Ausgewählte Briefe. Augustinus von Hippo
Читать онлайн книгу.Du schreibst, du habest mehr Briefe mir geschickt, als ich empfangen habe; und ich kann dir so wenig Glauben verweigern wie du mir. Mag ich auch mitunter in der Beantwortung etwas nachlässig sein, so werden doch deine Briefe mit eben der Sorgfalt von mir aufbewahrt wie von dir abgefertigt. Daß du aber nicht mehr als zwei einigermaßen ausführliche Briefe14 von mir empfangen hast, darüber sind wir wieder einig; denn ein drittes Schreiben habe ich noch nicht abgeschickt. Als ich die Abschriften durchlas, habe ich gemerkt, daß ich damit auf ungefähr fünf von deinen Fragen geantwortet und nur eine so nebenbei berührt habe; wenn ich dabei ihre Lösung, gewiß nicht mit Unrecht, deinem Scharfsinne überlassen habe, so war allerdings damit deine Wißbegierde offenbar nicht befriedigt. Doch mußt du sie ein wenig zügeln und es willig annehmen, wenn ich einiges kurz zusammenfasse. Wenn ich jedoch durch Kargheit in den Worten das Verständnis der Sache beeinträchtige, so schone meiner nicht, sondern fordere die ganze Schuld mit jenem Rechte, dessen Ansprüche mir vielleicht nicht so gewichtig erscheinen würden, wenn mir ihre Erfüllung nicht so angenehm wäre. Diesen Brief nun wirst du zu den kleineren zählen, die dich nicht zur Antwort zwingen, meine Antwortsschuld aber nicht verringern15. Du freilich schickst keine kleineren Briefe, die meine Schuld nicht vergrößern würden. — Was nun deine Frage über den Sohn Gottes anbetrifft, warum nämlich ihm mehr als dem Vater die Menschwerdung zugeschrieben werde, da doch beide eins sind, so wirst du dies sehr leicht einsehen, wenn du dich unserer Bemerkungen erinnerst, durch die wir, so viel es bei einer so unaussprechlichen Sache möglich ist, das Wesen des göttlichen Sohnes, dem wir einverleibt sein möchten, erklären wollten. Um es hier kurz anzudeuten, das Bildende und Gestaltende in Gott16, wodurch alles geschaffen ist, was geschaffen ist, wird Sohn genannt. Was aber immer durch die Menschwerdung geschah, das ist zu unserer Belehrung und Unterweisung geschehen.
VIII. (Nr. 13.) An Nebridius
Geschrieben im Jahre 389.
An Nebridius.
Inhalt. Nebridius hatte an Augustinus die Frage gestellt, ob die vom Leibe getrennte Seele nicht eine Art von Leiblichkeit besitze und wie diese zu denken sei. Augustinus erklärt diese Frage für durchaus unlösbar und deshalb unnütz. — Da Augustinus in diesem Briefe des Winters und eines vorausgegangenen Besuches bei Nebridius erwähnt, so ist er offenbar später als die vorausgegangenen geschrieben.
1.
Alltägliches mag ich nicht, Neues kann ich dir nicht schreiben; denn jenes genügt dir nicht, wie ich sehe, zu diesem aber fehlt mir die Zeit. Denn seit ich dich verlassen habe, war mir keine Muße gegeben, keine Gelegenheit, um das, was wir miteinander zu untersuchen pflegen, weiter zu erwägen und zu überlegen. Die Winternächte sind zwar lang, und ich gedenke keineswegs, sie ganz mit Schlafen hinzubringen; aber wenn ich Ruhe habe, so denke ich lieber an das, was notwendig der Ruhe ein Ende machen muß. Was soll ich also tun? Soll ich gegen dich stumm oder verschwiegen sein? Weder du noch ich wollen das. Wohlan also! Empfange denn, was der letzte Rest der Nacht mir zu entlocken vermochte, soweit sie nämlich, während ich dieses schrieb, verstrich.
2.
Du mußt dich nämlich erinnern, daß wir oft miteinander über eine gewisse immerwährende Leiblichkeit der Seele oder eine Art von Leib der Seele, den, wie du dich erinnerst, einige das Fahrzeug der Seele nennen, gesprochen haben; du weißt wohl auch, daß uns diese Sache sehr in Anspruch nahm und in Hitze brachte. Offenbar ist dies aber dem Verstande nicht faßbar, da es sich um eine räumliche Bewegung handelt. Was aber dem Verstande nicht faßbar ist, das kann man überhaupt nicht erkennen. Wenn sich aber etwas dem Verständnis entzieht, so ist es doch, wofern die Sache wenigstens den Sinnen zugänglich ist, nicht durchaus unmöglich, sich darüber irgendeine wahrscheinliche Meinung zu bilden. Wenn aber etwas ebensowenig dem Verstande als den Sinnen zugänglich ist, so kann man darüber nur eine verwegene und wertlose Meinung hegen; und so ist es im vorliegenden Fall, wofern er überhaupt vorliegt. Warum also, ich bitte dich, geben wir nicht diese armselige Streitfrage auf und wenden uns nach inbrünstiger Anrufung Gottes zur höchsten Klarheit der Natur, die den Gipfel des Lebens darstellt?
3.
Hier könntest du vielleicht einwenden: „Obwohl die Körper eigentlich nicht begriffen werden können, so kann man doch mit dem Verstande vieles begreifen, was sich auf die Körper bezieht, z, B. die Existenz eines Körpers. Denn wer sollte diese Behauptung leugnen oder sie nur für wahrscheinlich, nicht für wahr erklären? Wenn also auch das Wesen eines Körpers nur mit Wahrscheinlichkeit erkannt werden kann, so ist doch die Existenz eines solchen Körpers in der Natur unbestreitbar. Deshalb erklärt man die Körper für sinnlich wahrnehmbar, die Existenz der Körper aber für geistig erkennbar; denn anders könnten sie nicht begriffen werden. So weiß ich nicht, was jener fragliche Körper sei, dessen sich die Seele bedienen soll, um sich von einem Orte zum anderen zu bewegen, wiewohl er, wenn auch nicht unseren Sinnen, so doch gewissen anderen weit kräftigeren Sinnen wahrnehmbar sein mag; ob er aber wirklich existiere, kann nur geistig erschlossen werden.“
4.
Wenn du diesen Einwurf machst, so erinnere dich bitte daran, daß das, was wir ‚erkennen’ heißen, in uns auf zweierlei Weise geschieht: entweder innerlich durch den Verstand und die Vernunft selbst, so z. B. wenn wir erkennen, daß es eine Erkenntnis gibt, oder durch Anregung von seiten der Sinne, z. B. wenn wir, wie bereits gesagt, erkennen, daß ein Körper vorhanden ist. Von diesen beiden Erkenntnisarten vollzieht sich die eine durch uns selbst, d. h. indem wir, so viel an uns liegt, Gott zu Rate ziehen. Die zweite Art aber vollzieht sich, indem die körperlichen Dinge und die Sinneswahrnehmungen auf uns einwirken, wobei wir nichtsdestoweniger ebenfalls Gott zu Rate ziehen müssen. Wenn sich dies nun so verhält, so kann niemand wissen, ob es einen solchen Körper gibt, außer es hätten ihm die Sinne hierüber Auskunft gegeben. Da wir aber über seine Existenz keine Gewißheit haben können, so glaube ich auch durchaus, daß, wie ich schon vorher sagte, die Frage, zu welcher Gattung von Wesen er — seine Existenz vorausgesetzt — gehöre, nicht von uns zu lösen sei. Möchtest du dies wiederholt bedenken und mich wissen lassen, zu welchem Ergebnis du hierbei gekommen bist.
IX. (Nr. 14.) An Nebridius
Geschrieben im Jahre 389.
An Nebridius. Inhalt. Nebridius hatte gefragt, warum die Sonne so sehr von den übrigen Gestirnen sich unterscheide. Augustinus erwidert durch den Hinweis auf die Verschiedenheit der Individuen in derselben Gattung und weist schließlich der Sonne eine ähnliche Stellung unter den Gestirnen an, wie sie Christus unter den Menschen einnehme. Dies führt ihn darauf, auch die Frage des Nebridius kurz zu beantworten, ob Christus nur die menschliche Natur im allgemeinen oder die Natur eines jeden einzelnen Menschen angenommen habe.
1.
Ich ziehe es vor, deine letzten Briefe zu beantworten, nicht als ob ich deinen früheren Anfragen keine Aufmerksamkeit schenken wollte oder als ob sie mir geringere Freude gemacht hätten, sondern weil mir ihre Beantwortung größere Schwierigkeiten macht, als du vermutest. Du hast zwar verlangt, ich solle dir einen längeren Brief senden, worunter du einen sehr langen verstehst; doch haben wir nicht so viel Muße, als du meinst und wir immer — du weißt es! — gewünscht haben und noch wünschen. Frage nicht, warum es sich so verhält. Leichter könnte ich erklären, was mich hindert, als warum es mich hindert.
2.
Du verlangst in deinem Briefe zu wissen, woher es wohl komme, daß du und ich, obwohl wir zwei gesonderte Wesen sind, in so vielen Stücken das gleiche tun, während die Sonne nicht das gleiche tut wie die übrigen Gestirne; du wünschest, ich möchte den Grund hiervon angeben. Also — wir tun das gleiche; auch die Sonne tut vieles gemeinsam mit den übrigen Gestirnen. Sie tut es nicht,