufall, dass ich neben dieser alten Dame saß? War es nicht sehr gut möglich, dass Gott hier einen Auftrag für mich hatte? Da war ein Mensch, der einen anderen Menschen brauchte, der ihm zuhörte …

      „Oh, es tut mir leid, dass Ihr Mann verstorben ist“, sagte ich und steckte das Buch zurück in die Tasche. „Haben Sie Kinder?“

      Sie lächelte erfreut und unser Gespräch nahm seinen Lauf. Ich erfuhr eine Menge über ihr Leben, was sie beschäftigte, worum sie sich sorgte. Der Roman blieb eine Verlockung, aber ich entschied mich dafür, diese Frau neben mir zu sehen, die es gerade nötig hatte, einmal ihr Herz ausschütten zu können.

      Als der Flug zu Ende ging und ich das Flugzeug verließ, geschah etwas Überraschendes. Ich stellte fest, dass mich ein ungewohntes Gefühl erfüllte – ich fühlte mich heiter, erholt, belebt und – erhaben. Ein einfacher Akt der Annahme dessen, was Gott mir in den Weg gestellt hatte, wurde zum Eingangstor in eine innere Realität, in der ich die Gegenwart Jesu fast schmecken konnte; seine Nähe war mir deutlich spürbar und das Bewusstsein seiner Gegenwart in mir war irgendwie erneuert.

      Was war passiert? Ich sehe es so: Ich hatte mich der Situation überlassen, weil ich davon ausging, dass sie nicht zufällig zustande gekommen war, sondern dass Gott hier eine Aufgabe für mich hatte. Ich hatte mich entschieden, mich nicht nur von meinem persönlichen Bedürfnis nach etwas Ruhe und Ablenkung bestimmen zu lassen, sondern von einem höheren Motiv: jetzt für einen anderen Menschen zur Verfügung zu stehen. Indem ich das tat, erlebte ich die Gegenwart Jesu. Und da ich mich von ganzem Herzen nach einer tiefen Beziehung zu Jesus sehne, war es nur folgerichtig, dass diese Begebenheit mich mit einem stillen Hochgefühl zurückließ.

      Dies ist nur eine von einer Reihe von Erfahrungen, die mir deutlich gemacht haben, dass eine Einübung in die christlichen Grundhaltungen eine Art Schnellstraße zur Erfahrung der Gegenwart Jesu in meinem Leben ist. Das mag für manche Leser gefährlich klingen. Aber es entspricht meiner Erfahrung. Für manche Menschen sind Kontemplation und Gebet der Weg zur Erfahrung der Gegenwart Gottes. Aber ebenso können wir seine Nähe erleben, indem wir uns einüben in die geistlichen Grundhaltungen, die wir von Jesus lernen.

       Zwei Extreme

      Wenn es darum geht, Gott zu erfahren, geraten wir in ein Spannungsfeld. Es gibt Christen, die Gott und seine Nähe vor allem in der Innenwelt ihrer Seele erleben, in Gebet, Kontemplation, Einsamkeit, Stille oder in der Betrachtung. Und es gibt Christen, für die Gott vor allem im gehorsamen Tun, im Dienst an anderen oder durch die Begegnung mit dem Wort Gottes erfahrbar ist.

      Beide Sichtweisen sind begrenzt. Betont man einseitig das äußere Tun, wird man perfektionistische, gesetzliche Christen erziehen, Menschen, die keinen Zugang zur Gnade und Barmherzigkeit Gottes finden und zu der Kraft, die gerade darin liegt. Betont man Bibelkenntnis auf Kosten anderer Aspekte des christlichen Lebens, wird man engstirnige Dogmatiker hervorbringen, die nicht wissen, wie sie all die Richtigkeiten, die sie kennen, in konkretes Leben übersetzen sollen. Betont man zu stark die innere Erfahrung, kann das zu einer Haltung führen, die nur nach persönlicher „Erleuchtung“ sucht, aber das Bemühen um Selbstlosigkeit und die Arbeit am eigenen Charakter vernachlässigt. Losgelöst von der Autorität der Schrift wird persönliche Erfahrung zum Götzen, und der Mensch, der sich nur auf sie beruft, steht in Gefahr, sich als „besserer Christ“ zu fühlen und die Gemeinschaft mit dem weltweiten Leib Christi als einer Gemeinschaft von Dienenden zu verlieren.

      Ein gutes Gegenmittel gegen diese Einseitigkeiten ist die Einübung in die inneren Grundhaltungen, die Jesus uns vorgelebt hat. Eine solche Arbeit an unserer Persönlichkeit schafft eine Verbindung zwischen der inneren Wirklichkeit, der Erfahrung der Seele, und unserem konkreten Verhalten im Alltag. Ich habe gesagt: „Okay, Gott, ich akzeptiere deinen Auftrag für mich in dieser Situation.“ Dieser Entscheidung lag eine innere Haltung zugrunde. Sie führte mich zu einem konkreten Tun: das Buch aus der Hand zu legen und ein Gespräch zu beginnen. Und das Ergebnis war, dass ich die Freude erlebte, mit Gott zusammenzuarbeiten, unter seiner Führung eine Aufgabe, die er mir in den Weg stellte, zu erledigen.

      Fühlen Sie sich manchmal ausgelaugt? Langweilt Sie die ganze Sache mit dem Glauben vielleicht? Oder sind Sie erschöpft von dem Versuch, endlich ein ideales christliches Leben hinzukriegen? Wünschen Sie sich, die Gegenwart Jesu in Ihrem Leben deutlicher zu erleben? Wenn Sie in dieser Situation sind, dann kann der Weg über eine Einübung in die christlichen Tugenden eine Brücke zu dem Leben sein, nach dem Sie sich sehnen.

       Die Gnade kann mehr

      Das Gute an der Guten Nachricht ist die Botschaft: Wir müssen nicht Gefangene der Dunkelheit und der Schwächen bleiben, die uns anhaften. Wachstum und Veränderung sind möglich. Aber sie stellen sich nicht ohne unser Bemühen ein. Es muss allerdings die rechte Art von Bemühen sein.

      „Schon wieder soll ich mich anstrengen“, winken Sie vielleicht ab. Vielleicht sind Sie es leid, zum hundertsten Mal einen erneuten erfolglosen Versuch zu machen, endlich diese eine Schwäche zu überwinden, die Sie einfach nicht loswerden. Vielleicht sagen Sie: „Ich habe mich wirklich bemüht – ich schaffe es einfach nicht.“


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