Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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einen beliebigen Tyrannen oder Schuft bestellen, sondern einen, der durch Adel und inneren Wert hervorrage. Durch Tyrannei breche der König den Vertrag, der für seine Einsetzung maßgebend gewesen sei, das Volk sei ihm keine Treue mehr schuldig.

      Tyrannei und Willkür warfen andere Bischöfe dem Papst vor, wenn auch die meisten nicht so weit gingen, den Primat des Papstes zu leugnen. Sie hielten es aber für eine unerhörte Neuerung, daß der Papst sich in die bischöflichen Diözesanrechte einmischen und sie wie Knechte ein- und absetzen wolle, wie sie überhaupt Gregors Theorie, daß der Papst durch sein Amt heilig und unfehlbar werde, ablehnten. In einer von Heinrichs Schlachten kämpften sechzehn Bischöfe auf seiner Seite.

      Das Seltsame und Entscheidende ist nun aber, daß auch die treuen Anhänger des Kaisers vor ihrem Tode den Frieden mit der Kirche suchten, soweit sie sich nicht schon früher bekehrt hatten. Gerade über die Deutschen hatte die Kirche mehr Macht als der Staat. Wohl war auch die Person des Königs in mystische Vorstellungen eingetaucht und über die Ebene des Irdischen erhoben; aber sein Walten verknüpfte sich doch nicht so mit dem Seelenleben der Menschen wie das der Kirche, die das Kind taufte, dem Erwachsenen das Abendmahl, dem Sterbenden die letzte Wegzehrung reichte und mit ihm betete. Alle Gedanken und Gefühle, die über das Irdische und Alltägliche hinweg der ewigen Heimat zustrebten, waren mit der Kirche verbunden; die blieb unangetastet, was für Vorwürfe auch gegen die Pfaffen erhoben werden mochten. Dachte doch der Kaiser selbst niemals daran, das Papsttum als solches anzugreifen, war er doch vielmehr immer geneigt, wo sich die Möglichkeit der Versöhnung zeigte, die Hand dazu zu bieten, und nie war er zu stolz, um sich vor dem römischen Bischof wie vor Gott in den Staub zu werfen. Obwohl die Kaiser sich im einzelnen Falle das Recht nahmen, den Papst abzusetzen, stritten sie ihm grundsätzlich nie das Recht ab, von ihnen die Ehrfurcht zu verlangen, die der Sohn dem Vater schuldig ist.

      Der Tod Gregors VII., der fern von Rom im Schutz der Normannen starb, bedeutete für Heinrich IV. keine Erleichterung; denn Gregors Nachfolger traten in seinen Ideenkreis ein, und die Bischofseinsetzung blieb eine unlösbare Streitfrage. Daß es der Kurie gelang, die beiden Söhne des Königs, Konrad und Heinrich, nacheinander gegen den alternden Vater aufzuhetzen, offenbart die Zerrüttung des salischen Hauses, das seinem Ende zuging. Von seinem Sohne bekämpft und entthront starb der erst 55jährige Kaiser in Lüttich, vom dortigen Bischof und dem Herzog von Lothringen mit Liebe aufgenommen.

       Inhaltsverzeichnis

      Als Heinrich IV. im Jahre 1073 vor den Sachsen fliehen mußte, als der Papst ihn gebannt, der Erzbischof von Mainz ihn abgesetzt hatte, als er krank und verlassen in Ladenburg sich aufhielt, kamen Bürger von Worms zu ihm, um ihn feierlich in ihre Stadt einzuholen. Sie kamen in Wehr und Waffen, um ihm zu zeigen, daß eine Mannschaft vorhanden sei, die es mit vielen Feinden aufnehmen könne. Hatten sie doch schon die bischöflichen Krieger aus der Stadt verjagt und hätten sie doch auch den Bischof selbst gefangengenommen, wenn er nicht entflohen wäre. Sie gelobten dem Kaiser Treue, sie besteuerten sich selbst, um die Kriegskosten zu decken; ohne sein Zutun gewann er eine ummauerte Stadt als Zufluchtsort, ein zuverlässiges Heer, das Gut und Blut für ihn zu opfern bereit war.

      Dieselbe Stimmung wie in Worms herrschte in Köln, der Stadt des Erzbischofs Anno, der eine Zeitlang während der Minderjährigkeit Heinrichs das Reich regiert und den königlichen Knaben allzu rücksichtslos bevormundet hatte. Jenseits der alten Römermauer im Osten der Stadt, in der Richtung auf den Rhein, war in Köln der Markt entstanden; denn zur Beförderung der Güter benutzte man wo möglich die Wasserstraßen, und namentlich der Fernverkehr mußte sich in der Nähe des Stromes abspielen. Dort war seit alters die Judenstraße. Zwischen ihr und der Kirche und dem Kloster Groß-Sankt-Martin befand sich der Alte Markt, auf dem Lebensmittel und gewerbliche Erzeugnisse zum Verkauf ausgestellt waren, und wo die Handwerker wohnten; weiter südlich gegen Sankt Maria im Kapitol erstreckte sich die größere Hälfte des Marktes, den die stattlichen Häuser der reichen Kaufleute umgaben. Während der erste Dom bis ins neunte Jahrhundert im Westen der alten Römerstadt gestanden hatte, befand sich nun, im elften, ein neuer in ihrer nordöstlichen Ecke, nicht weit vom Markt, daneben eine königliche Pfalz und die erzbischöflichen Wohngebäude. Am Osterfeste des Jahres 1074 hatte der Erzbischof Besuch von seinem Freunde, dem Bischof von Münster. Als dieser heimzufahren wünschte, schickte Anno Diener in die Rheinvorstadt mit dem Auftrage, das Schiff eines Kaufmannes zu diesem Zwecke bereitzumachen. Das Recht, Schiffe der Kaufleute für ihre persönlichen Zwecke zu beschlagnahmen, stand den Stadtherren in der Regel zu, und es ist möglich, daß man einem beliebten Herrn, der in freundlicher Weise um ein Schiff gebeten hätte, willfährig entgegengekommen wäre; wahrscheinlich aber ist, daß das Recht zu den bestehenden Verhältnissen nicht mehr paßte, daß es lange nicht in Anspruch genommen war, daß Annos Betonung der Herrschaft überhaupt unwillig ertragen wurde und daß es viele gab, die gern einen Anlaß ergriffen, sich dem Erzbischof zu widersetzen. Der Sohn des Kaufmanns, dessen Schiff Anno benutzen wollte, weigerte sich, es den Dienern zu überlassen, heftige Worte wurden gewechselt, Streit entstand, und der entrüstete Erzbischof drohte mit strenger Strafe, wodurch er das Selbstbewußtsein der Kaufleute noch mehr reizte. Zweierlei zeigte sich: daß der Unwille gegen den Stadtherrn die ganze Bevölkerung beherrschte und daß die reichen Kaufleute einen bedeutenden Einfluß auf sie ausübten, denn es gelang dem Kaufmannssohn und seinen Gefährten rasch, einen Aufstand gegen den Erzbischof zu erregen. Eine wütende Masse stürmte gegen den erzbischöflichen Hof und in die Kirche, ein Mann, den man für den Erzbischof hielt, wurde erschlagen. Zufällig hatte dieser kürzlich einem Geistlichen, dessen Haus an die Stadtmauer stieß, erlaubt, eine Tür darin anzubringen; durch diese entkam er. Auf dem Lande hatte er Vasallen und Anhänger, die bereit waren, ihn zurückzuführen und die aufrührerische Stadt zu züchtigen. Wenn es den Kaufleuten leicht gewesen war, einen Aufstand herbeizuführen, so trauten sie sich doch nicht zu, dem heranrückenden Heer zu widerstehen; sie unterwarfen sich und baten um Gnade. Ein Geschichtsschreiber der Zeit berichtet, 600 Kaufleute hätten aus Furcht vor der Rache des Beleidigten die Stadt verlassen. Ist die Zahl auch zu hoch gegriffen, so waren es doch sicher viele, die flüchteten, und daß sie den Erzbischof richtig beurteilt hatten, zeigte die Folge. Anno strafte härter, als man es mit der christlichen Milde eines Bischofs verträglich hielt: der Sohn des Kaufmanns und andere Rädelsführer wurden geblendet, Geldstrafen wurden verhängt, die Güter der Entflohenen wurden eingezogen. Indessen bedeutete die Verödung der Stadt durch die Abwesenheit ihrer reichsten Bewohner, die Stockung von Handel und Verkehr, für den Stadtherrn einen so empfindlichen Verlust, daß er schon nach einem Jahre die Entflohenen zurückrief und ihnen ihre Güter wiedergab. Der Kaiser, den sie nach ihrer Flucht aufgefordert hatten, die Stadt zu besetzen, war nicht darauf eingegangen, so folgten sie dem Rufe des Erzbischofs.

      So bedürftig der Kaiser auch der Hilfe war, dachte er doch kaum auch nur einen Augenblick ernstlich daran, die Partei der flüchtigen Bürger zu ergreifen. Die Bürger waren nicht eins mit der Stadt, eher war es der Bischof; es war nicht geraten, aufrührerische Untertanen gegen mächtige Kirchenfürsten zu unterstützen, auf denen seit hundert Jahren die Macht des Königs hauptsächlich beruht hatte. Im Laufe eines Menschenalters aber gewann die Stadt als Gesamtheit der Bürger mehr und mehr Gestalt. Die Richerzechheit, die vereinigten reichen Kaufleute, die Schöffen, die Urteilfinder des erzbischöflichen Hochgerichts und die hohen Beamten des Erzbischofs näherten sich einander, und die Handwerker, die Gewerbetreibenden und Ackerbürger, die in der westlichen Stadt saßen, fühlten sich zu ihnen gehörig. Mehr gemeinsame Interessen wirkten sich aus zwischen den Bewohnern derselben Stadt als zwischen ihnen und dem Erzbischof, der oft abwesend war, der Dienste verlangte, und der besonders dann als gegensätzliche Macht erschien, wenn er sich gegen den Kaiser, die höchste Macht, wendete. Zwischen der Gemeinde, nämlich den Handwerkern und den Ackerbürgern, und den Kaufleuten, den erzbischöflichen Beamten und dem erzbischöflichen Dienstadel bildete sich ein Vertrauensverhältnis, in der Art, daß die Großen, die Reichen und Angesehenen, die man zusammenfassend die Geschlechter nannte, als Vertreter der Gemeinde und Träger des allgemeinen Willens angesehen wurden, wobei Voraussetzung war, daß sie in wichtigen Fällen die Willensmeinung der Gemeinde einholten. Es gab eine Bürgerschaft, die sich als Stadt fühlte, die auch ohne


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