Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band). Else Ury

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Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band) - Else Ury


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Nur Hilde Rabe redete keck drauflos.

      Aber als Annemarie jetzt ihre kleinen Freundinnen in das Weihnachtszimmer führte und ihnen ihre schönen Geschenke zeigte, löste sich die verlegene Befangenheit.

      »Hast du aber viel geschenkt bekommen,« sagte Margot bewundernd – »och, ich hab’ noch viel, viel mehr gekriegt!« rief Hilde dazwischen.

      »Mein Märchenbuch ist noch mal so dick wie deins«, rühmte sich auch Ruth.

      »Und meine Cousine hat eine Puppenschule mit einer großen, schwarzen Tafel und einer Landkarte«, übertrumpfte Ilse sie noch.

      »Ich finde meine aber auch sehr schön«, sagte Annemarie ärgerlich.

      Mariannchen, welche die süße, kleine Lampe für die Puppenstube bewunderte, zerschlug dabei den Zylinder. Hilde Rabe aber ärgerte Mätzchen mit kß, kß, kß, daß es aufgeregt im Bauer umherflatterte.

      Die kleine Wirtin war ordentlich erleichtert, als Fräulein die Kinder zur Schokolade rief. Schokolade mit Schlagsahne! Ei, wie das schmeckte, wie die kleinen Mäulchen schleckten! Von der anfänglichen Verlegenheit war keine Spur mehr zu merken, das schwatzte und summte durcheinander wie in einem Bienenstock.

      Nesthäkchen war allerdings zuerst wieder etwas enttäuscht. Als Fräulein die bunte Schüssel anbot, rief Annemarie: »Fräulein, den kleinen Marzipanpantoffel möchte ich haben.«

      »Erst kommen deine Gäste heran, Annemie«, belehrte sie Fräulein.

      Nein, Hilde Rabe war wirklich so dreist, ihr den kleinen Marzipanpantoffel vor der Nase wegzuschnappen. Hätte sie die Hilde doch bloß nicht eingeladen!

      Als man mit den süßen Genüssen fertig war, denn leider kommt auch bei Schokolade mal die Zeit, wo man satt ist, ging’s ans Spielen.

      »Wir wollen Teller drehen«, schlug Margot vor.

      »Lieber Kellen raten«, rief Marlenchen.

      »Ach bitte, wie gefällt dir dein Nachbar.« Ruth meldete sich dabei, als ob sie in der Schule wäre.

      »Nee, die Reise nach Jerusalem ist noch viel famöser!« schrie Annemarie und kletterte sogar auf den Stuhl, um sich besser Gehör zu schaffen.

      »Ich turne lieber an den Schaukelringen.« Hilde Rabe flog bereits durch die Luft.

      »Nein, ich bin die Wirtin, und nach mir geht’s, und wenn ihr so seid, dann spiele ich überhaupt nicht mit euch, sondern allein mit meiner Puppe!« klang es wieder aufgebracht von Nesthäkchens Lippen.

      »Aber Lotte, schämst du dich denn gar nicht? Die Wirtin muß doch verträglich sein und sich nach den Wünschen ihres Besuches richten«, tadelte die ins Zimmer tretende Mutter.

      »Wirtin sein ist gräßlich, wenn’s immer bloß nach den anderen geht«, murrte die Kleine.

      Aber als Bruder Hans sich jetzt zu den Kleinen gesellte, um als Großer die Spiele zu leiten, da Fräulein noch zu tun hatte, wurde der Wunsch einer jeden erfüllt. Die Kinder amüsierten sich köstlich, selbst Hilde ließ ihre Schaukelringe im Stich und spielte lieber mit. Auch Klaus beteiligte sich. Er war heute ziemlich artig, abgesehen davon, daß er die kleinen Mädchen öfters mal an den Zöpfchen zog.

      Dann kam die Verlosung. Mutti hatte ihre Lotte überrascht und eine Lotterie veranstaltet. Was konnte man da für entzückende Sachen gewinnen! Federbüchsen und Notizbüchlein, Beutel mit bunten Perlen, Abziehbilder, Geduldspiele, ein winzig kleines Domino, Würfel und noch viele andere schöne Dinge. Jedes Kind zog ein Los und bekam dann den Gewinn, der auf seine Nummer fiel.

      Leider aber muß ich erzählen, daß nicht jeder mit dem, was er gewonnen hatte, zufrieden war. Ruth schielte auf Margots Perlenbeutel, dabei hatte sie selbst doch solch nettes Lesezeichen erhalten. Hilde überredete Marlenchen, mit ihr zu tauschen und ihr für die Federbüchse ihre Abziehbilder zu geben. Und als der Tausch geschehen, begannen sich die beiden zu zanken, weil Marlenchen durchaus wieder zurücktauschen wollte. Hilde jedoch sprang mit ihren erbeuteten Abziehbildern in der Stube herum und schrie: »Was geschenkt ist, bleibt geschenkt!«

      Im Kinderzimmer in der Ecke aber hockte einsam und allein die kleine Wirtin und weinte bitterlich, weil Mariannchen das niedliche Domino gewonnen hatte und nicht sie. Vergebens versuchte Puppe Gerda sie zu trösten.

      Erst Vater, der seine Lotte unter den Kindern vermißte und sie in der Kinderstube in Tränen fand, setzte seinem Nesthäkchen den törichten kleinen Kopf zurecht. Ja, da schämte sich die Annemarie, als Vater ihr Vorstellungen machte, daß sie Mariannchen das Domino nicht gönnte. Da sah sie es ein, wie häßlich es von ihr war, ihre eigene kleine Person stets in den Vordergrund zu schieben und sich nicht zuerst nach den Wünschen ihres Besuches zu richten.

      Bis zum Abendbrot wurde noch gespielt, und Klein-Annemarie gab sich jetzt redlich Mühe, nicht an sich selbst zu denken, sondern erst an die anderen. Sie hatte es ja ihrem Vater versprochen.

      Die Berge mit belegten Brötchen schwanden im Umsehen. Hilde war recht unmanierlich und nahm sich gleich vier Stück auf einmal. Frau Doktor Braun hatte Angst, daß die Kleine sich den Magen verderben könnte. Aber Hilde behauptete: »Zu Hause esse ich noch tausendmal mehr!«

      Plötzlich, ohne daß jemand eine Ahnung davon hatte, stand Nesthäkchen vom Stuhl auf und klopfte an ihr Glas mit Himbeerwasser. Sie hatte an Großmamas Geburtstag neulich zum erstenmal in ihrem Leben eine Tischrede gehört. Man hatte auf Großmamas Wohl angestoßen und »hoch soll sie leben« gesungen. Das hatte auf Nesthäkchen großen Eindruck gemacht. Fräulein erzählte ihr später, daß man solche Rede einen Toast nennt, und daß dieser selten bei einer Gesellschaft fehlt.

      Drum stand Klein-Annemarie auch heute bei ihrer Kindergesellschaft auf und rief mit lauter Stimme: »Ich rede jetzt einen Prost, und dann gehen alle Kinder nach Haus!« Darauf begann sie zu singen: »Hoch sollen sie leben – hoch sollen sie leben – dreimal hoch!« Und sämtliche Kinder fielen jubelnd mit ein. Vater und Mutter aber lachten Tränen über den merkwürdigen Toast ihres Nesthäkchens.

      Wieder ging die Klingel – klingling – ein Kind nach dem anderen wurde abgeholt. Mit begeistertem Dank zogen sie, ihren Gewinn im Arm, nach Haus.

      Schließlich war nur noch Hilde Rabe übrig.

      »Wann kommt denn dein Mädchen?« erkundigte sich Fräulein, denn ihrer kleinen Annemarie fielen die Augen fast zu vor Müdigkeit.

      »Och, noch lange nicht, ich gehe noch lange nicht nach Hause, wenn Geburtstag ist, darf ich auch immer bis zehn aufbleiben!« lautete die Antwort.

      »Aber heute ist kein Geburtstag, mein Kind. Unsere Frieda wird dich nach Haus begleiten, denn Annemarie muß jetzt ins Bett gehen, die darf nicht so lange aufbleiben«, sagte Frau Doktor Braun.

      Hilde jedoch wollte durchaus noch nicht nach Haus. Sie kroch unter den Tisch und versteckte sich. ALs Frieda sie vorziehen wollte, riß sie sich los, sprang an der entgegengesetzten Seite wieder hervor und lief davon durch alle Zimmer. Es mußte eine richtige Jagd auf sie gemacht werden.

      Aber als man sie endlich erwischt hatte und die Tür hinter ihr und Frieda zugeschlagen war, sagte Mutti in ernstem Ton: »Das ungezogene Kind wird nicht wieder eingeladen!«

      So müde Nesthäkchen auch war, es schämte sich für Hilde, daß sie sich so schlecht benommen hatte. Dann dankte Annemarie den Eltern von Herzen für den herrlichen Tag.

      Und damit war die Kindergesellschaft zu Ende.

      *

      Auch dieses Buch ist jetzt zu Ende.

      Ich will euch nur noch berichten, daß Nesthäkchen auch ferner bemüht war, ihren Eltern Freude zu machen. Auf die schönen Weihnachtsferien folgte ein fleißiger Winter. Als das erste Schuljahr um war und Annemarie in die neunte Klasse versetzt wurde, da brachte sie nicht nur eine feine Osterzensur heim, nein, sogar eine Prämie! Ein wunderschönes Geschichtenbuch, zur Belohnung für ihren Fleiß und ihr gutes Betragen.

      Und wollt ihr, liebe Kinder, wissen, wie es Klein-Annemarie weiterhin ergangen


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