Die Fahrt zur Unsterblichkeit. Max Geißler

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Die Fahrt zur Unsterblichkeit - Max Geißler


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lange danach bekamen seine Eltern einen Brief von ihm. Sie wunderten sich, dass dieser Brief den Stempel der Borinage trug und nicht den Antwerpens. Davon waren sie sehr betroffen. —

      Sehet, so weit kann der Weg sein, der da liegt zwischen der Sehnsucht und der Erkenntnis, was Gott mit einem vorhat!

      Die Borinage ist ein Land von ungeheuerer Tristigkeit. Ein Land der schwarzen Berge, die von Menschen gemacht sind. Mit Halden von erstarrtem, kohlegewordenen Regelmass. Wenn ein Wind aufsteht in dieser Welt, so wirbelt er den Kohlenstaub in Floren durch die Luft. Oder er reisst den Qualm der Schornsteine herab und legt ihn auf das bisschen Leben — Sargtücher, Sargtücher! Es kümmern ein paar landfremde Bäumlein zwischen den schwarzen Buckeln, drei Schuh hoch und ganz ohne Sehnsucht; ganz ohne Teilnahme am Dasein; denn sie können diese Luft nicht atmen. Die Sonne, die sie umspielt, ist ein verirrtes Scheinen, ist ein verwehter Klang vom seligen Märchen des Himmels. Und die Menschen — o Gott, die Menschen!

      Der aber, der in jenen Tagen als Prediger in diese schwarze Wüste geschickt wurde, dachte: „Das ist nun das Ziel meiner Sehnsucht; denn hier warten sie auf mich, warten sie! Hat jemals einer auf mich gewartet draussen in der Welt? Hat jemand auf mich gewartet in Paris? In London? Im Haag? In Dortrecht? Oder nur in den Häusern meiner bäuerlichen Heimat? . . . Nein, so etwas ist keinem eingefallen! Aber diese da! Die wühlen wie die Maulwürfe in einer Welt ohne Licht . . . Nun, so will ich ihnen das Licht bringen! Ich will ihnen erzählen von den Städten der Menschen; und vom Himmel, über den die Allmacht Gottes die goldenen Funken der Sterne geworfen hat. Ich will ihnen erzählen von der Buntheit der Erde und von den heiligen Strömen des Nils und des Ganges, von Palmen und Lotosblumen. Ich will ihnen erzählen von der furchtbaren Majestät der Berge, aus denen das Feuer bricht; von der Erhabenheit des Meeres und von der Lieblichkeit der Gärten Gottes, in denen die Engel spielen mit goldenen Bällen und klingenden Bronnen. Und in denen auch sie spielen werden, wenn sie dereinst ihre Himmelfahrt gehalten haben. Ja. So will ich es ihnen sagen; denn ihre Sehnsucht geht nach allem, was in der Borinage nicht um sie ist . . .“

      So stieg ein Licht in ihm auf zwischen den finsteren Halden dieses finsteren Landes. In diesem Lichte sah er sich an und dachte: „Ich weiss nun, wie das mit mir ist! Ich habe geglaubt: ich stünde verwaist unter den Menschen mit meinen Sehnsüchten all die Fahre her. Aber ich war nur ein Fremdling unter ihnen. Und in den klingenden Gärten war ich schon all die Zeit her, war mitten darin. Ich erkannte es nur nicht; weil ich nicht davon reden konnte zu denen, die um mich waren; denn die sagten: „Es ist immer das gleiche eintönige Ding. Wunder sind da nirgends, du wunderlicher Mensch!“

      Aber diese hier warteten auf ihn! Die sollte er führen zu Ländern des Lichts und der Freude — wenn auch nur in ihren Gedanken.

      Darum sagte er: „Das ist es, wonach ich gesucht habe! Jawohl, dies ist das Land meiner Sehnsucht!“

      Etliche Siedlungen zwischen den Kohlengruben der Borinage hatten es zu einem hölzernen Kirchlein gebracht.

      Dort aber, wo der neue Prediger seinen Einzug hielt, war das nicht. Dort hatten sie in jener Zeit einen Bretterbau. Der lehnte sich an die Rückseite eines Backhauses. Schwarz wie alles in diesem Lande. Es war in der einen Ecke ein Holzverschlag für den Prediger. Hinter diesem Verschlage wohnte er, schlief er. Auf einem Strohsack, der an der Erde lag. Und es standen in dem Saal zwei oder drei kreuzbeinige Tafeln mit Holzbänken hüben und drüben. An einem Drahte hing über jedem Tisch eine kümmerliche Schirmlampe.

      Männer, die nicht anfuhren, oder ihre Frauen und erwachsenen Töchter kamen in diesem Bau nicht ungern zusammen; denn es war nun der Herbst; und vom Gemäuer des Backhauses her wärmelte es durch den Raum. Weil sie nicht anspruchsvoll waren, empfanden sie dies als Behaglichkeit.

      Es muss aber gesagt werden: den meisten der Leute in der Borinage erging es wie den Pflanzen zwischen den Halden — sie kümmerten durch ihr Dasein und waren kärglich an Leib und Seele.

      Dazu kam: der neue Prediger war nicht von blendender Kraft des Wortes. Er vermochte nicht, sie emporzureissen aus der Freudlosigkeit ihres Werks und ihrer Tage. Deshalb lagen die Wunder der Welt, die er in seinem Geiste trug, auch nicht am Lichte für sie. Und sie sagten: „Ach, wir sehen wohl, er ist ein guter und gerechter Mensch, aber er ist einer wie wir alle.“

      Das war die gleiche Rede in einfältigeren Worten, die sie dereinst von Jesus von Nazareth sagten: „Wir aber hofften, er sollte Israel erlösen.“

      So war das mit ihm.

      Doch auch dies wandelte sich im Laufe der Tage. Zwar: eine Predigt wurde nicht aus seiner stochernden Rede. Aber es ward ein warmherziges und aufgetanes Lehren und Lernen; wenigstens zwischen ihm und etlichen. Denn dieser Iungmann schloss ihnen Türen der Welt auf, von denen sie gar nicht gewusst hatten, dass dahinter Gotteswunder an Gotteswunder gehäuft sei.

      Zu allen Zeiten war er für seine Gemeinde da; denn immer waren etliche, die mit ihm reden wollten, zwischen den Schichten. So war es wenigstens bis zu dem Tage, an dem die grosse Krankheit über die Borinage fiel. Bis dahin kamen sie zu ihm: so gut es gehen mochte, äusserlich bereitet für eine Stunde von hellerem Schein. Auch mit gewaschenen Gesichtern und Händen — so gut es gehen mochte.

      Manche von ihnen hatten einen frohen Kirchenglauben. Die vernahmen gern von den Verheissungen, die ihrer warteten in der Erfüllung. Die Welt nämlich mit ihren Lockungen lag weiter hinaus für sie und unerreichbarer als die selige Ewigkeit, die ganz voll Glanz ist und ohne Kohlen, ohne Qualm, ohne Staub. Darüber wollten sie von ihm hören.

      Da musste er ihnen sagen, wie er sich die Erfüllung dachte.

      Er aber hätte viel lieber von der Erde gesprochen. Und wie sie selbst schon voller Wunder ist. Dafür aber fand er keine grosse Gemeinde. Das kam wohl daher, dass er jenseits der Sterne nun doch nicht so sicher daheim war. Immerhin. Er sagte ihnen auch: „Die Bibel, das ist der höchste Berg der Erde. Man kann von seinem Gipfel aus sehen bis in das Herz Gottes. Ja, das kann man, ihr Leute! Hinwiederum: wenn einer seine Augen auf derlei Dinge nur erst eingestellt hat, so kann er auch schon durch den geringen Kelch einer Wiesenblume schauen in alle Weisheit des Herrn. . . Sehet, das möcht’ ich, dass es mit euch dahin komme!“

      Aber: da konnten sie nicht mit! Die kleinen Blumen — wiewohl zwischen den Halden keine blühen mochten — die kleinen Blumen waren ihnen zu nah und zu einfältig. „Wie kann einer von kleinen Blumen reden als von einem Fernrohr ins Herz Gottes?“

      So vermass er sich an ihrem schlichten Verstande. Sie verloren die Geduld, ihm zuzuhören. Und es erhoben sich etliche und vertraten sich zwischen den Tischen ein wenig die Glieder; denn es war in den Tagen vor der grossen Krankheit in der Borinage. Jeden, den sie packte, warf sie drei Wochen aufs Lager. Ihrer viele warf sie auch ins Grab. Einige klagten schon in dieser Zeit über Abgeschlagenheit, über Kopfweh, über Frösteln.

      Während sie sich die klammigen Glieder vertraten, kamen an den schwarzen Innenwänden des Holzhauses ihre noch schwärzeren Schatten herauf mit stössigen Gebärden. Es war ein unheimlich malerisches Leben.

      Nun, im Grunde war dies Leben eine ungeheure Kargheit

      Zuerst fühlte er das nicht. Denn die Hütten der Siedlungen waren von jener heimeligen Art, an die er sich in den drentischen Dörfern gewöhnt hatte. Es waren da die steilen Strohdächer, tief herabgezogen. Und es war auf diesen Dächern das sammetige Moos. Vom Spiele der Sonne und Zeiten wurden auf dies Moos in seiner Heimat alle Farben aus dem Malkasten des Weltenbaumeisters gestrichen. Auch hier fehlte dies Wunder des Lichts nicht ganz. Nicht ganz.

      Manchmal ward er gesehen, wie er vor einer Hütte sass und zeichnete. Oder drinnen bei einer Frau am Herdbrand. Oder bei einer Haustochter. Er gab mit derlei Studien im Zeichnen seinen freien Stunden einen Inhalt.

      Es war nicht viel, was er damals zustande brachte — vielleicht nicht viel; denn er ahnte noch gar nicht, wohin das mit ihm wollte.

      Die Bäckerfrau, seine Nachbarin, dachte nach Weiberart nah und irdisch über dieses neuen Predigers Lust am Zeichnen.

      „Es sind keine schönen Menschen in der Borinage“, sagte sie eines Tages zu ihm. „Die Frauen sind dürr und nicht blank, und sie sind auch


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