Farm der Tiere. Eine Märchenerzählung. George Orwell

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Farm der Tiere. Eine Märchenerzählung - George Orwell


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die dir eine Stütze und eine Freude im Alter hätten sein sollen? Jedes wurde verkauft, als es ein Jahr alt war – keines von ihnen wirst du jemals wiedersehen. Was hast du für deine viermalige Niederkunft und für all die Arbeit auf den Feldern je erhalten außer knappe Rationen und ein Dach überm Kopf?

      [12]Und das elende Leben, das wir führen, darf nicht einmal seinen natürlichen Lauf vollenden. Was mich selbst anbelangt, will ich nicht murren, bin ich doch einer der Glücklichen. Ich bin zwölf Jahre alt und habe mehr als vierhundert Kinder gezeugt. Das ist das natürliche Leben eines Schweines. Doch am Ende entgeht kein Tier dem grausamen Messer. Ihr jungen Mastschweine, die ihr hier vor mir sitzt, binnen eines Jahres wird sich ein jedes von euch auf dem Block das Leben aus dem Halse schreien. Gegen dieses Grauen ist keiner von uns gefeit – weder Kühe noch Schweine, Hühner, Schafe, niemand. Selbst die Pferde und die Hunde kennen kein besseres Schicksal. Dich, Boxer, wird Jones an dem Tag, an dem deine starken Muskeln ihre Kraft einbüßen, an den Abdecker verkaufen, der dir die Kehle durchschneiden und dich einkochen wird für die Jagdhunde. Was die Hunde betrifft, so wird ihnen Jones, wenn sie alt und zahnlos werden, einen Ziegelstein um den Hals binden und sie im nächsten Teich ertränken.

      Ist es nicht sonnenklar, Genossen, dass alle Übel unseres Lebens der Tyrannei menschlicher Wesen entspringen? Lasst uns den Menschen abschütteln, und die Früchte unserer Arbeit werden uns gehören. Fast über Nacht könnten wir reich und frei werden. Was also müssen wir tun? Tag und Nacht mit Leib und Seele auf den Sturz der Menschheit hinarbeiten! Das ist meine Botschaft an euch, Genossen: Rebellion! Ich weiß nicht, wann es zu dieser Rebellion kommen wird, vielleicht in einer Woche oder in hundert Jahren, aber so gewiss, wie ich das Stroh unter meinen Füßen sehe, weiß ich, dass früher oder später Gerechtigkeit walten wird. Darauf, Genossen, richtet für den kurzen Rest eures Lebens euren Blick! Vor allem aber gebt diese meine [13]Botschaft an diejenigen weiter, die nach euch kommen, damit künftige Generationen den Kampf fortsetzen, bis er siegreich ist.

      Und denkt daran, Genossen, eure Entschlossenheit darf niemals nachlassen. Kein Argument darf euch in die Irre führen. Hört nicht darauf, wenn sie euch einreden wollen, Mensch und Tier hätten ein gemeinsames Interesse, der Wohlstand des einen sei der Wohlstand des anderen. Das alles sind Lügen. Der Mensch dient den Interessen keines Geschöpfes außer sich selbst. Und unter uns Tieren sollte vollkommene Einigkeit herrschen, vollkommene Kampfgenossenschaft. Alle Menschen sind Feinde. Alle Tiere sind Genossen.«

      In diesem Moment entstand ein gewaltiger Aufruhr. Noch während Major sprach, waren vier große Ratten aus ihren Löchern gekrochen, saßen jetzt auf ihrem Hinterteil und hörten ihm zu. Plötzlich hatten die Hunde sie erspäht, und nur durch einen schnellen Sprung in ihre Löcher retteten die Ratten ihr Leben. Major hob einen Huf und gebot Schweigen.

      »Genossen«, sagte er, »das ist ein Punkt, der geklärt werden muss. Die wilden Geschöpfe wie Ratten und Kaninchen – sind sie unsere Freunde oder unsere Feinde? Lasst uns darüber abstimmen. Ich lege der Versammlung folgende Frage vor: Sind Ratten Genossen?«

      Die Abstimmung erfolgte sogleich, und mit überwältigender Mehrheit wurde entschieden, dass Ratten Genossen seien. Es gab nur vier Andersdenkende, die drei Hunde und die Katze, von der sich später herausstellte, dass sie sowohl mit Ja als auch mit Nein gestimmt hatte. Major fuhr fort:

      [14]»Sehr viel mehr habe ich nicht zu sagen. Ich wiederhole nur: Denkt stets an eure Pflicht zur Feindschaft gegenüber dem Menschen und all seinen Gebräuchen. Was auch immer auf zwei Beinen läuft, ist ein Feind. Was auf vier Beinen läuft oder Flügel hat, ist ein Freund. Und denkt daran, dass es im Kampf gegen den Menschen nicht dazu kommen darf, dass wir ihm ähnlich werden. Selbst wenn ihr ihn besiegt habt, macht euch seine Laster nicht zu eigen. Kein Tier darf jemals in einem Haus wohnen, in einem Bett schlafen, Kleidung tragen, Alkohol trinken, Tabak rauchen, Geld anrühren oder Handel treiben. Alle Gewohnheiten des Menschen sind böse. Vor allem aber darf kein Tier jemals seinesgleichen tyrannisieren. Schwach oder stark, klug oder eher schlicht, wir alle sind Brüder. Kein Tier darf jemals ein anderes Tier töten. Alle Tiere sind gleich.

      Und nun, Genossen, werde ich euch von meinem Traum der letzten Nacht erzählen. Ich kann euch diesen Traum nicht beschreiben. Es war ein Traum von der Erde, wie sie einmal sein wird, wenn der Mensch verschwunden ist. Aber er erinnerte mich an etwas, das ich längst vergessen hatte. Vor vielen Jahren, als ich noch ein kleines Ferkel war, sangen meine Mutter und die anderen Sauen immer wieder ein altes Lied, von dem sie nur die Melodie und die ersten drei Wörter behalten hatten. Diese Melodie war mir in meiner Kindheit bekannt, dann aber lange entfallen. In meinem Traum letzte Nacht fiel sie mir jedoch wieder ein. Mehr noch, auch die Worte des Liedes fielen mir wieder ein – Worte, da bin ich mir sicher, die von den Tieren in alten Zeiten gesungen wurden und schon vor Generationen in Vergessenheit geraten waren. Dieses Lied will ich euch jetzt vorsingen, Genossen. Ich bin alt, und meine Stimme [15]ist heiser, aber wenn ich euch die Melodie beigebracht habe, könnt ihr sie selbst besser singen. Es heißt ›Tiere Englands‹.«

      Old Major räusperte sich und begann zu singen. Seine Stimme war, wie er gesagt hatte, heiser, aber er sang doch recht leidlich, und es war eine mitreißende Melodie, ein Mittelding zwischen »Oh My Darlin’ Clementine« und »La Cucaracha«. Die Worte lauteten:

      Tiere Englands, Tiere Irlands,

      Tiere aller Länder, Breiten,

      Höret meine frohe Kunde

      Von den künft’gen gold’nen Zeiten.

      Seid gewiss, der Tag wird kommen,

      Da wir stürzen den Tyrannen,

      Von den satten Fluren Englands

      Werden wir den Menschen bannen.

      Keine Ringe durch die Nasen,

      Auf dem Rücken kein Geschirr,

      Sporen und Gebiss verrosten,

      Keine Peitsche wird mehr schwirr’n.

      Reichtum über alle Maßen,

      Weizen, Gerste, Hafer, Klee,

      Bohnen, Heu und Mangoldwurzeln

      Werden unser sein, juchhe!

      Englands Felder werden leuchten,

      Reiner seine Wasser sein,

      [16]Lauer seine Lüfte wehen,

      Wenn vom Joch wir uns befrei’n.

      Diesen Tag gilt’s zu erkämpfen,

      Droht uns vorher auch der Tod;

      Kühe, Pferde, Puten, Gänse:

      Für die Freiheit, gegen Not!

      Tiere Englands, Tiere Irlands,

      Tiere aller Länder, Breiten,

      Hört und predigt diese Kunde

      Von den künft’gen gold’nen Zeiten.

      Das Singen dieses Liedes versetzte die Tiere in die wildeste Aufregung. Noch bevor Major zu Ende gesungen hatte, stimmten sie es schon selber an. Sogar die Dümmsten unter ihnen hatten sich die Melodie bereits angeeignet und einige Worte aufgeschnappt, und was die Schlauen anbelangte, etwa die Schweine und die Hunde, so hatten sie das ganze Lied binnen weniger Minuten auswendig gelernt. Und dann, nach einigen ersten Anläufen, schmetterte die ganze Farm in einem gewaltigen Chor »Tiere Englands«. Die Kühe muhten es, die Hunde kläfften es, die Schafe blökten es, die Pferde wieherten es, die Enten quakten es. So begeistert waren sie von dem Lied, dass sie es fünfmal hintereinanderweg sangen und es vielleicht die ganze Nacht hindurch gesungen hätten, wären sie nicht unterbrochen worden.

      Unglücklicherweise weckte der Aufruhr Mr Jones, der in der Überzeugung, dass sich ein Fuchs auf den Hof geschlichen hatte, aus dem Bett sprang. Er ergriff die Schrotflinte, [17]die stets in einer Ecke seines Schlafzimmers stand, und feuerte einen Posten in die Dunkelheit. Die Kugeln bohrten sich in die Scheunenwand, und die Versammlung löste sich eilends auf. Jeder floh zu seinem eigenen Schlafplatz. Die Hühner hüpften auf ihre Sitzstangen, die Säugetiere ließen sich im Stroh nieder,


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