Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch
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»Ich genieße,« sagte Schenkern mit dreistem Lächeln, »was meine Ämter mir einbringen. Einem jeden das Seine. Ihre Gnaden müssen mit Ihrem Einkommen haushalten und sich in die Stellung Ihres Gemahls fügen lernen, die bescheidener ist als die hochfahrenden Mienen und Worte Eurer Gnaden. Denn bis jetzt ist der junge Herr nur der erste Untertan unseres regierenden Herzogs.«
»Der Rat, den Ihr mir gebt, ist gut für Euch«, rief Jakobe aufbrausend. »Wir werden sehen, wer sich eher in die Stellung bücken muß, die ihm zukommt, Ihr oder ich.«
Einstweilen freilich mußte Jakobe das kärgliche Leben fristen, das ihr vorgeschrieben war, womit es eher schlimmer als besser wurde, um so mehr, als sie nach Verlauf einiger Jahre noch immer nicht schwanger geworden war. Die Sucht, sich hervorzutun, zu der sie Jan Wilhelm angespornt hatte, ließ gänzlich bei ihm nach und wich trüben Gedanken, wie daß Gott ihn mit Kinderlosigkeit für seine Sünden strafe, als welche er vorzüglich ansah, daß er seinem Vater getrotzt und daß er Elend über seine Untertanen gebracht habe. Es waren nämlich in die Stadt Wesel, die er zur Einführung eines katholischen Pfarrers hatte zwingen wollen, spanische Truppen eingelegt worden, die sich wegen des Krieges mit den niederländischen Staaten an der Grenze befanden, und er hatte eine Bittschrift der Stadt gelesen, in der sie über ihre Bedrängung Klage führte. Ein Satz, der darin vorkam, nämlich: ›Schreit es nicht zum Himmel, daß schutzlose Witwen und Waisen, die keines anderen Verbrechens schuldig sind, als daß sie in ihrem Glauben verharren wollen, von einer fremden, grausamen Soldateska unausstehliche Marter und Qual Leibes und der Seele erdulden müssen?‹, hatte sich ihm so eingeprägt, daß er durch nichts anderes zu verdrängen war. Weder Schelten noch Schmeicheln, wodurch Jakobe ihn wechselweise umzustimmen suchte, noch die sonst beliebte Zerstreuung des Brett- oder Ballspiels verfingen; ja, eines Tages kam es so weit, daß der Prinz sich aufzustehen weigerte, weil ihm die Lust am Leben vergangen sei.
Um diese Zeit starb Dietrich von Horst, der Jan Wilhelm erzogen hatte und dem er, obwohl er von ihm mit Strenge behandelt worden war, so zärtlich anhing, daß man sich nicht getraute, seine Schwermut durch die Todesbotschaft zu vermehren. Die Ärzte des alten Herzogs, unter denen ein sechzigjähriger Mann, der Doktor Solenander, das meiste Ansehen hatte, erteilten den Rat, den Kranken durch eine Reise zu entfernen; währenddessen könne der von Horst bestattet werden, und zugleich würden die neuen Eindrücke den jungen Herzog auf andere Gedanken bringen.
Jakoben, die ihren Gemahl begleiten wollte, riet Solenander freundlich davon ab; er ehre und verstehe ihre Liebe und Treue, urteile jedoch als Arzt, daß eine vollständige Veränderung der Umgebung dem Kranken am dienlichsten sei, besonders auch, weil es nicht anders sein könne, als daß die Nähe seiner jungen und schönen Frau ihn zu allerhand Zärtlichkeiten ehelicher Liebe reize, wodurch er seine Kraft erschöpfe, und das müsse eben jetzt am allermeisten vermieden werden. Trotz ihres Vorurteils gegen den Arzt, der kalvinisch war, flößte sein redliches und würdiges Wesen ihr Vertrauen ein, so daß sie ihm mit kindlich huldvollem Lächeln erwiderte, sie wolle sich seinen Anordnungen fügen. Freilich war es ihr aufs bitterste zuwider, daß es Schenkern war, dem ihr Mann anvertraut wurde und der ihn wie einen Gefangenen mit sich führte; allein sie tröstete sich damit, daß Jan Wilhelm in einem leidlichen Zustande wiederkommen und daß sie zunächst einmal von dem Druck seiner seltsamen Melancholie frei sein werde.
So recht von Herzen frei und fröhlich, ob man das in dem weitläufigen Schlosse von Düsseldorf sein könne, daran zweifelte sie zwar. Oftmals stand sie vor dem Bilde der verstorbenen Herzogin Maria, der Mutter ihres Mannes, die, wie man ihr erzählt hatte, jahrelang voll irrer und trübseliger Gedanken, fast abwesenden Geistes gewesen war. Nicht ohne Grauen betrachtete sie die schmale, in sich zusammengekrochene Gestalt, die von dem scharlachfarbenen Brokatkleid erdrückt schien, das spukhaft bleiche, angstvolle Gesicht unter den gelblich-roten Haaren und die dünnfingrigen Hände, die sich wächsern um ein Andachtsbuch bogen. Auch ihr gefiel es, Schwiegertochter einer Tochter des hochseligen Kaisers Ferdinand I. und Tante des regierenden Kaisers Rudolf zu sein; trotzdem machte es sie ein wenig lachen, daß man sich hier auf diese mißratene Person so viel zugute tat. Wie ein Gespenst vor der Morgenröte mußte dies Jammerbild vor ihrer Kraft und Schönheit erlöschen! Verse aus einem Gedicht fielen ihr ein, das Graf Philipp von Manderscheid einst für sie gemacht hatte, ihr Geliebter, den ihre Heirat in Raserei und selbstmörderischen Tod getrieben hatte, und die lauteten: ›Königin Sonne, du leuchtest so! Ich und der Sommer, wir brennen lichterloh!‹
Ein tiefer Unmut stieg in ihr auf: während die Welt überall voll Lust und Prangen war, mußte sie in diesem Schlosse eingesperrt sein, dessen Luft Gott weiß woher von verderblichen Übeln voll zu sein schien. Kaum war sie der düsteren Gesellschaft ihres Mannes ledig, so kam der alte Herzog und klagte sich unter Weinen und Seufzen an, er habe den einzigen Sohn, der ihm übriggeblieben sei, zur Verzweiflung getrieben, indem er ihn nicht zur Regierung habe zulassen wollen; das habe ihn mit argwöhnischen und widerwärtigen Gedanken erfüllt; er sei ein harter, ungerechter Vater gewesen, zur Strafe werde nun sein Haus aussterben und Unglück über sein Land kommen. Jakobe dachte bei sich, daß dem Alten recht geschehe; aber lange mochte sie ihn doch nicht weinen sehen und beschwichtigte ihn mit mitleidigen Worten und ausgelassenen Neckereien, so daß er sie zuletzt aus seinem Jammer kläglich anlachen mußte. Er und Sibylle schrieben lange Briefe an Jan Wilhelm, er solle sich nur lustig machen, daheim gehe alles gut und nach Wunsch; denn Doktor Solenander hatte ihnen gesagt, es sei wichtig, daß der Kranke heitere Eindrücke erhalte.
Drei Tage später jedoch wurde der Reisende von Schenkern zurückgebracht, der erklärte, nach einer anfänglichen Besserung habe des Kranken Melancholie so zugenommen und ein so heilloses Ansehen gewonnen, daß er schleunig habe umkehren müssen; der Wunsch, zu Hause zu sein, sei der einzige Trieb gewesen, der noch einiges Leben in dieser armen Seele verraten habe. Eine gewisse Beruhigung schien der Kranke zu spüren, als er sich wieder in Jakobes Händen fühlte; allein wenn er auch allmählich zu einer Lebenstätigkeit zurückkehrte, so war diese doch unregelmäßig und ungeordnet und erweckte Grauen. Des Nachts besonders ruhte er nicht, sondern ging hin und wider in den langen Gängen des Schlosses und verlief sich wohl gar, und wenn der alte Herzog oder sonst jemand von der Familie ihm entgegentrat mit Beschwörungen, er solle sein Lager aufsuchen, so stierte er sie sinnlos an oder schrie und fuchtelte mit den Armen, bis sie zurückwichen und sich verbargen.
Einmal erwachte Sibylle in der Nacht durch ein absonderliches Krachen der Stiege unter dem Dache, und da sie, vorsichtig schleichend, dem Geräusch nachging, kamen ihr ihres Bruders Bedienstete verstört entgegen und meldeten, daß er in Begleitung eines einzigen Edelknaben auf die Zinne des Schlosses gestiegen sei, um nach dem Feinde auszulugen, und daß er gedroht habe, es dürfe ihnen niemand folgen. Sibylle weckte zitternd den Alten, kleidete ihn notdürftig an und zog ihn, der kaum verstand, was vorging, mit sich fort aus dem Tor hinaus auf den Schloßplatz. Es war November, und der Sturm heulte feucht von Westen her über den Rhein. Nach oben blickend, gewahrte Sibylle auf dem Dache eine schattenhafte Bewegung und unterschied zwei Gestalten, von denen die kleinere eine Fackel trug, deren Flamme die sausende Luft flackernd auseinanderbog; die andere, hoch und schmal, warf lange Arme in die Luft, bückte sich, kniete nieder und beugte sich weit zwischen den Zinnen vor in die Tiefe. Mit entsetztem Finger deutete Sibylle auf das herabhängende Haupt, dessen langes Haar der Wind hin und her blies; plötzlich erlosch die Fackel, die von dem Knaben gehalten wurde, worüber der in seinem Pelz schaudernde Alte erschrak und, beide Arme nach oben ausbreitend, den Namen seines Sohnes hinaufjammerte. Angstvoll drückte Sibylle ihre Hand auf seinen Mund, weil sie glaubte, es sei gefährlich, einen Nachtwandler anzurufen; ohnehin hatte der Wind die schwachen Greisenlaute verweht, und es schien nicht, als ob der irre Träumer sich der Gegenwart seiner Angehörigen bewußt geworden sei.
Jakobe war erwacht, als ihr Mann das Lager verließ; da sie aber daran gewöhnt war, hatte sie sich nicht darum bekümmert und war wieder eingeschlafen. Als Sibylle mit grämlich scharfen Worten darauf hindeutete, sagte Doktor Solenander, der Schlaf sei der armen Frau wohl zu gönnen, die tagüber Plage und Sorge vollauf habe. Vielleicht sei es ratsam, um verderbliche Zufälle zu verhüten, daß Jakobe künftig das Schlafgemach zuschließe und ihren Mann nicht hinausgehen lasse, vorausgesetzt, daß sie sich getraue, ihn zu bemeistern. Übrigens sei da nichts zu machen, als daß der Körper des Kranken verständig durch gute Luft und milde, bekömmliche