Die Morde in der Rue Morgue und andere Erzählungen. Эдгар Аллан По

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Die Morde in der Rue Morgue und andere Erzählungen - Эдгар Аллан По


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sogleich hinunter zu meinem Kopf. Mit großer Genugtuung nahm er eine Prise und schenkte mir als Entgegnung ein anerkennendes Lächeln. Kurz darauf hielt er mir eine Rede, die ich ohne Ohren nur undeutlich vernehmen konnte. Ich schnappte jedoch genug auf, um zu wissen, dass mein Wunsch, unter solchen Umständen am Leben zu bleiben, ihn erstaunte. In den abschließenden Sätzen zitierte er das berühmte Wort des Ariost

      Il pover hommy che non sera corty

      And have a combat tenty erry morty

      und verglich mich auf diese Weise mit dem Helden, der, da er in der Hitze des Gefechts nicht bemerkte, dass er tot war, fortfuhr, die Schlacht mit unauslöschlicher Tapferkeit zu schlagen. Es gab nun nichts, was mich daran gehindert hätte, von meiner Erhöhung herabzusteigen, und so tat ich es. Was genau Pompey so besonders seltsam an meiner Erscheinung fand, war ich bislang nie in der Lage herauszufinden. Der Kerl öffnete seinen Mund von einem Ohr zum andern und schloss beide Augen so fest, als wollte er versuchen, Nüsse zwischen den Lidern zu knacken. Schließlich warf er seinen Überrock von sich, machte einen Satz nach dem Treppenhaus und verschwand. Ich schleuderte dem Schurken diese heftigen Worte des Demosthenes nach:

      Andrew O’Phlegethon, du beeilst dich wahrlich zu fliehen!

      und wandte mich dann dem Liebling meines Herzens zu, der einäugigen, der zottelhaarigen Diana. Ach, welch entsetzlicher Anblick bot sich meinen Augen! War das eine Ratte, die ich in ihrem Loch sich verstecken sah? Sind dies die abgenagten Knochen des kleinen Engels, der von dem Ungeheuer grausam verschlungen worden ist? Ihr Götter! Und was muss ich da gewahren – ist das die dahingeschiedene Seele, der Schatten, der Geist meines geliebten Hündchens, die ich mit solch schwermütigem Liebreiz in der Ecke sitzen sehe? Horch! denn sie spricht, und, beim Himmel, es ist in dem Deutsch Schillers:

      Unt stubby duk, so stubby dun

      Duk she! duk she!

      Ach! und sind nicht ihre Worte nur zu wahr?

      Und sterb’ ich doch, so sterb’ ich denn

      Durch sie – durch sie!

      Süßes Geschöpf! Auch sie hat sich für mich geopfert. Hundlos, negerlos, kopflos, was bleibt der unglücklichen Signora Psyche Zenobia nun? Ach – nichts! Ich bin am Ende.

      1838 Übersetzung von Erika Engelmann

      Der Untergang des Hauses Usher

       Son cœur est un luth suspendu;

       Sitôt qu’on le touche il résonne.

      Sein Herz ist eine schwebende Laute;

      Berühre sie, und sie ertönt.

      DE BÉRANGER55

      Einen ganzen trüben, dunklen und stillen Herbsttag lang, als die Wolken drückend tief am Himmel hingen, war ich ganz für mich durch einen seltsam öden Landstrich geritten und befand mich in Sicht des düsteren Stammsitzes der Usher, als die Abendschatten länger wurden. Ich weiß nicht, wie es kam – aber beim ersten Blick auf das Gebäude überkam ein Gefühl unerträglicher Schwermut meinen Sinn. Ich sage unerträglich, denn dieses Gefühl wurde nicht durch den mindesten angenehmen, weil dann poetischen Schimmer gemildert, mit dem das Gemüt noch die unfreundlichsten Natureindrücke der Verlassenheit oder des Schauerlichen in sich aufzunehmen pflegt. Ich betrachtete die Szene vor mir – das Haus selbst mit dem anspruchslosen landschaftlichen Hintergrund einer Domäne – die kahlen Mauern – die leeren Fenster, die hohlen Augen glichen – ein paar dichte Schilfgruppen – einige wenige weißliche, abgestorbene Baumstämme – mit tiefster seelischer Bedrücktheit, die ich mit keiner anderen besser vergleichen kann, die es auf Erden gibt, als mit der des Nach-Traums eines Opiumsüchtigen – mit dem bitteren Sprung zurück ins Leben des Alltags – dem furchtbaren Zerreißen des Vorhangs. Eiseskälte, Widerwille, Beklommenheit krochen in mein Herz, meinen Sinn verdunkelte eine durch nichts abzuschwächende Düsterkeit, die kein Ansporn der Phantasie zu etwas Erhebenderem emporquälen konnte. Was war es – ich hielt an, um nachzudenken –, das mich beim Betrachten des Hauses Usher so entnervte? Es war ein ganz und gar unlösbares Rätsel; auch konnte ich nicht mit den schattenhaften Vorstellungen fertig werden, die auf mich eindrangen, während ich grübelte. Ich war gezwungen, einen unbefriedigenden Schluss zu ziehen: während es zweifellos ein Zusammentreffen von an sich ganz gewöhnlichen Naturdingen gibt, denen die Macht innewohnt, uns auf diese Weise zu beeindrucken, dringt unsere Analyse dieser Macht nicht so tief, dass wir darüber begründete Betrachtungen anstellen könnten. Es wäre durchaus möglich, sagte ich mir, dass ein verschiedenartiger Aufbau der Besonderheiten des Bildes, der Einzelheiten der Szenerie genügt hätten, den traurigen Eindruck einzuschränken oder ihn vielleicht sogar aufzuheben. Ich handelte nach dieser Idee, lenkte das Pferd an den Steilrand eines schwärzlichen, unheimlichen Teichs, der sich mit ungetrübter Oberfläche vor dem Haus breitete, und schaute – aber nur mit noch lebhafterem Schauder – auf die darin wiedergegebenen umgekehrten Bilder des grauen Schilfs, der geisterhaften Stämme und der leeren Höhlen der Fenster.

      Trotzdem fasste ich den Vorsatz, in diesem Haus der Düsterkeit für einige Wochen Aufenthalt zu nehmen. Sein Besitzer, Roderick Usher, war in meiner Knabenzeit einer meiner munteren Spielkameraden gewesen, aber seit unserem letzten Zusammentreffen waren viele Jahre vergangen. In einem entfernten Landesteil hatte mich vor kurzem ein Brief erreicht – ein ungestüm dringlicher Brief von ihm, der keine andere Antwort als persönliches Erscheinen zuließ. Die Handschrift zeugte von nervöser Aufgeregtheit. Der Schreiber sprach von akuter körperlicher Krankheit – von geistigen Störungen, die ihn bedrückten – und von dem ernstlichen Verlangen, mich, seinen besten und wirklich einzigen Freund, wiederzusehen; es sei seine Absicht, mit Hilfe meines freundlichen Wesens einen Versuch zu unternehmen, eine gewisse Erleichterung seines krankhaften Zustandes zu erreichen. Es war die besondere Art, in der er dies und manches andere sagte, ein offenbares Herzensbedürfnis, das in seiner Bitte schwang – was mir gar keine Gelegenheit gab, noch zu zögern; so entsprach ich unverzüglich seiner Aufforderung, auch wenn ich sie trotz allem für etwas seltsam hielt.

      Obwohl wir als Knaben eng verbunden gewesen waren, wusste ich doch eigentlich wenig von meinem Freund. Seine Zurückhaltung war immer etwas übertrieben gewesen und entsprach seiner Veranlagung. Ich wusste aber, dass seine sehr alte Familie von jeher für besondere Feinfühligkeit im Wesen bekannt war, die sich im Lauf der Zeiten in vielen Werken hoher Kunst manifestiert und sich neuestens auch in wiederholten großzügigen und doch unaufdringlichen Akten von Wohltätigkeit gezeigt hatte. Auch hatten sich die Usher leidenschaftlich der Musik gewidmet, wobei ihnen vielleicht knifflige theoretische Dinge wichtiger waren als die allgemein anerkannten und leicht zu erfassenden Schönheiten dieser Kunst. Ich hatte auch von der bemerkenswerten Tatsache erfahren, dass der zu allen Zeiten hochgeschätzte Stamm der Usher nie eine lebensfähige Seitenlinie hervorgebracht habe; mit anderen Worten, alle Mitglieder der Familie stammten mit wenigen und nur kurz dauernden Ausnahmen direkt voneinander ab. Dieser Mangel an Nebenlinien, überlegte ich, während ich die unberührte Erhaltung des Landsitzes neben die der Familie allgemein zugeschriebene Eigenart stellte und über den möglichen Einfluss nachdachte, den ersteres im Lauf der Jahrhunderte auf den Familiencharakter ausgeübt hatte – dieser Mangel und der daraus folgende unentwegte Übergang des Erbes zusammen mit dem Namen vom Vater auf den Sohn hatten wahrscheinlich dazu geführt, dass beides, die ursprüngliche Bezeichnung für das Anwesen und der eigentliche Familienname, im Bewusstsein der Leute in den altmodischen Begriff von zweierlei Bedeutung, ›Haus Usher‹ verschmolzen war, den sie für die Familie und das Herrenhaus verwendeten.

      Ich habe bereits gesagt, dass das ganze Ergebnis meines etwas kindischen Experiments – einen Blick in den Teich zu tun – darin bestand, den ersten seltsamen Gesamteindruck zu vertiefen. Das Bewusstwerden der Zunahme meines Aberglaubens – warum sollte ich es nicht so bezeichnen? – diente zweifellos dazu, ihn noch schneller anwachsen zu lassen. Dies ist, wie ich seit langem weiß, das paradoxe Gesetz aller Gefühle, denen Furcht zugrunde liegt. Wohl deswegen entstand in mir, als ich vom Bild des Hauses im Wasser den Blick wieder zu ihm hob, eine merkwürdige Vorstellung – eine Vorstellung, die so lächerlich ist, dass ich sie nur erwähne, um die Macht


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