Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.schon deinen Weg machen. Frau von Marelle hatte sich verschiedene Male zu ihm gewandt und der Brillant in ihrem Ohr zitterte unausgesetzt, als ob der seine Wassertropfen sich ablösen würde und herabfallen.
Das kleine Mädchen blieb ernst und unbeweglich sitzen, die Blicke auf den Teller geheftet.
Aber der Diener ging um den Tisch herum und goß in die farbigen Gläser den Johannisberger und Forestier brachte ein Hoch aus, indem er sich gegen Herrn Walter verneigte:
– Auf langes Gedeihen der ›Vie française‹!
Alle tranken dem lächelnden Chef zu. Und Duroy, der sich in seinem Triumph ganz berauscht hatte, schüttete das Glas auf einmal hinab. Ihm schien, als hätte er genau so gut ein ganzes Faß austrinken, als hätte er einen Ochsen verzehren oder ein Löwen erwürgen können. Er fühlte in den Gliedern übermenschliche Kraft und in seinem Gehirn unbesiegbare Energie, unendliche Hoffnung. Hier unter diesen Leuten saß er jetzt fest, er hatte sich schon eine Stellung gemacht und seinen Platz erobert. Mit ganz neuer Sicherheit blickte er die übrigen an und zum erstenmal wagte er es, ein Wort an seine Nachbarin zu richten:
– Gnädige Frau, Sie haben die schönsten Ohrringe, die ich je gesehen habe.
Lächelnd wandte sie sich zu ihm:
– Das ist aber auch eigene Erfindung, die Brillanten so aufzuhängen, nur an einem Fadchen. Sieht das nicht aus wie ein Tautropfen?
Er murmelte etwas befangen über seine Verwegenheit und in der Befürchtung, er möchte eine Dummheit sagen:
– Reizend! Wirklich reizend! Aber das Ohr hebt auch den Stein!
Sie dankte ihm mit einem Blick, mit einem jener leuchtenden Frauenblicke, die zum Herzen gehen.
Und wie er den Kopf wandte, trafen seine Augen die der Frau Forestier, die immer wohlwollend ihn anblickten, aber er meinte in ihnen etwas Heiteres, Lustiges zu lesen, eine Art Bosheit, eine Ermutigung.
Jetzt sprachen die Herren alle zu gleicher Zeit mit lebhaften Armbewegungen und lauter Stimme. Man redete über das große Projekt einer Stadtbahn. Der Gesprächsstoff ging erst mit dem Dessert zu Ende, denn jeder wußte eine Menge zu sagen über die Langsamkeit der Verbindungen in Paris, die Unbequemlichkeit der Pferdebahnen, das Unpraktische der Omnibusse, die Grobheit der Droschkenkutscher.
Dann verließ man das Eßzimmer um den Kaffee zu trinken. Duroy bot zum Scherz dem kleinen Mädchen den Arm. Sie dankte ernsthaft und reckte sich auf den Fußspitzen in die Höhe, um ihre Hand auf den Unterarm ihres Nachbars zu legen.
Als sie in den Salon traten, hatte er wieder das Gefühl, als käme er in ein Gewächshaus. Große Palmen sandten ihre Zweige in den vier Ecken des Raumes bis zur Decke hinan, und teilten sich oben in langen Wedeln. Zu beiden Seiten des Kamins befanden sich Gummibäume mit runden Stämmen wie ein paar Säulen und streckten eins über das andere ihre langen, dunkelgrünen Blätter hinaus. Auf dem Klavier standen zwei exotische Pflanzen ganz bedeckt mit Blüten, die eine rosa, die andere schneeweiß. Sie sahen wie künstliche, seltsame Blumen aus, viel zu schön, um natürlich zu sein.
Die Luft war frisch, und ein süßer, unbestimmter Duft zog durch das Zimmer, ein Duft, den man nicht hätte erklären, nicht bei Namen nennen können.
Und der junge Mann, der mehr Herr seiner selbst geworden war, betrachtete aufmerksam das Gemach. Es war nicht groß und nichts zog außer den Blumen in der Mitte auf dem Klavier die Aufmerksamkeit auf sich. Keine lebhafte Farbe traf sein Auge. Aber man fühlte sich wohlig, ruhig und beruhigt. Das Zimmer mußte gefallen, es hatte etwas Gemütliches und umfing einen wie mit einer Liebkosung.
Die Wände waren mit alten Stoffen bespannt von verschossenem Violett; kleine gelbe Blumen nur so groß wie Fliegen fanden sich eingestickt darauf.
Die Thüren waren durch Portieren in grau-blauem Soldatentuch verhüllt, auf die mit roter Seide Nelken gestickt waren. Und Sitzgelegenheiten von allen Formen, von allen Größen standen zerstreut in den Räumen herum, Chaiselongues, riesige oder winzige Stühle, Puffs; alle mit Seide im Stil Ludwig XVI. oder mit schönem crêmefarbenem Utrechter Sammt mit Granatmuster überzogen.
– Trinken Sie Kaffee, Herr Duroy?
Und Frau Forestier brachte ihm eine volle Tasse mit liebenswürdigem Lächeln, das auf ihrem Gesicht stehen blieb.
– Ja wohl, gnädige Frau, ich danke vielmals.
Er nahm die Tasse in Empfang und wie er sich ängstlich vorbeugte, um mit der silbernen Zange ein Stück Zucker aus der Zuckerdose, die das kleine Mädchen trug, zu nehmen, sagte die junge Frau mit halber Stimme zu ihm:
– Machen Sie doch Frau Walter ein bißchen den Hof! Dann ging sie davon, ehe er ein Wort erwidern konnte.
Er trank zuerst seinen Kaffee, weil er fürchtete, er möchte ihn auf den Teppich schütten. Dann ward er sicherer und suchte irgend eine Gelegenheit, sich der Frau seines neuen Chefs zu nähern um mit ihr in’s Gespräch zu kommen.
Plötzlich entdeckte er, daß sie in der Hand eine leere Tasse hielt, und da kein Tisch in der Nähe war, wußte sie nicht, wohin sie sie stellen sollte. Er stürzte auf sie zu:
– O bitte, gnädige Frau.
– Danke sehr!
Er setzte die Tasse fort und kehrte dann zu ihr zurück:
– Gnädige Frau, wenn Sie wüßten, wie oft mir die ›Vie française‹, damals, als ich dort in der Wüste war, die Zeit vertrieben hat. Sie ist die einzige Zeitung, die man im Auslande lesen kann, denn sie ist litterarischer, geistreicher und vielseitiger als alle andern. In dem Blatt findet man alles!
Sie lächelte mit liebenswürdiger Gleichgiltigkeit und antwortete ernst:
– Ach, mein Mann hat auch große Mühe gehabt, um diese Art Zeitung zu schaffen, die wirklich einem Bedürfnisse entsprach.
Und sie fingen an sich zu unterhalten. Es wurde ihm leicht, banale Dinge zu sagen, seine Stimme hatte etwas Angenehmes, in seinem Blick lag etwas Liebenswürdiges und sein Schnurrbart hatte etwas unwiderstehlich Anziehendes. Er war über der Lippe wie ganz zerzaust, kraus, lockig und hübsch, von einem leicht rötlichen Blond, das an den Spitzen der Haare etwas heller wurde.
Sie sprachen von Paris, von der Umgegend, von den Ufern der Seine, von Badeorten, Sommervergnügungen, von allem Möglichen, was in der Luft liegt, worüber man reden kann, ohne sich gerade zu sehr anzustrengen.
Dann trat Herr Norbert von Varenne heran, ein Likörglas in der Hand und Duroy entfernte sich taktvoll.
Frau von Marelle, die mit Frau Forestier gesprochen hatte, rief ihn heran:
– Nun? sagte sie plötzlich. Sie wollen’s mit dem Journalismus versuchen?
Da sprach er von seinen Projekten mit ungewissen Ausdrücken und dann fing er mit ihr dieselbe Unterhaltung an, die er eben mit Frau Walter gehabt. Aber da er nun den Gegenstand besser beherrschte, so konnte er es auch mit größerer Sicherheit thun und wiederholte all die Dinge, die er eben gehört, als ob er sie aus sich selbst hätte. Und immer fort blickte er ihr in die Augen, als wollte er dem, was er sagte, einen tieferen Sinn verleihen.
Sie erzählte ihm nun ihrerseits Anekdoten mit der Leichtigkeit einer Frau, die weiß, daß sie geistreich ist und die immer gern etwas komisch sein will. Dann wurde sie familiär, legte ihm die Hand auf den Arm, senkte die Stimme und sagte ihm wieder kleine Nichtigkeiten, die aber auf diese Weise einen intimen Charakter annahmen. Es regte ihn auf, die junge Frau zu streifen, die sich mit ihm beschäftigte. Er hätte sofort sich in ihren Dienst stellen mögen, sie verteidigen gegen alle Welt, um sich ins rechte Licht zu setzen. Und das Zögern in seinen Antworten deutete an, wie sehr sie ihm im Kopfe herumging.
Aber plötzlich rief Frau von Marelle ohne irgend welchen Grund:
– Laurachen!
Und das kleine Mädchen kam.
– Setz Dich mal dahin, mein Kind, Du erkältest Dich am Fenster.
Und