Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.hüpften wie die Augen einer wilden Katze über den Boden. Wie sie über den Platz bei der Emmeranskirche gingen, schien es ihnen, als ob sich am Chore etwas bewege, und indem sie sich umsahen, kam zwischen den Bäumen, die dort standen, ein verhüllter Mann hervor, trat schnell an des Grafen Seite und bat dringend um ein Almosen. Während der Diener, dem der Graf einen Wink gab, mit zitternder Hand in der Tasche nach einer Münze suchte, schob der Erzbischof seine Pelzkapuze zurück, trat dicht vor den Mann und sagte mit laut schallender Stimme: »Mitternacht ist keine Zeit, um Almosen zu bitten; wenn du in Not bist, so melde dich morgen bei mir, dem Erzbischof von Mainz«, worauf der Verhüllte augenblicklich zurückwich und in eiliger Flucht hinter der Kirche verschwand. Schweikhard triumphierte, er hätte es vorausgesagt, es sei jetzt ein großer Zulauf von abenteuerndem Gesindel in Regensburg, wäre er nicht zur Stelle gewesen, hätte der Wegelagerer ihnen noch ein Stück Geld abgeängstigt. Die Herren ließen es dabei, hielten aber dafür, der Mann sei ein Jesuit oder von Jesuiten gedungen gewesen und hätte es auf einen Mord abgesehen gehabt. Würde ein Bettler, dachten sie, sich in diesen kalten Nächten, wo die Vögel erfroren, auf die menschenleere Gasse stellen? Wer konnte sagen, ob der Erzbischof nicht von dem schwarzen Anschlag Wind bekommen und ihn aus löblichem Antrieb seines Herzens zunichte gemacht hatte?
Dem Stellvertreter des Kaisers, Ferdinand, wurde seine Bürde desto lästiger, je weniger ein Ende abzusehen war. Kam er vergnügt von einer Jagd oder Prozession zurück, so konnte er sicher sein, daß ihn eine unbequeme Nachricht von den Geschäften erwartete. Die Ketzer seien nun einmal halsstarrige Esel, sagte er, vergeblich traktiere man sie mit Hü und Hott, guten und bösen Worten, die Bestie sei nicht von der Stelle zu bringen. Inzwischen wurde ihm die Mutter krank, sorgte sich die Frau um ihn und um die Kranke, verlangte der Bube nach seinem Vater; er hätte den ganzen Kram zusammenschmeißen mögen. Da ereignete sich ein Zwischenfall, der ihn von ganz anderer Seite in die größte Bestürzung und Drangsal versetzte. Zufälligerweise nämlich geriet die Korrespondenz, welche von dem im Jahre 1606 zwischen den Gliedern der habsburgischen Familie abgeschlossenen Vertrage handelte, in die Hände eines kaiserlichen Beamten, und die sorgfältig geheimgehaltene Abmachung, ja gleichsam Verschwörung wurde dadurch dem Kaiser bekannt. Der Zorn desselben, der sein Mißtrauen gerechtfertigt sah, stieg aufs höchste und wendete sich hauptsächlich gegen Ferdinand, den er für anhänglich und weniger gefährlich als seine Brüder gehalten hatte. Das Herz sank dem Erzherzoge, als das Mißgeschick offenbar wurde und keine Möglichkeit blieb, das Geschehene abzuleugnen. Zwar wurden sofort Briefe an den Kaiser abgeschickt mit Versicherungen, der Vertrag sei keineswegs gegen seine Hoheit gemeint, sondern hätte nur für den etwaigen, hochzubeklagenden Fall seines Todes Vorsorge treffen sollen; allein sie verfingen nicht, und es galt nun, einen entschiedenen Standpunkt einzunehmen. Am liebsten hätte Ferdinand sich der Gnade des Kaisers anvertraut und Matthias verleugnet, da der Kaiser nun einmal das rechtmäßige Oberhaupt war und zunächst den sichersten Schutz bot; inzwischen hatte Matthias aber Fortschritte in Ungarn gemacht, und man mußte darauf gefaßt sein, daß er den rebellischen Protestanten in Böhmen die Hand bot und mit dem Kaiser abfuhr: wo blieben dann diejenigen, die es mit dem Abgedankten gehalten hatten? Im vertrauten Kreise schimpfte Ferdinand auf Matthias, der an allem schuld sei; hätte er voraussehen können, daß der desperate Mensch in solcher Furie gegen den eigenen Bruder losziehen würde? Die Suppe hätte ihnen der Khlesl eingebrockt, der mehr als der Gottseibeiuns zu fürchten sei; der hätte dem Matthias, der ein guter, frommer Mensch gewesen sei, so lange den Wolfspelz umgehängt, bis er ein Wolf geworden sei. Seine Mutter, die Erzherzogin Maria, die sich in den verschiedenen Klöstern, denen sie angehörte, mit Andachtsübungen auf den Tod vorbereitete, stimmte eifrig ein und riet zu vorsichtiger Zurückhaltung, um es weder mit Rudolf noch mit Matthias zu verderben; auch ihr Bruder, der alte Herzog von Bayern, Ferdinands Schwiegervater, sei der Meinung, da Ferdinand nun einmal in dieser Klemme stecke, müsse er ein wenig dissimulieren, um Zeit zu gewinnen, inzwischen könne dies oder das geschehen und die Lage sich ändern.
Einen Trost gewährte das Anerbieten Schweikhards von Mainz, er wolle nach Prag reisen und Frieden stiften. Die kaiserliche Majestät sei zwar ein wenig spanisch und besonders, im Grunde aber gut und fromm, man müsse ihn nur zu nehmen wissen. In den jetzigen gefährlichen Läuften dürfe nicht noch ein Familienstreit zu den vielen im Reiche obschwebenden Zwistigkeiten kommen; auch Matthias meine es ja nicht böse, bei allseitigem gutem Willen werde sich die Sache wohl wieder einrenken lassen.
Der Reichstag hatte inzwischen keine guten Früchte gezeitigt. Im Februar wurden die württembergischen Gesandten wegen des durch einen Schlagfluß herbeigeführten jähen Todes des Herzogs Friedrich zurückgerufen, worauf auch die übrigen Evangelischen einer nach dem andern abreisten.
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Der Kaiser hatte in ohnmächtiger Wut zusehen müssen, wie Matthias sich zum Herrn von Ungarn machte, und erfuhr nun auch von seinen geheimen Verhandlungen mit den unzufriedenen böhmischen Ständen, so daß er sich nicht mehr verhehlen konnte, wie nahe er daran war, auch die böhmische Krone zu verlieren. Der zuverlässigste unter seinen Räten, Hannewald, wie auch der ihm unbedingt ergebene katholische Kanzler, Popel von Lobkowitz, rieten ihm beide, einen Landtag einzuberufen, auf welchem die Stände ihre Forderungen vortragen könnten; dies sei das einzige Mittel, das Vertrauen wieder herzustellen. Hannewald war ein kluger, arbeitskräftiger Mann, der einzig den Vorteil des Kaisers im Auge hatte, alle Menschen außer sich selbst verachtete und durch nichts aus dem Geleise zu bringen war. Zuweilen betrank er sich so, daß er für einige Tage aussetzen mußte; aber das einmal gesteckte Ziel behielt er trotzdem im Auge. Er beredete den Kaiser sogar dazu, den Landtag in Person zu eröffnen, denn im Volk sei das Gerede im Schwange, der echte Kaiser Rudolf sei lange tot, man halte einen im Schloß verborgen, der ihm ähnlich sehe, darum müsse er sich einmal öffentlich zeigen.
Die dem außerordentlichen Ereignis vorausgehenden Tage war Rudolf unruhig mit den Vorbereitungen zu seinem Aufputz beschäftigt; er wollte einen schönen und majestätischen Eindruck hervorbringen. Als er mit niedergeschlagenen Augen, von dem Kanzler und einigen Räten geleitet, in den hohen und weiten Versammlungssaal trat, zitterten seine Knie vor ängstlicher Erregung; er hatte das Gefühl, als starrten ihm die Blicke der anwesenden Stände wie Lanzenspitzen entgegen. Dem war jedoch nicht so: die schwarzgekleidete, ein wenig gebeugte Gestalt des Kaisers, der feine Silberschimmer, der über seinen Haaren lag, der Ausdruck des Leidens auf seinem bleichen Gesicht erregte Mitleid und Rührung in den Gemütern und schlug für den Augenblick die feindliche Leidenschaft nieder. Diese gesänftigte Stimmung, die er mit einem verstohlen auf die Versammelten geworfenen Blick erhaschte, erleichterte es ihm, die wenigen Worte, die er zu sprechen hatte, in würdevoller Haltung und mit dem Schein edler Gelassenheit vorzutragen.
Als die Sitzung vorüber war und er sich von der ungewohnten Anstrengung erholt hatte, ließ er auftischen und nahm mit Frauen und Zechgenossen eine Mahlzeit ein. In heiterer Laune machte er sich über die trotzigen Stände lustig, die er am Narrenseil springen ließe; nichts, nichts würde er von ihren Forderungen bewilligen, sie möchten sitzen und beraten und Paragraphen schreiben, solange es sie gelüstete, zuletzt schickte er sie mit langer Nase heim. Es trug zu seinem Wohlbefinden bei, daß Lang auf einer Reise abwesend war; denn dessen Fall war, seit die Sache mit Matthias zum Ausbruch gekommen war, beschlossen. Bei seiner Rückkehr wurde er verhaftet, vor ein Gericht gestellt, und auf sein Vermögen wurde Beschlag gelegt. Einen Teil davon erhielten die vielen Herren, die nun Klagen einreichten, sie hätten Lang große Summen ausgezahlt, damit er ihre Anliegen, Beförderungen und andere Gnadenakte beim Kaiser betreibe, aber keinen Erfolg gesehen; das übrige fiel dem Kaiser zu. Viele wünschten, den hochmütigen und habgierigen Mann am Galgen oder auf dem Scheiterhaufen enden zu sehen; allein das Gericht fand eine solche Schärfe dem ehemaligen Liebling des Kaisers gegenüber nicht angezeigt, zumal da ihm weder in hochverräterischen Handlungen noch in Zauberei etwas Eigentliches nachzuweisen war, und ließ es bei Verlust des Vermögens und der Freiheit auf Lebenszeit bewenden.
Matthias hatte sich die künftige Größe mehr Mühe und Arbeit kosten lassen, als von seiner Natur zu erwarten war, nur in einem wichtigen Punkte blieb er hartnäckig, nämlich in dem einer standesgemäßen Heirat. Hätte er einen ehelichen Nachfolger gehabt, so hätte er weit mehr Aussicht auf allgemeine Anerkennung gehabt, als jetzt der Fall war, und er selbst wie die Verfechter seiner Sache hätten viel ruhiger in die Zukunft blicken können. Die Schwierigkeit bestand aber