Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer

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Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer - Arthur Schopenhauer


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an sich, nur die Erscheinung, in Zeit und Raum, dem principio individuationis, und in den übrigen Gestaltungen des Satzes vom Grunde: und in dieser Form seiner beschränkten Erkenntniß sieht er nicht das Wesen der Dinge, welches Eines ist, sondern dessen Erscheinungen, als gesondert, getrennt, unzählbar, sehr verschieden, ja entgegengesetzt. Da erscheint ihm die Wollust als Eines, und die Quaal als ein ganz Anderes, dieser Mensch als Peiniger und Mörder, jener als Dulder und Opfer, das Böse als Eines und das Uebel als ein Anderes. Er sieht den Einen in Freuden, Ueberfluß und Wollüsten leben, und zugleich vor dessen Thüre den Andern durch Mangel und Kälte quaalvoll sterben. Dann fragt er: wo bleibt die Vergeltung? Und er selbst, im heftigen Willensdrange, der sein Ursprung und sein Wesen ist, ergreift die Wollüste und Genüsse des Lebens, hält sie umklammert fest, und weiß nicht, daß er durch eben diesen Akt seines Willens, alle die Schmerzen und Quaalen des Lebens, vor deren Anblick er schaudert, ergreift und fest an sich drückt. Er sieht das Uebel, er sieht das Böse in der Welt; aber weit entfernt zu erkennen, daß Beide nur verschiedene Seiten der Erscheinung des einen Willens zum Leben sind, hält er sie für sehr verschieden, ja ganz entgegengesetzt, und sucht oft durch das Böse, d.h. durch Verursachung des fremden Leidens, dem Uebel, dem Leiden des eigenen Individuums, zu entgehn, befangen im principio individuationis, getäuscht durch den Schleier der Maja. – Denn, wie auf dem tobenden Meere, das, nach allen Seiten unbegränzt, heulend Wasserberge erhebt und senkt, auf einem Kahn ein Schiffer sitzt, dem schwachen Fahrzeug vertrauend; so sitzt, mitten in einer Welt voll Quaalen, ruhig der einzelne Mensch, gestützt und vertrauend auf das principium individuationis, oder die Weise wie das Individuum die Dinge erkennt, als Erscheinung, Die unbegränzte Welt, voll Leiden überall, in unendlicher Vergangenheit, in unendlicher Zukunft, ist ihm fremd, ja ist ihm ein Mährchen: seine verschwindende Person, seine ausdehnungslose Gegenwart, sein augenblickliches Behagen, dies allein hat Wirklichkeit für ihn: und dies zu erhalten, thut er Alles, solange nicht eine bessere Erkenntniß ihm die Augen öffnet. Bis dahin lebt bloß in der Innersten Tiefe seines Bewußtseins die ganz dunkle Ahndung, daß ihm jenes Alles doch wohl eigentlich so fremd nicht ist, sondern einen Zusammenhang mit ihm hat, vor welchem das principium individuationis ihn nicht schützen kann. Aus dieser Ahndung stammt jenes so unvertilgbare und allen Menschen (ja vielleicht selbst den klügeren Thie-ren) gemeinsame Grausen, das sie plötzlich ergreift, wenn sie, durch irgend einen Zufall, irre werden am principio individuationis, indem der Satz vom Grunde, in irgend einer seiner Gestaltungen, eine Ausnahme zu erleiden scheint: z.B. wenn es scheint, daß irgend eine Veränderung ohne Ursache vor sich gienge, oder ein Gestorbener wieder dawäre, oder sonst irgendwie das Vergangene oder das Zukünftige gegenwärtig, oder das Ferne nah wäre. Das ungeheure Entsetzen über so etwas gründet sich darauf, daß sie plötzlich irre werden an den Erkenntnißformen der Erscheinungen, welche allein ihr eigenes Individuum von der übrigen Welt gesondert halten. Diese Sonderung aber eben liegt nur in der Erscheinung und nicht im Dinge an sich: eben darauf beruht die ewige Gerechtigkeit. – In der That steht alles zeitliche Glück und wandelt alle Klugheit – auf untergrabenem Boden, Sie schützen die Person vor Unfällen und verschaffen ihr Genüsse; aber die Person ist bloße Erscheinung, und ihre Verschiedenheit von andern Individuen und das Freisein von den Leiden, welche diese tragen, beruht auf der Form der Erscheinung, dem principio individuationis. Dem wahren Wesen der Dinge nach hat Jeder alle Leiden der Welt als die seinigen, ja alle nur möglichen als für ihn wirklich zu betrachten, solange er der feste Wille zum Leben ist, d.h. mit aller Kraft das Leben bejaht. Für die das principium individuationis durchschauende Erkenntniß ist ein glückliches Leben in der Zeit, vom Zufall geschenkt, oder ihm durch Klugheit abgewonnen, mitten unter den Leiden unzähliger Andern, – doch nur der Traum eines Bettlers, in welchem er ein König ist, aber aus dem er erwachen muß, um zu erfahren, daß nur eine flüchtige Täuschung ihn von dem Leiden seines Lebens getrennt hatte.

      Dem in der Erkenntniß, welche dem Satz vom Grunde folgt, in dem principio individuationis, befangenen Blick entzieht sich die ewige Gerechtigkeit: er vermißt sie ganz, wenn er nicht etwan sie durch Fiktionen rettet. Er sieht den Bösen, nach Unthaten und Grausamkeiten aller Art, in Freuden leben und unangefochten aus der Welt gehn. Er sieht den Unterdrückten ein Leben voll Leiden bis an's Ende schleppen, ohne daß sich ein Rächer, ein Vergelter zeigte. Aber die ewige Gerechtigkeit wird nur Der begreifen und fassen, der über jene am Leitfaden des Satzes vom Grunde fortschreitende und an die einzelnen Dinge gebundene Erkenntniß sich erhebt, die Ideen erkennt, das principium individuationis durchschaut, und inne wird, daß dem Dinge an sich die Formen der Erscheinung nicht zukommen. Dieser ist es auch allein, der, vermöge der selben Erkenntniß, das wahre Wesen der Tugend, wie es im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Betrachtung sich uns bald aufschließen wird, verstehn kann; wiewohl zur Ausübung derselben diese Erkenntniß in abstracto keineswegs erfordert wird. Wer also bis zu der besagten Erkenntniß gelangt ist, dem wird es deutlich, daß, weil der Wille das Ansich aller Erscheinung ist, die über Andere verhängte und die selbsterfahrene Quaal, das Böse und das Uebel, immer nur jenes eine und selbe Wesen treffen; wenn gleich die Erscheinungen, in welchen das Eine und das Andere sich darstellt, als ganz verschiedene Individuen dastehn und sogar durch ferne Zeiten und Räume getrennt sind. Er sieht ein, daß die Verschiedenheit zwischen Dem, der das Leiden verhängt, und Dem, welcher es dulden muß, nur Phänomen ist und nicht das Ding an sich trifft, welches der in Beiden lebende Wille ist, der hier, durch die an seinen Dienst gebundene Erkenntniß getäuscht, sich selbst verkennt, in einer seiner Erscheinungen gesteigertes Wohlseyn suchend, in der andern großes Leiden hervorbringt und so, im heftigen Drange, die Zähne in sein eigenes Fleisch schlägt, nicht wissend, daß er immer nur sich selbst verletzt, dergestalt, durch das Medium der Individuation, den Widerstreit mit sich selbst offenbarend, welchen er in seinem Innern trägt. Der Quäler und der Gequälte sind Eines. Jener irrt, indem er sich der Quaal, dieser, indem er sich der Schuld nicht theilhaft glaubt. Giengen ihnen Beiden die Augen auf, so würde der das Leid verhängt erkennen, daß er in Allem lebt, was auf der weiten Welt Quaal leidet und, wenn mit Vernunft begabt, vergeblich nachsinnt, warum es zu so großem Leiden, dessen Verschuldung es nicht einsieht, ins Daseyn gerufen ward: und der Gequälte würde einsehn, daß alles Böse, das auf der Welt verübt wird, oder je ward, aus jenem Willen fließt, der auch sein Wesen ausmacht, auch in ihm erscheint und er durch diese Erscheinung und ihre Bejahung alle Leiden auf sich genommen hat, die aus solchem Willen hervorgehn und sie mit Recht erduldet, so lange er dieser Wille ist. – Aus dieser Erkenntniß spricht der ahndungsvolle Dichter Calderon im »Leben ein Traum«:

      Pues el delito mayor Del hombre es haber nacido. (Denn die größte Schuld des Menschen Ist, daß er geboren ward.)

      Wie sollte es nicht eine Schuld seyn, da nach einem ewigen Gesetze der Tod darauf steht? Calderon hat auch nur das Christliche Dogma von der Erbsünde durch jenen Vers ausgesprochen.


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