Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer

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Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer - Arthur Schopenhauer


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Pflanzen zwar Schönheit, aber keine Grazie beigelegt werden kann, es sei denn im figürlichen Sinn; Thieren und Menschen aber Beides, Schönheit und Grazie. Die Grazie besteht, dem Gesagten zufolge, darin, daß jede Bewegung und Stellung auf die leichteste, angemessenste und bequemste Art ausgeführt werde und sonach der rein entsprechende Ausdruck ihrer Absicht, oder des Willensaktes sei, ohne Ueberflüssiges, was als zweckwidriges, bedeutungsloses Handtieren oder verdrehte Stellung, ohne Ermangelndes, was als hölzerne Steifheit sich darstellt. Die Grazie setzt ein richtiges Ebenmaaß aller Glieder, einen regelrechten, harmonischen Körperbau, als ihre Bedingung, voraus; da nur mittelst dieser die vollkommene Leichtigkeit und augenscheinliche Zweckmäßigkeit in allen Stellungen und Bewegungen möglich ist: also ist die Grazie nie ohne einen gewissen Grad der Schönheit des Körpers. Beide vollkommen und im Verein sind die deutlichste Erscheinung des Willens auf der obersten Stufe seiner Objektivation.

      Es gehört, wie oben erwähnt, zum Auszeichnenden der Menschheit, daß bei ihr der Charakter der Gattung und der des Individuums auseinandertreten, so daß, wie im vorigen Buch gesagt, jeder Mensch gewissermaaßen eine ganz eigenthümliche Idee darstellt. Die Künste daher, deren Zweck die Darstellung der Idee der Menschheit ist, haben neben der Schönheit, als dem Charakter der Gattung, noch den Charakter des Individuums, welcher vorzugsweise Charakter genannt wird, zur Aufgabe; diesen jedoch auch nur wieder, sofern er nicht als etwas Zufälliges, dem Individuo in seiner Einzeinheit ganz und gar Eigenthümliches anzusehn ist, sondern als eine gerade in diesem Individuo besonders hervortretende Seite der Idee der Menschheit, zu deren Offenbarung die Darstellung desselben daher zweckdienlich ist. Also muß der Charakter, obzwar als solcher individuell, dennoch idealisch, d.h. mit Hervorhebung seiner Bedeutsamkeit in Hinsicht auf die Idee der Menschheit überhaupt (zu deren Objektivirung er auf seine Weise beiträgt) aufgefaßt und dargestellt werden: außerdem ist die Darstellung Porträt, Wiederholung des Einzelnen als solchen, mit allen Zufälligkeiten. Und selbst auch das Porträt soll, wie Winckelmann sagt, das Ideal des Individuums seyn.

      Jener idealisch aufzufassende Charakter, der die Hervorhebung einer eigenthümlichen Seite der Idee der Menschheit ist, stellt sich nun sichtbar dar, theils durch die bleibende Physiognomie und Korporisation, theils durch vorübergehenden Affekt und Leidenschaft, Modifikation des Erkennens und Wollens gegenseitig durch einander, welches alles sich in Miene und Bewegung ausdrückt. Da das Individuum immer der Menschheit angehört und andererseits die Menschheit sich immer im Individuo und sogar mit eigenthümlicher idealer Bedeutsamkeit desselben offenbart; so darf weder die Schönheit durch den Charakter, noch dieser durch jene aufgehoben werden: weil Aufhebung des Gattungscharakters durch den des Individuums Karikatur, und Aufhebung des Individuellen durch den Gattungscharakter Bedeutungslosigkeit geben würde. Daher wird die Darstellung, indem sie auf Schönheit ausgeht, welches hauptsächlich die Skulptur thut, dennoch diese (d.i. den Gattungscharakter) immer in etwas durch den individuellen Charakter modificiren und die Idee der Menschheit immer auf eine bestimmte, individuelle Weise, eine besondere Seite derselben hervorhebend, ausdrücken; weil das menschliche Individuum als solches gewissermaaßen die Dignität einer eigenen Idee hat und der Idee der Menschheit es eben wesentlich ist, daß sie sich in Individuen von eigenthümlicher Bedeutsamkeit darstellt. Daher finden wir in den Werken der Alten die von ihnen deutlich aufgefaßte Schönheit nicht durch eine einzige, sondern durch viele, verschiedenen Charakter tragende Gestalten ausgedrückt, gleichsam immer von einer andern Seite gefaßt, und demzufolge anders dargestellt im Apoll, anders im Bakchus, anders im Herkules, anders im Antinous: ja, das Charakteristische kann das Schöne beschränken und endlich sogar bis zur Häßlichkeit hervortreten, im trunkenen Silen, im Faun u.s.w. Geht aber das Charakteristische bis zur wirklichen Aufhebung des Charakters der Gattung, also bis zum Unnatürlichen; so wird es Karikatur. – Noch viel weniger aber, als die Schönheit, darf die Grazie durch das Charakteristische beeinträchtigt werden: welche Stellung und Bewegung auch der Ausdruck des Charakters erfordert; so muß sie doch auf die der Person angemessenste, zweckmäßigste, leichteste Weise vollzogen werden. Dies wird nicht nur der Bildhauer und Maler, sondern auch jeder gute Schauspieler beobachten: sonst entsteht auch hier Karikatur, als Verzerrung, Verrenkung.

      In der Skulptur bleiben Schönheit und Grazie die Hauptsache. Der eigentliche Charakter des Geistes, hervortretend in Affekt, Leidenschaft, Wechselspiel des Erkennens und Wollens, durch den Ausdruck des Gesichts und der Geberde allein darstellbar, ist vorzüglich Eigenthum der Malerei. Denn obwohl Augen und Farbe, welche außer dem Gebiet der Skulptur liegen, viel zur Schönheit beitragen; so sind sie doch für den Charakter noch weit wesentlicher. Ferner entfaltet sich die Schönheit vollständiger der Betrachtung aus mehreren Standpunkten: hingegen kann der Ausdruck, der Charakter, auch aus einem Standpunkt vollkommen aufgefaßt werden.

      Weil Schönheit offenbar der Hauptzweck der Skulptur ist, hat Lessing die Thatsache, daß der Laokoon nicht schreiet, daraus zu erklären gesucht, daß das Schreien mit der Schönheit nicht zu vereinigen sei. Da dem Lessing dieser Gegenstand das Thema, oder wenigstens der Anknüpfungspunkt, eines eigenen Buches ward, auch vor und nach ihm so Vieles über denselben geschrieben ist; so möge es mir vergönnt seyn, hier episodisch meine Meinung darüber vorzutragen, obwohl eine so specielle Erörterung nicht eigentlich in den Zusammenhang unserer durchaus auf das Allgemeine gerichteten Betrachtung gehört.

      § 46

       Inhaltsverzeichnis

      Daß Laokoon, in der berühmten Gruppe, nicht schreiet, ist offenbar, und die allgemeine, immer wiederkehrende Befremdung darüber muß daher rühren, daß in seiner Lage wir alle schreien würden: und so fordert es auch die Natur; da bei dem heftigsten physischen Schmerz und plötzlich eingetretener größter körperlicher Angst, alle Reflexion, die etwan ein schweigendes Dulden herbeiführen könnte, gänzlich aus dem Bewußtseyn verdrängt wird, und die Natur sich durch Schreien Luft macht, wodurch sie zugleich den Schmerz und die Angst ausdrückt, den Retter herbeiruft und den Angreifer schreckt. Schon Winckelmann vermißte daher den Ausdruck des Schreiens; aber indem er die Rechtfertigung des Künstlers suchte, machte er eigentlich den Laokoon zu einem Stoiker, der es seiner Würde nicht gemäß hält, secundum naturam zu schreien, sondern zu seinem Schmerz sich noch den nutzlosen Zwang auflegt, die Aeußerungen desselben zu verbeißen: Winckelmann sieht daher in ihm »den geprüften Geist eines großen Mannes, welcher mit Martern ringt und den Ausdruck der Empfindung zu unterdrücken und in sich zu verschließen sucht: er bricht nicht in lautes Geschrei aus, wie beim Virgil, sondern es entsteigen ihm nur bange Seufzer«, u.s.w., (Werke, Bd. 7, S. 98. – Das Selbe ausführlicher Bd. 6, S. 104 fg.). Diese Meinung Winckelmanns kritisirte nun Lessing in seinem Laokoon und verbesserte sie auf die oben angegebene Weise: an die Stelle des psychologischen Grundes setzte er den rein ästhetischen, daß die Schönheit, das Princip der alten Kunst, den Ausdruck des Schreiens nicht zulasse. Ein anderes Argument, welches er hinzufügt, daß nämlich nicht ein ganz vorübergehender und keiner Dauer fähiger Zustand im unbeweglichen Kunstwerk dargestellt werden dürfe, hat hundert Beispiele von vortrefflichen Figuren gegen sich, die in ganz flüchtigen Bewegungen, tanzend, ringend, haschend u.s.w. festgehalten sind. Ja, Goethe in dem Aufsatz über den Laokoon, welcher die Propyläen eröffnet (S. 8), hält die Wahl eines solchen ganz vorübergehenden Moments geradezu für nothwendig. – In unsern Tagen entschied nun Hirt (Hören, 1797, siebtes St.), Alles auf die höchste Wahrheit des Ausdrucks zurückführend, die Sache dahin, daß Laokoon nicht schreiet, weil er, schon im Begriff am Stickfluß zu sterben, nicht mehr schreien kann. Zuletzt hat Fernow (Römische Studien, Bd. I, S. 426 fg.) alle jene drei Meinungen erörtert und abgewogen, selbst jedoch keine neue hinzugethan, sondern jene drei vermittelt und vereinigt.

      Ich kann nicht umhin mich zu verwundern, daß so nachdenkende und scharfsichtige Männer mühsam unzulängliche Gründe aus der Ferne herbeiziehn, psychologische, ja physiologische Argumente ergreifen, um eine Sache zu erklären, deren Grund ganz nahe liegt und dem Unbefangenen gleich offenbar ist, – und besonders daß Lessing, welcher der richtigen Erklärung so nahe kam, dennoch den eigentlichen Punkt keineswegs getroffen hat.


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