Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.beruhigen und mußte sich auf eine Stufe der Treppe setzen, der Baron that desgleichen, und in dem Wagen zeigte ein fortwährendes, krampfhaftes Niesen, ein ununterbrochenes Keuchen an, daß die Baronin erstickte. Und nun fing auch plötzlich Marius’ Rock an zu zittern. Er hatte wahrscheinlich begriffen, um was es sich handelte, denn er lachte nun selbst mit aller Gewalt, drinnen in seinem Hut.
Da stürzte sich Julius wütend auf ihn, mit einer Ohrfeige trennte er den Kopf des Bengels von dem Riesenhut, der auf den Rasen flog, dann stammelte er, indem er sich zu seinem Schwiegervater umwandte, mit vor Zorn bebender Stimme:
– Ich denke, Du hast keine Veranlassung zu lachen, das wäre alles nicht nötig, wenn Du nicht Dein Geld versumpft und alles aufgefressen hättest. Wer ist denn schuld, wenn Du ruiniert bist?
Die allgemeine Heiterkeit erstarrte auf dem Fleck und keiner sagte mehr ein Wort.
Johanna war dem Weinen nahe und ließ sich lautlos neben ihrer Mutter nieder. Der Baron war erstaunt verstummt und nahm den Damen gegenüber Platz, und Julius setzte sich auf den Bock, nachdem er den heulenden Vengel, dessen Backe anschwoll, zu sich herauf gehißt.
Der Weg war traurig und erschien ihnen lang. Im Wagen schwiegen sie, sie waren still und verlegen alle drei, und wollten sich nicht eingestehen, was ihre Seelen beschäftigte. Sie wußten, daß sie von nichts anderem sprechen konnten, so quälte sie dieser schmerzliche Gedanke, und so zogen sie es denn vor, traurig zu schweigen und an dieses peinliche Thema nicht zu rühren.
Iin ungleichen Trab der beiden Tiere rollte der Wagen an den Höfen und Häusern vorüber, sodaß mit eiligen Schritten erschrocken, die schwarzen Hühner ausrissen, in die Hecken untertauchten und verschwanden. Diesen lief heulend ein Hofhund nach, der dann wieder mit gesträubtem Haar seine Hütte aufsuchte – um noch eine ganze Zeit dem Wagen nach zu bellen. Ein junger Kerl in schmierigen Holzschuhen mit langen, baumlichen Beinen, die Hände in den Taschen, die blaue Bluse am Rücken durch den Wind aufgeweht, trat zur Seite, um den Wagen vorüber zu lassen, und zog linkisch die Mütze, daß man seine an den Kopf geklebten Haare sah.
Und zwischen jedem Meierhofe dehnte sich die Ebene aus, und andere Höfe sah man in der Ferne hier und da.
Endlich bogen sie in eine große Tannenallee ein, die auf die Landstraße mündete. In den tiefen, schmutzigen Wagengleisen neigte sich der Wagen nach der Seite, sodaß Mutting schrie. Am Ende der Allee befand sich ein weißgestrichener Schlagbaum. Er war niedergelassen. Marius lief voraus, um zu öffnen, und sie mußten nun um einen großen Rasenplatz herum fahren, um auf einem runden Kiesweg vor ein hohes, geräumiges, trauriges Gebäude zu gelangen, dessen Läden geschlossen waren.
Die Mittelthür öffnete sich, und ein alter, gelähmter Diener trat ganz erstaunt heraus, in schwarz und rotgestreifter Weste, die seine Arbeitsschürze zum Teil zudeckte. Schwerfällig, mit kleinen Schritten stieg er die Treppe herab.
Er ließ sich die Namen der Besucher sagen und führte sie in einen geräumigen Salon, dessen immer geschlossene Läden er mühsam öffnete. Die Möbel waren mit Kappen bedeckt, die Uhr und die Leuchter von weißen Überzügen eingehüllt, und eine modrige Luft, wie aus alter Zeit, eisig, feucht, die das Herz mit Traurigkeit zu erfüllen schien, atmete man ein.
Sie setzten sich und warteten. Eilige Schritte im Korridor über ihnen, zeigten ungewöhnliche Hastigkeit an. Die überraschten Schloßbewohner kleideten sich wohl schnell an, aber es dauerte lange. Jemand lief die Treppe hinauf, dann wieder hinab.
Die Baronin nieste wegen der durchdringenden Kälte mehrmals hinter einander. Julius ging auf und ab. Johanna blieb traurig neben ihrer Mutter sitzen, und der Baron stand mit gesenkter Stirn, an die Marmorsäule des Kamins gelehnt.
Eine der großen Thüren öffnete sich, und Vicomte und Vicomtesse von Briseville erschienen.
Es waren zwei kleine, magere, tänzelnde Leute in einem schwer bestimmbaren Alter, förmlich und sehr verlegen. Die Frau hatte ein geblümtes Seidenkleid an, und trug ein Mützchen mit Bändern. Sie sprach sehr schnell, mit etwas gereizter Stimme.
Ihr Mann war in einen prachtvollen, englischen Überrock gehüllt und grüßte, die Kniee beugend. Seine Nase, seine Augen, seine unregelmäßigen Jahne, sein Haar, das aussah als wäre es mit Wachs getränkt, und sein schönes Staatsgewalt glänzten, wie Dinge glänzen, die man sorgsam in Acht nimmt.
Nach den ersten Begrüßungen und freundnachbarlichen Höflichkeitsphrasen wußte niemand mehr etwas Rechtes zu sagen. Man beglückwünschte sich gegenseitig, ohne zu wissen wozu, und hoffte, man würde die angenehmen Beziehungen pflegen. Wenn man das ganze Jahr auf dem Lande wohnte, war es doch möglich, sich zu besuchen.
Dabei ging die eisige Temperatur bis auf die Knochen und machte heiser. Die Baronin hustete jetzt, ohne dabei mit Niesen aufgehört zu haben. Da gab der Baron das Zeichen zum Aufbruch. Brisevilles baten aber schnell:
– Bleiben Sie doch noch ein bißchen.
Doch trotz der Winke Julius’, der den Besuch zu kurz fand, hatte sich Johanna schon erhoben.
Man wollte dem Diener klingeln, um den Wagen zu bestellen, aber die Klingel ging nicht, und der Hausherr eilte davon, kehrte zurück und sagte, man hätte die Pferde schon in den Stall gebracht.
Sie mußten warten. Jeder suchte irgend eine Redensart, um etwas zu sagen. Man sprach vom regnerischen Winter, Johanna fragte, indem sie ein Schauer überlief, was wohl ihre beiden Wirte das ganze Jahr hier allein trieben.
Aber die Brisevilles waren erstaunt über die Frage, denn sie beschäftigten sich unausgesetzt. Sie schrieben viel an ihre adligen Verwandten, die über ganz Frankreich gesäet waren, und verbrachten ihre Tage mit tausend Kleinigkeiten, waren förmlich gegen einander, wie gegen Fremde und sprachen in der wichtigsten Weise über die unbedeutendsten Dinge.
Und unter der hohen gebräunten Decke des großen, unbewohnten Salons, in dem alles verhängt war, schienen Johanna der Mann und die Frau, so klein, so rein, so tadellos.
Endlich fuhr der Wagen mit den beiden ungleichen Gäulen vor. Aber Marius war verschwunden. Er hatte gemeint, bis zum Abend frei zu sein und hatte wahrscheinlich eine kleine Unternehmung in die Nachbarschaft riskiert. Julius war wütend und bat, man möchte ihn zu Fuß nachschicken, und nach vielen gegenseitigen Begrüßungen und Lebewohls fuhr man wieder nach Les Peuples.
Sobald sie im Wagen saßen, fingen Johanna und ihr Vater, trotz des Druckes, der noch immer wegen Julius’ Rohheit auf ihnen lastete, an zu lachen, indem sie der Brisevilles Bewegungen und Art zu sprechen nachmachten. Der Baron ahmte dem Manne nach, Johanna der Frau; aber die Baronin fühlte sich etwas im Respekt gekränkt und sagte:
– Es ist sehr unrecht, euch so lustig zu machen, die Leute sind sehr comme il faut und von ausgezeichneter Familie.
Sie schwiegen eine Weile, um Mutting nicht zu kränken, aber trotz allem begannen Papa und Johanna ab und zu wieder, indem sie sich anblickten. Er machte eine förmliche Verbeugung und sagte in feierlichem Ton:
– Ihr Schloß Les Peuples muß sehr kalt sein, gnädige Frau, mit diesem gewaltigen Seewind, der dort immer bläst.
Sie nahm eine gekränkte Miene an und murrte, indem sie mit dem Kopfe nickte, wie eine Ente, die sich badet:
– O, wissen Sie, ich habe das ganze Jahr hier zu thun. Wir haben so viel Verwandte, denen man zu schreiben hat, und Herr von Briseville überläßt mir alles. Er treibt mit dem Abbé Pelle wissenschaftliche Studien. Sie schreiben zusammen die religiöse Geschichte der Normandie.
Nun lächelte die Baronin etwas geärgert, aber wohlwollend, und sagte:
– Es ist nicht recht, sich über Leute unseres Standes lustig zu machen.
Aber plötzlich blieb der Wagen halten. Julius brüllte etwas. Er rief jemand hinter sich. Da erblickten Johanna und die Baronin, die sich aus dem Wagen gebeugt, ein sonderbares Wesen, das auf sie zuzurollen schien. Die Beine in die fliegenden Schöße seiner Livrée verwickelt, blind gemacht durch den Hut, der unausgesetzt hin und herschwankte, die Ärmel wie ein paar Windmühlenflügel drehend, in die dicksten Pfützen platschend die er