Maigret lässt sich Zeit. Georges Simenon

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Maigret lässt sich Zeit - Georges  Simenon


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er habe nicht ein einziges Mal die rechte Hand aus der Tasche genommen. Während des Diebstahls habe er sich nicht vom Fleck bewegt, und nachdem das cremefarbene Auto abgefahren war, sei er in ein Taxi gestiegen.«

      »Hast du der Gemüsehändlerin die Fotos der Verdächtigen gezeigt?«

      »Sie ist drei Stunden mit mir im Erkennungsdienst gewesen, hat aber niemanden wiedererkannt.«

      »Was sagt der Juwelier?«

      »Er rauft sich die wenigen Haare, die er noch hat. Vor drei Tagen, behauptet er, wäre der Diebstahl nicht weiter schlimm gewesen, denn gewöhnlich hat er keine wertvollen Schmuckstücke ausgestellt. Aber letzte Woche hatte er die Gelegenheit, eine Reihe Smaragde zu kaufen, und am Samstagmorgen hat er sich entschlossen, sie im Schaufenster zu präsentieren.«

      Der Kommissar ahnte noch nicht, dass das, was sich an diesem Morgen in seinem Büro abspielte, der Anfang vom Ende eines Falls war, den man später am Quai Maigrets längste Ermittlung nennen würde.

      Manche Vorfälle entwickeln sich auf diese Weise nach und nach zu Legenden. So sprach man zum Beispiel noch immer – und erzählte es den Neuen – von »Maigrets längstem Verhör«, das siebenundzwanzig Stunden gedauert hatte, während dessen der Kellner aus der Brasserie Dauphine pausenlos Bier und Sandwiches gebracht hatte.

      Maigret hatte den Verdächtigen nicht allein mit Fragen bombardiert. Lucas und Janvier hatten ihn abgelöst und das scheinbar endlose Verhör sozusagen immer wieder von vorn begonnen, und doch hatte es irgendwann mit einem umfassenden Geständnis geendet.

      Alle erinnerten sich auch an »Maigrets gefährlichste Verhaftung«. Am helllichten Tag und mitten im Gewimmel der belebten Rue du Faubourg-Saint-Antoine hatte er eine polnische Bande festgenommen, ohne dass auch nur ein einziger Schuss gefallen war, obwohl die Männer bis an die Zähne bewaffnet und fest entschlossen waren, ihr Leben zu verteidigen.

      In Wirklichkeit hatte die Juwelenaffäre für den Kommissar schon vor zwanzig Jahren begonnen, als er sich zum ersten Mal für einen gewissen Manuel Palmari interessierte, einen kleinen Gauner, der aus Korsika stammte und ganz bescheiden als Zuhälter begonnen hatte.

      Es war die Zeit der »Ablösung« gewesen. Die alten Bandenführer, die vor dem Krieg Bordelle oder Spielhöllen besessen und aufsehenerregende Einbrüche angezettelt hatten, setzten sich einer nach dem anderen an den Ufern der Marne oder im Süden zur Ruhe, die weniger vom Glück Begünstigten oder nicht ganz so Gerissenen saßen im Gefängnis von Fontrevault.

      Junge Kerle, die glaubten, sie könnten sich alles erlauben, traten an ihre Stelle. Sie waren dreister als die alten und hielten die aus der Fassung gebrachte Polizei monatelang in Schach.

      Damals hatten die Überfälle auf Kassierer und Juwelendiebstähle am helllichten Tag und in verkehrsreichen Straßen begonnen.

      Man hatte schließlich einige der Täter festgenommen, und die Überfälle hörten eine Zeit lang auf. Dann nahmen sie wieder zu und wieder ab, nur um zwei Jahre darauf umso raffinierter erneut aufzuflammen.

      »Die jungen Burschen, die wir verhaften, sind bloß Handlanger«, hatte Maigret gleich zu Anfang der Überfälle gesagt.

      Nicht nur wurden ihnen von Zeugen jedes Mal andere Gesichter beschrieben, die festgenommenen Männer hatten auch größtenteils keinerlei Vorstrafen. Sie stammten nicht aus Paris, sondern aus der Provinz, vor allem aus Marseille, Toulon oder Nizza, und waren für einen einzigen Coup herbestellt worden.

      Nur ein oder zwei Mal hatte man sich an die großen Juweliergeschäfte an der Place Vendôme und in der Rue de la Paix herangewagt, deren gute Alarmanlagen die Einbrecher aber schnell entmutigt hatten.

      Es dauerte nicht lange, bis sie ihre Methode änderten. Von da an hatten sie es nur noch auf kleinere Juweliere abgesehen, die nicht im Zentrum von Paris, sondern in Außenvierteln oder sogar in Vororten lagen.

      »Und, Manuel?«

      Zehnmal, hundertmal hatte er Palmari schon in die Mangel genommen, erst im Clou-Doré, einer Kneipe in der Rue Fontaine, die Palmari gekauft und aus der er ein Luxusrestaurant gemacht hatte, später in seiner Wohnung in der Rue des Acacias, die er mit Aline teilte.

      Aber Palmari ließ sich nicht aus der Fassung bringen, und so hätte man ihre Gespräche fast für Plauderstündchen zwischen alten Freunden halten können.

      »Setzen Sie sich, Herr Kommissar. Was werfen Sie mir diesmal vor?«

      Mittlerweile ging Manuel auf die sechzig zu und war, seitdem er beim Herunterlassen der Jalousien im Clou-Doré mehrere Kugeln aus einer Maschinenpistole abgekriegt hatte, an den Rollstuhl gefesselt.

      »Kennst du einen Burschen namens Mariani? Er ist ein ziemlich übler Kerl und offenbar auf derselben Insel geboren wie du.«

      Maigret stopfte sich eine Pfeife, denn das dauerte immer lange. Nach all der Zeit war ihm jeder Winkel der Wohnung in der Rue des Acacias so vertraut, als wäre es seine eigene, und ganz besonders das kleine Eckzimmer, das mit Unterhaltungsromanen und Schallplatten vollgestopft war und in dem Manuel seine Tage verbrachte.

      »Was hat er denn angestellt? Und warum geht man schon wieder mir damit auf die Nerven?«

      »Ich bin dir gegenüber immer korrekt gewesen, oder nicht?«

      »Das stimmt.«

      »Ich habe dir sogar den einen oder anderen Gefallen getan …«

      Auch das stimmte. Maigrets Eingreifen hatte Manuel manchen Ärger erspart.

      »Wenn du willst, dass das so bleibt, dann rede …«

      Es kam vor, dass Manuel gesprächig wurde, das heißt, dass er einen Namen verriet.

      »Wissen Sie, es ist nur eine Vermutung. Ich selber habe mir nie die Hände schmutzig gemacht und bin nicht vorbestraft. Ich kenne diesen Mariani nicht persönlich, aber ich habe gehört …«

      »Von wem?«

      »Das weiß ich nicht mehr. Es wird gemunkelt …«

      Seit dem Attentat, bei dem Palmari ein Bein verloren hatte, empfing er sozusagen niemanden mehr. Er wusste, dass sein Telefon überwacht wurde, und führte deshalb nur belanglose Gespräche.

      Außerdem standen, seitdem die Juwelendiebstähle vor einigen Monaten wieder zugenommen hatten, pausenlos Polizisten vor dem Haus in der Rue des Acacias Wache.

      Es waren zwei; der eine hatte den Auftrag, Aline zu folgen, sobald sie das Haus verließ, der andere musste das Haus im Auge behalten.

      »Also gut … Weil Sie es sind … In der Nähe von Lagny gibt es einen Gasthof, den Namen habe ich vergessen. Er wird von einem alten, fast tauben Mann und seiner Tochter betrieben. Soviel ich weiß, ist Mariani ganz versessen auf das Mädchen, weshalb er gern dort absteigt …«

      Aber jedes Mal, wenn Palmari in den letzten zwanzig Jahren anzumerken gewesen war, dass sein Vermögen zugenommen hatte, war es kurz zuvor auch zu einer Häufung von Juwelendiebstählen gekommen.

      »Hat man den Wagen gefunden?«, fragte Maigret Janvier.

      »In einer kleinen Straße nicht weit von Les Halles.«

      »Fingerabdrücke?«

      »Keinen einzigen. Moers hat sie sozusagen mit der Lupe gesucht.«

      Es war Zeit für den Rapport, und Maigret gesellte sich zu den anderen Kommissaren ins Büro des Direktors.

      Jeder schilderte kurz den Fall, mit dem er gerade beschäftigt war.

      »Und Sie, Maigret?«

      »Wissen Sie, Herr Direktor, wie viele Juweliergeschäfte es in Paris gibt, ganz zu schweigen von denen in den Vororten? Mehr als dreitausend. Einige von ihnen stellen nur Schmuck und Uhren von geringem Wert aus. Trotzdem kann man grob geschätzt sagen, dass die Auslagen von an die tausend Juweliergeschäften eine organisierte Diebesbande interessieren könnten.«

      »Was schließen Sie daraus?«

      »Nehmen


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