Im Alten Reich. Ricarda Huch

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Im Alten Reich - Ricarda Huch


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Sie gingen, solange sie nicht etwa durch unglückliche Spekulationen ihr Vermögen einbüßten, wie es den reichen Brüdern Bromm ging, die ihren ganzen Besitz in die Ausbeutung Mansfeldischer Kupfergruben steckten und verloren, auf der Höhe des Lebens unangefochten, erwiesen sich gern mildtätig und gönnten jedem das Seine, wie man ihnen das Ihre ließ. Eine untergehende Kultur entfaltete eine letzte wundervolle Blüte, zu der schon neue Verhältnisse beitrugen, deren üble Folgen sich noch kaum bemerkbar machten. Die Verteilung des Vermögens war noch nicht so, daß eine darbende Mehrheit mit Neid und Bitterkeit auf die Besitzenden geblickt hätte, die Daseinsbedingungen waren auch für die unteren Schichten noch erträglich, die Herrschaft der Patrizier noch nicht erdrückend. Indessen, es war doch an dem blühenden Organismus ein krankhafter Flecken zu bemerken, das Gesetz von 1495, wonach die Vermögen, die über 10 000 Gulden betrugen, von der Steuer frei sein sollten. In dieser offenbaren Begünstigung der Reichen und Mehrbelastung der Armen, die auch durch die indirekten Steuern härter als die Besitzenden betroffen wurden, kann man den Beginn schamloser Geldwirtschaft sehen. Man muß deshalb diese Zeit als einen Wendepunkt betrachten, wo sich inmitten der schön gereiften Früchte mittelalterlicher Weltanschauung das Verderben neuer Grundsätze bemerkbar macht.

      Nach mittelalterlicher Auffassung hatte die wirtschaftliche Tätigkeit nicht dem Vorteil des einzelnen, sondern der Gesamtheit zu dienen und schloß man, um eine möglichst gleiche Verteilung von Arbeit und Gewinn zu erzielen, den freien Wettbewerb aus. Geld auf Zinsen zu leihen, galt als unchristlich und unsittlich. Da nun der Kaufmann große Gewinne einheimste, die er mehr der Benutzung günstiger Umstände und der Überforderung des Käufers verdankte als der Arbeit, faßte Luther, ganz und gar mittelalterlicher Anschauungsweise anhängend, eine leidenschaftliche Abneigung gegen diesen Stand. Er warf ihm namentlich vor, wie er in der Schrift Von Kaufhandlung und Wucher ebenso scharfsinnig wie wohlwollend auseinandergesetzt hat, daß er die Regel angenommen habe, er dürfe seine Waren so teuer verkaufen, wie er könne, womit der Hölle Tür und Fenster aufgetan sei, während die gute Regel sei, so teuer zu verkaufen, wie recht und billig sei. Dieser und noch anderer Tücken und Schliche halber hielt er die Kaufleute für nicht viel besser als Räuber. Als Gegner des Importhandels klagte er, daß die Frankfurter Messe das Gold- und Silberloch sei, »dadurch aus deutschen Landen fließt, was nur quillt und wächst bei uns und gemünzt und geschlagen wird«. Die Deutschen seien dazu in die Welt geschleudert, alle Länder reich zu machen und selbst Bettler zu bleiben. Nach seiner Auffassung sollten die Deutschen nach Möglichkeit mit eigenen Produkten und selbstverfertigten Waren sich begnügen, anstatt sich an fremdländischen Luxus zu gewöhnen. Mit Widerwillen sah er das mit der Messe verbundene Geldgeschäft um sich greifen, das bereits sehr lebhaft war, wenn auch noch nicht so wie im achtzehnten Jahrhundert, wo es in Frankfurt 40-50 sogenannte Wechseljuden gab, die sich damit beschäftigten, gute Münze aufzukaufen und schlechte in Umlauf zu bringen. Das war zwar durch Reichsgesetz verboten, aber die Frankfurter Regierung ließ es stillschweigend hingehen, wenn sie nicht gar Vorteil dabei fand.

      Die Folge davon, daß diese Verhältnisse sich im Laufe des 16. Jahrhunderts immer mehr zuspitzten, die reichen Patrizier sich von den verarmenden Handwerkern immer mehr abschlossen, war der große Aufstand des Jahres 1614, den der Lebküchler Vincenz Fettmilch leitete, und der sich zugleich gegen die oligarchische Regierung und gegen die Juden wendete.

      Im Jahre 1240 wurden in Frankfurt 180 Juden teils erschlagen, teils verbrannt. Diese Verfolgung, bei Gelegenheit welcher zuerst eine Judengemeinde in Frankfurt erwähnt wird, soll dadurch entstanden sein, daß eine wider Willen getaufte Jüdin einem angesehenen Christen ihre Hand verweigerte, weil sie mit einem Juden versprochen war. Als Kammerknechte des Kaisers waren die Frankfurter Juden damals gut gestellt, hatten eigenen Gerichtsstand und eigene Gemeindeverwaltung, durften Grundeigentum erwerben und ihren Wohnsitz nach Belieben wählen. Die Judengasse wurde durchaus nicht nur von Juden bewohnt. Nachdem die Stadt das Eigentumsrecht über die Juden an sich gebracht hatte, verschlimmerte sich ihre Lage: im Jahre 1460 wurde ihnen die Judengasse als ausschließlicher Wohnort angewiesen. Anderseits konnten sich auch die Juden immer mehr bereichern, je mehr der Frankfurter Handel aufblühte und das Geld- und Wechselgeschäft, wie es die Anwesenheit der Meßfremden mit sich brachte, zunahm, das ja in ihren Händen lag. Während in der Bürgerschaft sich Haß gegen die Juden ansammelte, denen sie vielfach verschuldet war, nahm die Regierung sie in Schutz, weil sie an den gewinnbringenden Geldgeschäften beteiligt war oder daraus Vorteil zog. Die eigentlich handelnden Träger des Aufstandes waren unzufriedene Kleinbürger, im Hintergrunde wirkten aber auch Angesehene mit, namentlich die neu zugewanderten niederländischen Familien, die du Fay, de Neufville, Bernoully, d'Orville, die erst später in das Patriziat eintraten.

      Nach langen wechselvollen Verhandlungen und Kämpfen wurde Fettmilch mit mehreren Genossen hingerichtet. Beim Besteigen des Schafotts, das an der Stelle des jetzigen Gutenbergdenkmals stand, soll Fettmilch gesagt haben, er hoffe zu Gott und wisse bestimmt, daß Gott, bevor er sterbe, ein Zeichen tun werde. Erst nach vollzogener Hinrichtung stürzte der anwesende Ratsherr Joh. Ad. von Holzhausen vom Schlage getroffen zusammen, was vom Volke als Erfüllung der Prophezeiung angesehen wurde.

      Die von der Volkswut vertriebenen Juden wurden im Triumph und mit Trommelschlag in die Judengasse zurückgeführt. Es wird berichtet, daß ein Jude namens Oppenheim gebeten habe, eine Strecke weit selbst die Trommel schlagen zu dürfen, was ihm auch bewilligt worden sei. An den drei Toren der Judengasse waren drei große, auf Blech gemalte Reichsadler angebracht mit der Aufschrift: Römisch-kaiserlicher Majestät und des heil. Reiches Schutz. Aller Schaden, den die Juden während des Aufstandes durch Plünderung oder sonst erlitten hatten, wurde ihnen ersetzt. Im übrigen Reich bemerkte man mit Groll, daß die den Lutheranern verliehenen Privilegien nicht überall mit demselben Eifer innegehalten würden, wie auf den Schutz der Frankfurter Juden verwendet werde. Als beständiges Merkmal der Warnung und Drohung ließ die Regierung die Köpfe der hingerichteten Rebellen am Brückenturm befestigen. Dort sah sie noch mit Grauen Goethe als Knabe und fand, im Alter sich daran erinnernd, Worte des Mitgefühls und der Anerkennung für den unglücklichen Bekämpfer sozialer Mißstände.

      Wie in allen Städten hatte in Frankfurt die herrschende Klasse im 17. Jahrhundert einen engherzigen Charakter angenommen; trotzdem zeigte sich gelegentlich der Geist überlegener Menschlichkeit. Als die Gelnhauser Bürger sich im Jahre 1629 bei der Regierung beschwerten, daß den Hexen nicht genügend zuleibe gegangen werde, und als der Gelnhauser Magistrat sich deshalb an den Frankfurter wendete, da Gelnhausen das Recht von Frankfurt hatte, gaben die Frankfurter folgende besonnene Antwort: »… den anderen von Euer fürsichtigkeit burgerschafft erregten puncten aber betreffendt, sihet solches einem glimmenden feur sehr ähnlich und wirdt mitt gottes beystandt sonderlich darbey zu wachen sein; erachten zwar, daß nur der gemeinste man und feldarbeitter interessiert, welchen als dan die Prediger dero wahn, als ob dergleichen geclagte schäden von zauberern herrühren theten auff den cantzlen oder auch etwa den principalioren privatim mitt guten gründen zu benehmen und eines besseren zu underrichten ahnzumahnen weren; da aber auch verständigere den sachen beyfällig und von gemelten ihrer intention und vorhaben gedachter masen nicht zu differriren und lassen zu underrichten, so würden Euer fürbesichtigkeit darauff zu sehen, was die in allegirten aussagen vermelte persohnen sonsten für ein leben und wandel führeten, auch deren besagungen zu observiren und darüber rechtsgelährten raht zupflegen und sonderlich dabei zu gedencken haben, daß die peinliche halsgerichtsordnung art. 15 item 44 und sonsten gelehrt, damit unschuldiger menschenbluht nicht vergossen werde; und erinnern wir uns benachbarter exempel, wie weit ahn etliche orten solch wesen einreisen thutt, ahn andern aber sehr behutsam verfahren und solchen blosen aussagen nicht nachgesetzet, auch von hohen standtspersohnen also zu verfahren bedenken getragen, ob auch schon fast dergleichen ahnsuchen bey ihnen auch bestehen.« Das Ergebnis der Betrachtungen wird darin zusammengefaßt, daß nur greifbare schwere Verbrechen, wie Mord und ähnliche Missetaten, mit dem Tode zu bestrafen wären.

      Denkt man daran, wie fast überall der Hexenwahn die Einsicht der Menschen verdunkelte und sie zu einem sinnlosen Rechtsverfahren und bösartigster Grausamkeit antrieb, so vernimmt man dieses von Vernunft und Menschlichkeit durchleuchtete Gutachten beglückt wie eine Bürgschaft nicht ganz erloschenen Lichtes.

      Der Sage nach wurde die Tortur in Frankfurt durch das kluge und gute Vorgehen des Henkers Ulrich Waldmann abgeschafft. Nachdem er sich von der Unschuld


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