Im Alten Reich. Ricarda Huch

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Im Alten Reich - Ricarda Huch


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Verbarg mich ihnen nicht. Aus schmählichster

       Vermummung blitzen sahn sie meiner Ahnen

       Verderblich Adlerauge. Jener Wüstenscheik,

       Der auf Kamelen flog, wie Wolken fliegen,

       Weit – weit – unendlich weit – auch jener kannte mich

       Und sandte Sklaven mir und Sklavinnen

       Und Gold und Purpur, rot wie adlig Blut.

       »Da man im Abendland,« sprach er, »den Herrn

       Der Welt verstößt, heilig sei mir dein Haupt

       In Dornen.« So der Scheik. Und weiter, weiter,

       Rasende Flucht bei Nacht, bei Tagesgrauen

       In alten Gräbern mit der Fledermaus

       Verborgen. So verfolgte mich

       Der böse Greis in Rom.

Stadtwappen

      Schwäbisch-Hall

       Inhaltsverzeichnis

      Natur hat diese Stadt gewiegt und Kunst sie gebildet. An zwei Abhängen, die der Kocher durchbricht, steigt sie anmutig prächtig hinauf, auch wo sie groß wirkt noch traulich wie die Landschaft, der sie verschwistert ist. Jenseits erhebt sich wie ein Fabelbau die ritterlich-kirchliche Komburg, und dahinter der Einkorn, einst Träger einer Wallfahrtskirche, jetzt ein dunkelgrün bewaldeter Kegel. Hier ist Burg, Strom, Insel, Felsarchitektur, auf, nieder, Winkel und Bogen, alles so glücklich benutzt und ineinander gewachsen, daß es wie ein lobpreisender Auszug deutscher Welt vor dem überraschten Wanderer liegt.

      Die freigebige Natur, die jedem Ort etwas verleiht, womit er sich nährt und woran er erwächst, schenkte hier zur Schönheit Nutzen in einer Salzquelle, die schon in geschichtsloser Zeit von Tieren und Menschen aufgesucht wurde. Sie gehörte zum Gebiet der Grafen von Westheim, und diese, die zugleich Grafen des Kochergaues waren, haben wohl zuerst Versuche planmäßiger Salzbereitung angestellt. Die königlichen Beamten, denen der Betrieb anvertraut wurde, vermutlich Adlige der Umgegend, lebten nach der Überlieferung in sieben Burgen, die im Jahre 1718 bis auf eine noch alle vorhanden waren. Der große Brand von 1728 ließ nur noch eine übrig, die sogenannte Keckenburg, ein Fachwerkbau auf steinernem Untergeschoß. Der Ertrag der Quelle wurde in 111 gleiche Teile geteilt, die verpachtet wurden, und man unterschied Obereigentum, Lehn genannt, und Nutzeigentum oder Erb, dessen Besitzer Erbsieder hießen. Mit dem Beginn des 14. Jahrhunderts war die ursprünglich königliche Quelle ganz im Besitz der Erbsieder. Sie bildeten den reichsten und vornehmsten Teil der Bürgerschaft, aus deren Mitte der Rat besetzt wurde.

      Jetzt ist die Haal, der Platz, wo die Quelle gefaßt ist, verödet. Mit Eröffnung des Steinsalzwerks Wilhelmsglück wurde die alte Quelle von Hall, die der König von Württemberg durch Ankauf sämtlicher Aktien erworben hatte, aufgegeben und wird seitdem nur noch zu Solbädern benutzt. Das in gutem Geschmack erbaute Solbad liegt auf der baumbeschatteten Insel Unterwöhrd, die durch Stege und Brücken mit den verschiedenen Stadtteilen verbunden ist. Diese Brücken mit ihren Türmen, ihrem Holzdach, die Ufermauern, die Gebüsche, die kleinen, zutraulich übers Wasser geneigten Giebelhäuser setzen sich bei jeder Wendung zu neuen, unaussprechlich anziehenden Bildern zusammen. Das unerschöpfliche Durcheinanderspielen der Linien wirkt so, als wären die Winkel und Plätze und Häusergruppen weniger zur Benutzung als zur Lust eines müßigen Riesenkindes hingestellt, das sich mit wunderlichen Bausteinen die Zeit vertreibe. Von bösartig lauernden und furchtsam zusammengeschrumpften Häusern umringt steht der Malefizturm da; hier hauste vielleicht der Henker mit Folterzeug und Schwert, und aus diesen verwegenen Schornsteinen konnte man vielleicht nachts auf ihren Besen die blanken Hexen fahren sehen. An das Badtörlein beim Josenturm duckt sich ein kleines gequetschtes Haus mit einem spitzen Hut, wie ein Zauberer ihn tragen möchte; im Süden der Stadt unweit des malerisch reizvollen Weilertores erstreckt sich ein Stück Stadtmauer neben dem Henkersturm. Hier ist es, fern von den Lichtern und der Bewegung der Stadt, wenn der Abend fällt, feucht, einsam und schaurig; aber selbst die Stätten düsterster Erinnerung sind durch den Genius des Ortes ins Märchenhafte, oft Drollige gerückt. Überaus anheimelnd sind die spielzeughaften Häuser, die am Rosenbühel behutsam zum gewaltigen Neuen Bau hinaufklettern. Gemütlich und doch zugleich, seiner Bedeutung gemäß, eine Hoheit darstellend, empfängt uns die Mitte der Stadt, der Markt. Vom stillen Haalplatz durch die Haalstraße hinaufsteigend, kommt man zur Rückseite des Rathauses, an dessen Seiten Treppen zum Marktplatz hinaufführen. Dieser erste Aufstieg ist Vorbereitung eines zweiten: zur Michaeliskirche, die den Markt bekrönt, leitet eine breitausladende Freitreppe, die in den wesentlich mittelalterlichen Platz ein neues festliches Raumgefühl glücklich einführt. Auf beiden Seiten begrenzen ihn herrschaftliche Giebelhäuser, der Kirche gegenüber schließt ihn das Rathaus ab, das nach dem großen Brande von 1728 errichtet wurde, ein Barockbau von heiterer Pracht, der Umgebung angemessen mehr anmutig als imposant. Reizend belebt den Platz ein großer rechteckiger Brunnen, dessen Rückseite geschmückt ist durch drei Heroengestalten unter gotischem Baldachin: Simson mit dem Löwen, Sankt Michael mit dem Drachen und Sankt Georg mit dem Lindwurm. Das wehrhafte Mittelalter hatte eine Vorliebe für die kämpfenden Göttersöhne, Vorbilder des Kampfes gegen die Heiden sowohl wie gegen das Böse. Ein schmiedeeisernes Gitter mit kunstvollen Verschlingungen faßt den Brunnen ein, zu dem rechts der Pranger hinzutritt, ein hübsches Bauglied und zugleich ein Instrument der Justiz. Aus der Mitte des Brunnens speit ein abenteuerliches, steinernes Ungetüm Wasser.

      Dies schöne Reich beherrscht die Michaeliskirche. Da alle Salzquellen in der heidnischen Zeit als heilig galten, kann man annehmen, daß auch in Hall schon in Urzeiten ein Gott verehrt wurde, vielleicht Wodan, den gewöhnlich der Erzengel Michael verdrängte. Im Jahre 1156 wurde die Kirche durch den Bischof von Würzburg geweiht in Anwesenheit eines Sohnes Friedrich Barbarossas, des zwölfjährigen Herzogs Friedrich von Rothenburg, der in jungen Jahren vor Rom an der Pest starb. Diese romanische Kirche wurde im Jahre 1427 als zu klein abgebrochen, die neue war erst hundert Jahre später vollendet. Von der alten sind nur die vier unteren Stockwerke des Turms übriggeblieben und die Vorhalle. Auf einer Konsole an der Mittelsäule, die sie stützt, steht im langen Gewande ein schöner Dämon, der Erzengel Michael, der das Schwert gegen den sich aufbäumenden Drachen richtet. Seine hochaufgestellten Flügel gleichen zornigen Flammen; seine Gestalt sowie die dunkle Vorhalle überhaupt hat etwas altertümlich Geheimnisvolles. Anders ist der Eindruck des Inneren: licht, leicht, majestätisch, die Seele zu befreiendem Aufschwung emporhebend. Die beiden mit dem Mittelschiff gleichhohen Seitenschiffe setzen sich in einem Kapellenkranz um den Chor fort, der länger als das Schiff und um mehrere Stufen über dasselbe erhöht ist. Es ist von großer Wirkung, daß der Blick inmitten der Kirche noch höher hinauf und tiefer ins Weite geführt wird. Der Reichtum an Altären, Grabdenkmälern und allem sonstigen Zubehör gibt dem Raum die sinnliche Fülle und das Wohnliche. In einer Seitenkapelle befindet sich ein heiliges Grab, das dem von Gmünd verwandt ist; der göttliche Leichnam ist hier bewegter und schöner, aber weniger feierlich. Herrlich ist das Triumphkreuz über dem Hochaltar mit dem überlebensgroßen Christus, einem Werk des Ulmer Meisters Michael Ehrhardt. Zwischen der Menge geschnitzter Altäre und heiliger Bilder blickt überraschend von der Nordwand des Mittelschiffs das Porträt einer vornehmen jungen Dame in die Kirche, auf dem schön geformten Antlitz ein spöttisch überlegenes, herablassendes und doch anmutig liebenswürdiges Lächeln. Sie stammt der Umschrift nach aus dem Geschlecht der Bonhöffer, die als Goldschmiede aus Holland einwanderten und im 17. und 18. Jahrhundert zu hohen Stellungen gelangten.

      Vor der Kirche wurde einst auf ummauertem Platze unter einer Linde das alte Gaugericht gehalten, und noch im Jahre 1462 wird ein »freyheimlich Gericht« dort erwähnt. Im Anfang des 16. Jahrhunderts wurde die Linde gefällt und die Mauer abgetragen. Als ein Überbleibsel des königlichen Gerichts ist auch das Kampfgericht anzusehen, eine sehr altertümliche Einrichtung, die noch lange in Hall bestanden hat. Ritter, die keinen ordentlichen Richter finden konnten, durften in Hall miteinander kämpfen, bis der Sturz des einen dem


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