Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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Nur ein Stand hat bei dem Wechsel gewonnen: die Fürsten.« Blutige Schatten winden sich aus der Nacht! Münzer, Hubmaier und viele andere, zerrissen von der Folter, erschlagen, verbrannt, ertränkt. Was wollt ihr von mir? Habe ich euch zur Schlachtbank geführt? Warum habt ihr die Welt verwirrt mit unsinnigen Lehren? »War es unsinnig, daß wir die Kirche nicht dem weltlichen Regiment ausliefern wollten? Wäre es nicht besser, daß der römische Papst sie regierte, als daß die Fürsten es tun? Siehst du nicht, daß der Antichrist, da er aus der Kirche ausgetrieben ist, in den Staat schlüpft? Wie stimmt die Staatskirche zu deiner Lehre vom allgemeinen Priestertum, vom Recht der Gemeinde, ihre Hirten selbst zu wählen? Ist es fein, daß die Säufer, die Wüteriche, die Hanswurste in das Wort Gottes hineinpfuschen, Predigern befehlen und ihre Untertanen heute Weiß und morgen Schwarz glauben lassen? Unseliger, wie willst du dich rechtfertigen, wenn Gott die Seele deines Volkes von dir fordert?«

      Ich habe es nicht gewollt. Es ist Menschenlos, daß wir den Fuß setzen, wo wir Raum finden, wir gehen enge, steile Pfade und merken plötzlich, daß wir in eine Schlinge geraten sind. Und doch müssen wir weiter und müssen den Fuß immer mehr in die Schlinge verwickeln. Wer stand mir in meinem Kampfe bei? Nur Fürsten hatten den Willen dazu und die Macht. Ich sah wohl, um was es ihnen zu tun war: auch die besten wollten nicht nur das reine Wort Gottes, sondern ein gestärktes und bereichertes Fürstentum dazu. Sie wollen tafeln und jagen und schöne Frauen liebhaben, und Gott soll Segen dazu geben. Wo aber ist denn einer, dem ich die Kirche freudig übergeben könnte? Der Papst ein Wolf, die Fürsten Wölfe, das Volk eine Herde von Wölfen und Schafen. Wenn der Glaube leidet und die Völker leiden, ach, ich leide mehr als alle. Meine Feinde sagen, daß ich den Fürsten geschmeichelt habe, daß ich sie beschimpfe, solange sie dem Papst anhängen, und sie zu Göttern mache, wenn sie lutherisch werden. Muß denn nicht eine Ordnung sein? Muß nicht irgendwo Befehl und eine Macht sein, dem Befehl Gehorsam zu verschaffen?

      »Mag das in weltlichen Dingen sein; aber im Glauben? Hast du nicht selbst gesagt, daß Gott den Glauben gibt? Daß der Glaube sich nicht zwingen läßt? Daß jeder mit seinem Glauben selbst vor Gott stehen muß? Kein Priester solle sich zwischen Gott und den Menschen drängen? Aber nun hast du die Fürsten dazwischengeschoben. Wenn heute ein Fürst deinen Katechismus aufrichtet, müssen seine Untertanen nach deinem Katechismus beten; wenn er morgen stirbt und sein Sohn den Thron besteigt, müssen sie deinen Katechismus auf den Kehricht werfen und nach einem anderen beten, den du verfluchst. Dahin ist es mit deiner neuen Lehre von der Obrigkeit und mit deiner Erkenntnis Gottes gekommen. Mögen alle Menschen Kinder Gottes sein, die Fürsten sind selbst Götter. Sie haben es endlich durch dich erreicht, daß sie niemanden mehr über sich haben, nicht den Kaiser und nicht Gott. Von ihnen empfangen die Völker den Glauben; der Gott im Himmel ist ihnen ferner gerückt als jemals. Im Papsttum haben die versammelten Priester über den Glauben der Völker entschieden, jetzt entscheidet ein einziger Laie in den Stunden, wo er nicht betrunken ist. Du sagst, es muß eine Obrigkeit sein. Warum durftest du dich denn dem Papst widersetzen, der deine Obrigkeit war? Warum dürfen sich die Fürsten dem Kaiser widersetzen, der ihre Obrigkeit ist? Warum die Gemeinden den Bischöfen, die ihre Obrigkeit sind? Ist die Freiheit nur für dich und für das deutsche Volk die Knechtschaft? Als die Bauern den Kopf unter das Beil legen mußten, wandtest du dich ab und sagtest: ihnen geschieht recht.

      Wiederum Schatten, Bauern, triefend von Blut und Schweiß, ausgestoßen, verlassen von Gott und den Menschen. Rohe einfältige Bauern; aber sind sie nicht auch Ebenbilder Gottes? Hattest du ihnen nicht eine bessere Zukunft verheißen?

      Ist das nun das Glück und die Freiheit und der Reichtum des deutschen Volkes, die ihnen werden sollten, wenn die Herrschaft des Papstes gebrochen wäre? Wenn das Geld nicht mehr nach Rom und in die Ablaßkästen flösse? Nun fließt das Geld des Volkes in die Kisten der Fürsten, damit sie desto mehr fressen und saufen können. Der Adel zieht die Stiftungen ein, die seine Väter der Kirche machten zur Ehre Gottes und zur Unterstützung der Armen. Vielleicht werden einige Schulen davon gegründet; aber die Lehrer und die Geistlichen darben. Während die Fürsten ihre Schlösser mit unnützem Prunk füllen, verelenden die Bauern und verarmen die Städte. Aber Reichtum und Armut zusammen wird der Bürgerkrieg verschlingen. Denn wer aufmerksam horcht, vernimmt ein gedämpftes Klirren von Waffen und huschende Schritte von Knechten, die zu den Werbeplätzen eilen. Wenn der Türke den rechten Augenblick erspäht, wird er über den Trümmern des Reichs, das sich selbst zerfleischt, seine Herrschaft aufrichten. Niemals wäre Einigkeit so nötig gewesen wie jetzt. Im Osten ist ein Wall nach dem andern gefallen, die heidnische Flut wälzt sich heran.«

      Habe ich denn Uneinigkeit gewollt? Habe ich das Reich auseinanderreißen wollen? War einer im Reich, der die Reform nicht wollte? Warum haben sie das Wort Gottes nicht vernommen?

      »Das Wort Gottes! Deine, deine Worte hast du gewollt, daß sie hören! Du willst der einzige sein, der es recht verstanden hat. Viele sagen, Zwingli habe es besser verstanden. Sieh, wieder ein blutiger Schatten. Warum ergriffest du die Hand nicht, die er dir in Marburg bot? Mag sein, daß er hochmütig, überheblich, rechthaberisch war, warest du es nicht noch mehr? Er wünschte doch Frieden mit dir. Er war ein aufrechter Mann und ging für seinen Glauben in den Tod. War es christlich, über seinen Tod zu frohlocken? War es christlich, um der verschiedenen Auslegung eines Herrenwortes willen des Herrenwortes zu vergessen, das Liebe und Nachsicht gebietet? Bist du der einzige, der nicht irren kann?«

      Ihr sagt, ich habe ein neues Papsttum aufgerichtet. Wenn ihr darunter versteht, daß ich die Gebote der Schrift für die Gemeinde auslege, so habt ihr recht. Ich nehme sie auf mein Gewissen, ich vertrete sie vor Gott. Es ist nicht meine Schuld, daß es so wenig wahre Christen gibt, daß so wenige den rechten Glauben haben, daß sie nur ihre eigene Albernheit und ihren Wahn in der Bibel suchen.

      »Wenn das so ist, warum denn die Kirche zerstören, die die Last der Verantwortung trug? Der Glaube, den sie lehrte, war durch Jahrhunderte geheiligt und von vielen bestätigt, und Heilige haben in ihm gewirkt. Ist es recht, ein Volk von seiner Vergangenheit loszureißen?«

      Es wäre Vermessenheit, alle die Schwerter benennen zu wollen, die Luther während seiner Anfechtungen sich selbst in die Brust stieß. Gewiß konnte er nicht alle unheilvollen Folgen der Spaltung voraussehen, und manches Übel, das sie einschloß, wurde ihm wohl nicht bewußt. Zuweilen fiel ihm ein, daß manches von dem, was er jetzt verfolgte und tadelte, einmal gut und angemessen gewesen war; vielleicht aber dachte er nie daran, daß auch ein Volk ein Gedächtnis hat wie der einzelne und daß es ein gefährlicher Eingriff ist, das Gedächtnis zu zerstören. Luther gewöhnte seine Anhänger daran, alles was vor ihm gewesen war und geschehen war, in Bausch und Bogen zu verwerfen. Die Protestanten fingen gleichsam von vorn an, protestierten gegen ihre ganze so reiche, so stolze Vergangenheit. Für die Protestanten versank das Reich und verschwand der Reichsgedanke, weil er mit dem Papsttum verknüpft war, vom Reich und der Vergangenheit abgeschnürt wurden die Untertanen in die kleinen Fürstentümer gebannt, wo ihre Anschauungen sich verengten und trübten. In diesen Bezirken lebten sie dumpf und geduldig hin, auf Befehl ihrer Fürsten in krampfhaften Patriotismus ausbrechend. Hatte Luther solche Menschen aus seinen Deutschen machen wollen? Nein, er hatte ein anderes Vorbild aufgestellt: den christlichen Ritter, Herrn der Sterne, furchtlos vor Tyrannen und Teufeln, freudig im Elend, freudig in der Fülle, Feind des Bösen, aus Liebe allen dienstfertig, allen hilfsbereit. Würde es solche Ritter geben in dem Obrigkeitsstaate, den er aufgerichtet hatte? Und er selbst? War er noch der den Sternen gebietende Heros? Er, das sanftlebende Fleisch zu Wittenberg! Während draußen seine Anhänger das Feuer verzehrte, weidete er sich an den vollen Krippen fürstlicher Beamtung. Als er verfolgt wurde, verbarg er sich im behaglichen Schlupfwinkel der Wartburg. Er hatte sich Gott entzogen; oder hatte Gott sein Opfer nicht gewollt? Würden die Namen seiner Feinde im Buche der Märtyrer leuchten, wenn kommende Geschlechter ihn als den dicken Papst von Wittenberg verfluchten? War er von Gott verworfen? Warum ließe er es sonst zu, daß der Teufel ihn mit solchen Anfechtungen marterte? Oder wie, wenn Gott der Teufel wäre, der Teufel Gott? Oder wenn es keinen Gott gäbe?

      Luther hat selbst erzählt, daß die schwerste seiner Prüfungen war, wenn er Gott und Christus verlor und die Welt leer wurde. Die Schwungkraft des Glaubens, die ihn hoch erhoben, überschwenglich beseligt hatte, ließ nach, versiegte ganz. Es ist keinem Menschen gegeben, auf der Höhe des Gefühls sich immer zu erhalten, am wenigsten


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