Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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Gutachten und eine umfassende schriftstellerische Tätigkeit, darunter Streitschriften, die zum Teil seine eigene Leidenschaftlichkeit veranlaßte. Wegen einer verschiedenen Meinung über eine Frage im kanonischen Recht verlor er einen seiner ältesten Freunde, Hieronymus Schurf. Agricola, mit dem er sich im sogenannten Antinomistenstreit entzweite – er wollte, daß weniger das Gesetz als das Evangelium gepredigt werde –, war ein neuerer Freund, aber ein guter Gesellschafter und zusammen mit seiner Frau ein ihm angenehmer, erheiternder Umgang. Luther hatte sicherlich recht, es der Eitelkeit, Eigenbrötelei zuzuschreiben, daß jeder Theologe seine besondere Lehre vorbringen wollte; aber eine gewisse Bewegungsfreiheit hätte gerade er doch auch der Eigenart eines jeden zugestehen sollen. Den durch die Wittenberger Konkordie beruhigten Abendmahlsstreit fachte er von neuem an und verdammte Zwingli in die Hölle, den er damals einen trefflichen Mann genannt hatte.

      Weit bitterer als der Verlust von Schurf und Agricola war das seltsam gespannte Verhältnis zu Melanchthon, der sich innerlich fast ganz von ihm gelöst hatte und für die Welt doch sein unzertrennlicher Gefährte bleiben mußte. Er war zum berühmten und zum einflußreichen Manne geworden auf einer Bahn, die ihm eigentlich unheimisch war, die er nun aber nicht verlassen konnte, ohne zahllose Fäden zu zerreißen, auch die, welche ihn selbst ans Leben knüpften. Durch seine Beziehung zu Luther und als Verfasser der loci communes und der Augustana war er so verkettet mit der Reformation, daß er sich nicht hätte zurückziehen können, ohne ihr und sich selbst unberechenbaren Schaden zuzufügen. Das konnte er um so weniger wollen, als er, wenn er auch gern den Zusammenhang mit der Kirche festgehalten hätte, doch von der evangelischen Wahrheit überzeugt war. Er war ein frommer Mann im Sinne des Erasmus, der christlichen Lehre von Herzen zugetan, hauptsächlich ihrer friedlichen Seite; aber Luthers Ringen um die letzten Geheimnisse war ihm fremd, und seine Zwiesprache mit Gott verstand er nicht. Insgeheim neigte er zu Zwinglis Auffassung vom Abendmahl, was er vor Luther verheimlichte. Die gehässigen theologischen Streitigkeiten, oft Tüfteleien und Absurditäten, gewürzt durch das grobe, unflätige Schimpfen, das Luther in die Polemik eingeführt hatte, waren ihm widerwärtig. Wie sehr er aber unter der Sklaverei litt, in der er sich verfangen hatte, hörte er doch nicht auf, Luthers schöpferische Kraft und seine mächtige Persönlichkeit zu bewundern, und konnte nicht verkennen, wie Luther an ihm hing. Bedenkt man, wie rücksichtslos, ja wie grausam Luther oft gegen die verfuhr, die ihm widersprachen oder ihn sonst reizten, so staunt man über die Zartheit, mit der er Melanchthon behandelte. Es tat ihm wohl leid, daß jenem die Sicherheit des Glaubens fehlte; aber er machte ihm keinen Vorwurf daraus und litt auch nicht, daß andere es taten, selbst nicht, als auf dem Reichstage zu Augsburg Melanchthons Unsicherheit sehr ärgerliche Folgen bewirkte. Als bei Gelegenheit des Abendmahlsstreites das Gerede ging, Luther bereite einen groben schriftlichen Angriff auf Melanchthon vor, und dieser, das Ärgste fürchtend, einen Brief von ihm kaum zu öffnen wagte, enthielt er eine Einladung zur Geburtstagsfeier. Luthers Anhänglichkeit war um so auffallender, als sein treuer Freund und Gefolgsmann Amsdorff eine Abneigung gegen Melanchthon hatte und ihn beständig verdächtigte, insofern nicht mit Unrecht, als Melanchthon in der Tat sich von Luthers Ansichten entfernt hatte. Melanchthon machte sich Luft in Briefen an seinen Freund Camerarius, der seine eigentlichen, die humanistischen Interessen teilte; in seinen Äußerungen über Luther klingt es zuweilen wie ohnmächtiger Haß. Ihm gegenüber erscheint Luther großmütiger; vielleicht empfand er das Tragische ihrer Freundschaft, vielleicht hatte er ihn zu sehr geliebt, um eine ausgesprochene Trennung ertragen zu können. Er lebte in den letzten Jahren, besonders seit ihm 1542 sein Töchterchen Magdalena gestorben war, in schrecklicher Einsamkeit. Der Tod hatte viele seiner Feinde gefällt: Zwingli, Herzog Georg von Sachsen, Papst Clemens VII., Erasmus; nun langte er nach seinem Liebling, als wollte er sagen: du bist nicht mehr wert als jene. Ich bin alt, kalt und ungestalt, pflegte er zu klagen. Seine ungeheure Arbeitskraft fing an zu erlahmen, die Krankheitsanfälle, an denen er zeitlebens gelitten hatte, suchten ihn immer häufiger heim; aber wie eine Ruine oft stärkere Eindrücke von Schönheit und Größe vermittelt als das vollendete Bauwerk, so bewegt uns auch der verdüsterte und ermüdete Heros mehr fast als der jugendlich stürmende. Der wachsende und handelnde war auf Ziele gerichtet, zusammengefaßt, durch die Umwelt, die ihn umgab, und die er bekämpfte oder für die er einstand, beschränkt; als das mächtige Gefäß langsam und mühsam zerbrach und die Seele sich verströmte, spürte man, welches Übermaß von Kräften darin gebannt gewesen war. Oft waren seine Worte, ein schwermütiges, träumerisch schweifendes Phantasieren, von süßer Zärtlichkeit durchtränkt. Häufiger noch äußerte sich seine Verdrießlichkeit und seine nie erlöschende Kampflust.

      Als brauchte er einen neuen Gegenstand des Zornes, nachdem der Papst endgültig aus dem Felde geschlagen schien, fing er einen Feldzug gegen die Juden an. In seiner Frühzeit hatte er sich in der Schrift »Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei« mit Wärme der Juden angenommen, ihre Verteidigung in die Bekämpfung des Papsttums einreihend. Die Päpste und Bischöfe, die groben Eselsköpfe, sagte er, hätten bisher so gegen die Juden verfahren, daß ein guter Christ darüber wohl hätte zum Juden werden mögen. »Und wenn ich ein Jude gewesen wäre und hätte solche Tölpel und Knebel gesehen die Christenheit regieren, so wäre ich wohl eher eine Sau worden denn ein Christ.« Sie hätten die Juden behandelt, als wären sie Hunde, nicht Menschen, hätten sie gescholten und ihnen ihr Gut genommen, und den Getauften hätte man kein christliches Leben gewiesen, sondern sie der Papisterei und Möncherei unterworfen. Hätten die Apostel, die auch Juden waren, mit uns Heiden gehandelt wie wir mit den Juden, so wären nie Christen aus den Heiden geworden. »Haben sie denn mit uns Heiden brüderlich gehandelt, so sollen wir wiederum brüderlich mit den Juden handeln, ob wir etliche bekehren möchten: denn wir sind auch selb noch nicht alle hinan, schweig denn hinüber.« Er ging so weit, das Volk der Juden über alle anderen Völker zu stellen, weil Gott in ihm Fleisch geworden sei. »Und wenn wir gleich hoch uns rühmen, so sind wir dennoch Heiden und die Juden von dem Geblüt Christi: wir sind Schwäger und Fremdlinge, sie sind Blutfreund, Vettern und Brüder unseres Herrn.« In späteren Jahren wurde er anderen Sinnes, wozu vielleicht beitrug, daß König Ferdinand in seinen Ländern die Juden beschützte, während er die Protestanten verfolgte. Damals hoffte er, daß einige sich bekehren möchten, jetzt war er zornig, weil sich noch nicht alle bekehrt hatten. Im Jahre 1536 wies Johann Friedrich alle Juden aus dem Kurstaat aus, ohne daß Luther es zu hindern suchte. Als einer seiner Tischgenossen sagte, die Juden seien gute Ärzte und zu allem zu brauchen, entgegnete er, das hätten sie vom Teufel. Der Graf von Mansfeld hatte, um sich eine Einnahme zu verschaffen, Juden in seinem Gebiet, Luthers Heimat, aufgenommen, wünschte sie aber nach einiger Zeit wieder loszuwerden, weil die Untertanen sich über Wucher beklagten. Nun schrieb Luther ein Buch »Von den Juden und ihren Lügen«, in dem er geradezu zu einer Judenverfolgung aufforderte. Man sollte, riet er, ihre Synagogen und Häuser zerstören, ihnen ihre Bücher nehmen und ihren Rabbinern verbieten zu lehren. Er hatte vergessen, daß er sich einst gerühmt hatte, zu den Reuchlinisten zu gehören. Auf seiner letzten Reise nach Mansfeld, wo er einen Streit der beiden Mansfelder Grafen schlichten wollte, begleitete ihn diese neue Verfolgungswut. Er erzählte seiner Käte, daß eine Gräfin von Mansfeld die Juden beschütze, daß er aber seine Meinung gröblich sagen wolle. Daneben bemühte er sich, die streitenden Brüder zu versöhnen, was so schwierig war, daß er meinte, die ganze Welt müsse frei von Teufeln sein, da sie alle seinetwegen in Eisleben zusammengekommen wären. So leidenschaftlich geschäftig, fühlte er sich doch im Innern alt, kalt und müde. »Ich habe mich satt gelebt«, schreibt er. Seine Angehörigen und Freunde umgibt der Zornige, an sich und aller Welt Verzweifelnde mit der besonderen Mischung von liebkosender Wärme und herzlichem Humor, die den Luther verrät. Als er erkrankte und starb, waren sich alle der Größe des Augenblicks bewußt. Dieser Tod erschütterte die protestantische, ja die christliche Welt. Nie zuvor hatte ein Deutscher so mächtig auf die geistige Entwicklung des Abendlandes gewirkt.

      »Ich kann kaum den Augenblick erwarten«, schrieb Luther im Mai 1530 an Melanchthon, »wo ich diesen meinen Geist mit gewaltiger Nacht und mit göttlicher Majestät umkleidet sehen soll.« Noch sechzehn Jahre hatte er in Kampf und Schwäche und Ungenügen ausharren müssen; nun war der Adler befreit. Das Netz menschlicher Gebrechlichkeit war zerrissen, groß und gut zog der Überwinder in das Geisterreich ein.

      


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