Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.Inhaltsverzeichnis
Nun brauste das Schiff heran. Auf zwei- oder dreihundert Schritte fiel ein Kanonenschuß, der dem Kauffahrteifahrer Halt gebieten sollte. Die Kugel strich seitwärts vorbei und schlug eine Strecke weiter aufs Wasser auf. Es folgte wenige Minuten darauf ein zweiter Schuß. Diesmal traf die Kugel das Holz neben dem Steuer dicht über dem Wasser. Nun wird's Zeit! rief der Kapitän seinen Leuten zu. Er gab ein Zeichen mit der Pfeife: die großen Segel wurden sofort gerefft und die Flagge – rot mit zwei weißen Kreuzen übereinander – von der Spitze des Fockmastes herabgelassen.
Das Holkschiff, das so dem Winde keinen Widerstand mehr bot, verlangsamte sofort seinen Lauf. Der Führer der Barse hatte wahrscheinlich auf so schnellen Gehorsam nicht gerechnet und schoß links mit vollen Segeln dicht vorüber. Zwar warfen einige seiner Leute ihre Enterhaken über das Schanzkleid, mußten sie aber fahren lassen, um nicht bei der schnellen Vorwärtsbewegung über Bord gerissen zu werden. Einer fiel wirklich ins Wasser und ertrank. Die Haken blieben im Holz stecken und legten sich an die Seitenwand des Schiffes. Nun ließ auch die Barse das Großsegel fallen; zugleich machte sie eine Wendung nach rechts, um den Kauffahrer aufzunehmen, konnte aber vor dem Winde nicht schnell genug ausweichen und mußte, da Kapitän Halewat geschickt die Gelegenheit ausnutzte, einen kräftigen Stoß von dem Vordersteven gegen ihre Flanke erleiden, daß die Rippen krachten. Zugleich fuhr das Bugspriet der Holke durch ihre Wanten und verwickelte sich darin, so daß nun ein Teil der Mannschaft vollauf mit dem eigenen Schiffe zu tun hatte. Indes legte doch die Barse herum, so daß Bug gegen Bug stand und der Übergang keine Schwierigkeiten weiter bot. Es sprangen denn auch sofort mehr als zwanzig von den verwegenen Gesellen, voran der Hauptmann, mit wildem Geschrei über das Schanzkleid oder kletterten am Bugspriet entlang auf das Vorderkastell, schwangen Schwerter und Streitkolben durch die Luft und drangen auf die Matrosen ein, die sich auf einen Wink des Kapitäns zurückzogen und auf dem Steuerdeck sammelten.
Ergebt euch! rief der Anführer, ein Mann von wohl sechs Fuß Höhe mit fuchsrotem Bart. Ihr seht, daß jeder Widerstand vergeblich ist. Ergebt euch, wenn euch das Leben lieb ist!
Darüber ließe sich verhandeln, sagte der Kapitän. Das Leben ist jedem lieb. Wer seid Ihr?
Das kümmert Euch nicht, antwortete der Rotbart, näher tretend. Nach Eurer Flagge gehört das Schiff nach Danzig. Wir liegen in Fehde mit den Danzigern um wichtiger Ursachen, die Euch nichts angehen, und nehmen ihr Gut, wo wir's finden. Sagt also, ob ihr uns gutwillig folgen wollt nach Gotland?
Der Kapitän nickte. Wenn Ihr uns eine Verschreibung an unsere Herren in Danzig zu geben versprecht, daß Ihr uns mit Gewalt gezwungen habt –
Der Hauptmann lachte. Die sollt Ihr haben. Also folgt uns auf unser Schiff, wir besetzen die Holke mit unseren Leuten. Vorwärts!
Indessen war die Räuberbande, lauter stämmige Burschen von verwildertem Aussehen, dem Hauptmann nachgerückt und umstand den Raum vor dem erhöhten Steuerdeck. Auf manchem Gesicht spiegelte sich der Verdruß, daß es zu keinem Kampfe kommen sollte. Keiner von ihnen merkte, daß sich in ihrem Rücken die Luke zum Schiffsraum öffnete und zwei Feuerstöcke die eisernen Läufe herausstreckten. Im nächsten Augenblick blitzte das Pulver auf, krachten die Schüsse und fielen zwei von den Räubern getroffen zu Boden. Die Matrosen, die gefeuert hatten, sprangen aus der Luke, kehrten die Gewehre um und drangen damit auf die Bande ein. Ihre Genossen folgten, die Ritter und Junker brachen aus ihren Verstecken vor, und der Kapitän mit seinen Leuten warf sich von vorn den Räubern entgegen.
Verrat! Verrat! schrie der Hauptmann. Hierher, Brüder! Festgeschlossen! Nieder mit der Brut! Werft sie über Bord ins Wasser! Nicht einer bleibt am Leben!
Es entstand nun ein wildes Handgemenge. Die Schwerter blitzten und klirrten, die Eisenpanzer rasselten, dicht fielen die Hiebe auf die Sturmhüte und Blechhauben. Als die Seeräuber der Ritter ansichtig wurden, stutzten sie, aber der Rückzug war unmöglich, und so mußte auch mit ihnen der Kampf aufgenommen werden. Freilich mit ungleichen Waffen. Denn die langen Schwerter derselben waren vom besten Stahl und ihre Rüstung undurchdringlich. Aber von der Barse her eilte noch ein Dutzend Gesellen zu Hilfe, und so wurde diese Ungunst für sie wieder ausgeglichen. Unter den wuchtigen Streichen der Ritter waren schon einige von den Räubern neben den erschossenen zu Boden gesunken, und ihr Blut färbte die Planken des Overlops, aber noch immer griffen zwei und drei zugleich an. Barthel Groß stand mit dem Rücken gegen den Mast gelehnt und verteidigte sich mehr, als er angriff. Die beiden Junker waren hier und dort, wo einer der Matrosen zu hart bedrängt wurde, und zogen immer neue Feinde auf sich. Die Schiffsknechte, wenig geübt im Waffendienst, suchten die Kämpfenden von hinten zu fassen und zu Boden zu ringen oder aufzuheben und über Bord zu werfen. Dem einen und andern gelang's.
Der Hauptmann, der alle an Länge überragte und bereits den Reffssteuermann und einen Bootsmann niedergestreckt hatte, schien nun einzusehen, daß doch die Hauptgefahr von den Rittern drohe. Er warf sich auf den, der in der vordersten Reihe kämpfte, unterlief sein Schwert, umfaßte mit den Armen seinen Leib und suchte ihn hintenüber zu stürzen. Der Ritter wollte seine Waffe, die ihm doch wenig mehr nützte, nicht fallen lassen und wurde dadurch behindert, den rechten Arm zu gebrauchen. Dennoch hätte er vielleicht Widerstand geleistet, wenn er nicht in eine Blutlache getreten und ausgeglitten wäre. Blitzschnell warf sich der Rotbart auf ihn und stieß ihm den langen Dolch zwischen Halsberge und Plate in die Brust.
Die Seeräuber erhoben ein Freudengeschrei und erneuerten mit frischem Mut ihren Angriff. Aber der Jubel dauerte nicht lange. Heinz von Waldstein nahm den Kampf mit dem Hauptmann auf. Fast einen Kopf kleiner als er, meinte er sich doch an Stärke mit ihm messen zu können. Mit einem Streitkolben, den er einem Gefallenen abgenommen hatte, ging er ihm zu Leibe, als er sich eben vom Boden erheben wollte, und traf seinen Eisenhut so sicher, daß der Bügel desselben zersprang und der gewaltige Mann betäubt zurücktaumelte. Aber seine Kraft war nicht gebrochen. Den Schwertangriff parierte er eine Weile geschickt mit dem langen Dolch und brachte auch seinem immer wütender anstürmenden Gegner einige wohlgezielte Stöße bei, die freilich seinem Ringpanzer nur geringen Schaden taten. Endlich aus mehreren Wunden blutend, schlug er mit der Armschiene das Schwert zur Seite und packte Heinz bei der Kehle, mit ihm zu ringen. Bald drängten die Kämpfer einander Brust an Brust gegen das Schanzkleid des Schiffes hin, jeder bemüht, den anderen mit dem Rücken gegen dasselbe zu zwingen und ins Wasser hinabzustürzen. Dabei kam dem Räuber seine Körperlänge zustatten, indem er den kleineren Gegner von Zeit zu Zeit aufzuheben und eine Sekunde lang schwebend zu halten vermochte. Doch verlor er gleich wieder den Vorteil, sobald der Junker im Rücken einen Halt fand. Endlich gelang es dem letzteren doch, ihn mit einer unvorhergesehenen raschen Schwenkung zu Boden zu schleudern. Sie rollten über das Verdeck hin, bis Heinz gegen den Mast festen Fuß faßte, sich mit dem Aufgebot aller Kräfte aufrang und das Knie auf die Brust des keuchenden Feindes setzte. Ergib dich! schrie er ihm zu, indem er mit beiden Händen seinen Hals faßte.
Zwei von den Raubgesellen, die ihren Hauptmann in ernstlicher Gefahr sahen, eilten nun aber zu seiner Hilfe herbei. Einer derselben holte schon mit dem Schwerte aus, Heinz einen Hieb über den Kopf zu versetzen, der leicht hätte tödlich werden können, als Hans von der Buche zusprang und ihn abfing. Der Angreifer mußte sich nun gegen ihn wenden, und Heinz hatte es nur noch mit einem Gegner zu tun. Den Hauptmann durfte er dabei nicht wieder vom Boden aufkommen lassen. Er schnürte deshalb dessen Hals so fest zusammen, daß er blutrot im Gesicht wurde und das Bewußtsein verlor. Sobald Heinz merkte, daß er für die nächsten Minuten zu jedem Widerstande unfähig war, entriß er ihm den Dolch und nahm den Kampf mit frischer Kraft auf. Es wurde ihm nicht schwer, hier Sieger zu bleiben.
Als die Seeräuber ihren Anführer anscheinend tot auf dem Deck liegen sahen, ergriffen sie, so viele ihrer noch aufrecht standen, die Flucht und suchten nach der Barse zu entkommen. Die dort Zurückgebliebenen hatten längst die Gefahr erkannt und inzwischen alle Anstrengungen gemacht, das Bugspriet der Holke aus den Tauen frei zu ziehen, in dem es sich beim Anprall verwickelt hatte. Nun suchten sie, um rascher loszukommen, den Baum mit Beilen zu kappen.
Kapitän Halewat, der sich mit den Räubern tapfer herumgeschlagen hatte, richtete zunächst sein Augenmerk darauf, zu sichern, was man errungen hatte. Er rief den Schiffsknechten und Putken