Maigret und der faule Dieb. Georges Simenon

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Maigret und der faule Dieb - Georges  Simenon


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besitzt keinen eigenen Verstand.

      Die Untersuchung wurde von den imposanten Schreibtischen des Untersuchungsrichters und des Staatsanwalts aus geleitet, von dort aus wurden die Befehle erteilt.

      Aber auch für die Ausführung dieser Befehle wollte man nicht mehr die Beamten vom alten Schlag, von denen viele wie Aristide Fumel mit der Rechtschreibung ihre Schwierigkeiten hatten.

      Wenn es nun vor allem darum ging, Papier vollzuschreiben – was sollte man dann mit diesen Leuten, die ihren Beruf auf der Straße gelernt hatten, bei der Bahnhofspolizei gewesen waren und Kaufhäuser überwacht hatten, jedes Bistro in ihrem Viertel kannten, jeden kleinen Gauner und jedes Strichmädchen und von denen manche in der Lage waren, mit den Verbrechern in ihrer eigenen Sprache zu diskutieren?

      Man brauchte jetzt für alles ein Diplom, musste für jede Karrierestufe eine Prüfung ablegen, und Maigret konnte für seine Ermittlungen nur noch auf die wenigen alten Mitarbeiter aus seiner Truppe zurückgreifen.

      Man verdrängte ihn noch nicht ganz. Vielmehr geduldeten sie sich, denn sie wussten ja, dass er sowieso in zwei Jahren pensioniert werden würde.

      Dennoch überwachten sie jeden seiner Schritte.

      Es war noch nicht hell draußen, und während er frühstückte, gingen in dem Haus gegenüber nacheinander die Lichter an. Durch diesen Telefonanruf war er früher dran als sonst und fühlte sich ein wenig benommen, so wie man sich fühlt, wenn man nicht genug geschlafen hat.

      »Fumel, ist das nicht der, der schielt?«

      »Ja.«

      »Der, dem die Frau durchgebrannt ist?«

      »Ja.«

      »Hat man sie nie wiedergefunden?«

      »Sie soll in Südamerika verheiratet sein und einen Haufen Kinder haben.«

      »Weiß er das?«

      »Wozu?«

      Er kam auch früher als sonst ins Büro, und obwohl es endlich Tag geworden war, musste er seine Lampe mit dem grünen Schirm anmachen.

      »Verbinden Sie mich bitte mit dem Revier an der Fasanerie.«

      Er hatte kein Recht dazu. Aber er wollte jetzt nicht sentimental werden.

      »Hallo? Ist Inspektor Fumel da? Wie? Er schreibt seinen Bericht?«

      Andauernd Papierkram, Formulare, verlorene Zeit.

      »Bist du es, Fumel?«

      Wieder sprach Fumel mit gedämpfter Stimme, als telefonierte er heimlich.

      »Ist der Erkennungsdienst fertig?«

      »Ja. Sie sind vor einer Stunde gefahren.«

      »War der Gerichtsmediziner am Tatort?«

      »Ja. Der neue.«

      Denn sie hatten auch einen neuen Gerichtsmediziner. Der alte Doktor Paul, der noch mit sechsundsiebzig Jahren Autopsien vorgenommen hatte, war gestorben und durch einen gewissen Lamalle ersetzt worden.

      »Was sagt er?«

      »Das Gleiche wie sein Kollege. Der Mann ist nicht dort getötet worden. Es besteht kein Zweifel, dass es eine starke Blutung gab. Die letzten Schläge ins Gesicht hat man ihm versetzt, als er schon tot war.«

      »Hat man ihn ausgezogen?«

      »Zum Teil.«

      »Ist dir am linken Arm eine Tätowierung aufgefallen?«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Ein Fisch? Eine Art Seepferdchen?«

      »Ja.«

      »Hat man seine Fingerabdrücke genommen?«

      »Ja. Sie sind dabei, die Kartei durchzusehen.«

      »Ist die Leiche jetzt in der Gerichtsmedizin?«

      »Ja. Wissen Sie, mich hat das vorhin sehr geärgert. Und ich bin jetzt noch sauer, aber ich habe mich nicht getraut …«

      »Du kannst in deinem Bericht schon schreiben, dass aller Wahrscheinlichkeit nach der Ermordete ein Mann namens Honoré Cuendet ist, ein gebürtiger Schweizer aus dem Kanton Waadt, der fünf Jahre in der Fremdenlegion gewesen ist.«

      »Der Name sagt mir etwas … Wissen Sie, wo er gewohnt hat?«

      »Nein. Aber ich weiß, wo seine Mutter wohnt, wenn sie noch lebt. Ich würde gern als Erster mit ihr sprechen.«

      »Das kriegen die raus.«

      »Das ist mir egal. Schreib dir die Adresse auf, aber geh erst hin, wenn ich dir einen Wink gebe. Sie wohnt in der Rue Mouffetard. Ich weiß die Hausnummer nicht. Im Zwischenstock über einer Bäckerei, fast an der Ecke der Rue Saint-Médard.«

      »Ich danke Ihnen.«

      »Bleibst du noch im Büro?«

      »Ich habe noch zwei bis drei Stunden mit dem verfluchten Bericht zu tun.«

      Maigret hatte sich nicht getäuscht. Aber neben einer gewissen Befriedigung überkam ihn auch ein Anflug von Trauer. Er verließ sein Büro und ging die Treppe zum Zentralregister hinauf, an dem sich gerade Männer in grauen Kitteln zu schaffen machten.

      »Wer kümmert sich um die Fingerabdrücke des Toten im Bois de Boulogne?«

      »Ich, Herr Kommissar.«

      »Hast du schon was gefunden?«

      »Gerade eben.«

      »Cuendet?«

      »Ja.«

      Etwas aufgeregt ging er jetzt durch die Flure, bis er das Dachgeschoss des Palais de Justice erreichte. In den Räumen des Erkennungsdiensts fand er seinen alten Freund Moers – ebenfalls über Papiere gebeugt. Noch nie hatte man solche Papierberge aufgehäuft wie in den letzten sechs Monaten. Natürlich war die Verwaltungsarbeit auch früher wichtig gewesen, aber Maigret schätzte, dass sie seit einiger Zeit in allen Abteilungen ungefähr achtzig Prozent der Zeit beanspruchte.

      »Haben sie dir die Kleidungsstücke gebracht?«

      »Die von dem Mann im Bois de Boulogne?«

      »Ja.«

      Moers deutete auf zwei seiner Mitarbeiter, die große Papiersäcke schwangen, in denen sich die Kleidungsstücke des Toten befanden. Das war Teil der Prozedur. Es ging darum, alle möglichen Staubpartikel aufzufangen und sie dann zu analysieren, was manchmal wertvolle Hinweise lieferte: auf den Beruf eines Unbekannten, seine Wohnräume, manchmal auch den Ort, an dem das Verbrechen begangen worden war.

      »Die Taschen?«

      »Nichts. Keine Uhr. Keine Brieftasche, keine Schlüssel. Nicht einmal ein Taschentuch. Überhaupt nichts.«

      »Und die Etiketten an der Wäsche und am Anzug?«

      »Die sind weder herausgerissen noch herausgetrennt worden. Ich habe den Namen des Schneiders notiert. Brauchen Sie ihn?«

      »Jetzt nicht. Der Mann ist schon identifiziert.«

      »Wer ist es?«

      »Ein alter Bekannter von mir, ein gewisser Cuendet.«

      »Ein Verbrecher?«

      »Ein stiller Mensch, der stillste Einbrecher, den man sich vorstellen kann.«

      »Glauben Sie, es war ein Komplize von ihm?«

      »Cuendet hatte nie einen Komplizen.«

      »Warum ist er getötet worden?«

      »Das möchte ich auch gerne wissen.«

      Wie in den meisten Pariser Büros an diesem Tag arbeitete man auch hier bei künstlichem Licht. Der Himmel war stahlgrau, und der Straßenbelag wirkte so schwarz, als wäre er mit einer Eisschicht bedeckt.

      Die Leute


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