Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
Читать онлайн книгу.der Widerstand meist erst nach längerer Zeit, auf politischem Gebiete und ohne unmittelbares ökonomisches Resultat zu äußern pflegt. Ergibt sich daraus hinterdrein eine Einschränkung der Lebensmittelproduktion, so erscheint das Geschäft vom Standpunkte des Gesamtkapitals nicht als ein Verlust an Absatz, sondern als eine Ersparnis an Unkosten bei der Produktion von Mehrwert. Die Herstellung von Lebensmitteln für Arbeiter ist eine Bedingung sine qua non der Produktion des Mehrwerts, nämlich die Reproduktion der lebendigen Arbeitskraft, niemals aber ein Mittel der Realisierung des Mehrwerts.
Nehmen wir unser Beispiel wieder auf:
I. 5.000 c + 1.000 v + 1.000 m = 7.000 Produktionsmittel. II: 1.430 c + 285 v + 285 m = 2.000 Konsummittel. |
Auf den ersten Blick scheint es, als ob hier die Abteilung II auch bei der Herstellung der Konsumtionsmittel für die Arbeiter Mehrwert erzeugen und realisieren würde, ebenso die Abteilung I, sofern sie Produktionsmittel herstellt, die zu jener Produktion von Lebensmitteln erforderlich sind. Doch der Schein verschwindet, wenn wir das gesellschaftliche Gesamtprodukt betrachten. Dieses stellt sich so dar: 6.430 c + 1.285 v + 1.285 m = 9.000.
Nun träte eine Verringerung der Konsumtion der Arbeiter um 100 ein. Die Verschiebung in der Reproduktion infolge der entsprechenden Einschränkung beider Abteilungen wird sich so ausdrücken:
I. 4.949,00 c + 989,75 v + 989,75 m = 6.928,50 II: 1.358,50 c + 270,75 v + 270,75 m = 1.900,00 |
Und das gesellschaftliche Gesamtprodukt: 6.307,5 c + 1.260,5 v + 1.260,5 m = 8.828,5.
Es ist auf den ersten Blick ein allgemeiner Ausfall in dem Produktionsumfang und auch in der Produktion von Mehrwert zu konstatieren. Dies aber nur, solange wir abstrakte Wertgrößen in der Gliederung des Gesamtprodukts, nicht seine sachlichen Zusammenhänge im Auge haben. Sehen wir näher zu, dann stellt sich heraus, daß der Ausfall gänzlich die Erhaltungskosten der Arbeitskraft und nur diese berührt. Es werden nunmehr weniger Lebensmittel und Produktionsmittel hergestellt, diese dienten aber ausschließlich dazu, Arbeiter zu erhalten. Es wird jetzt ein geringeres Kapital beschäftigt und ein geringeres Produkt hergestellt. Aber Zweck der kapitalistischen Produktion ist nicht, schlechthin ein möglichst großes Kapital zu beschäftigen, sondern einen möglichst großen Mehrwert zu erzielen. Das Defizit an Kapital ist aber hier nur dadurch entstanden, daß die Erhaltung der Arbeiter ein geringeres Kapital erfordert. Wenn früher 1.285 der Wertausdruck der gesamten Erhaltungskosten der beschäftigten Arbeiter in der Gesellschaft war, so muß der nun entstandene Ausfall im Gesamtprodukt = 171,5 (9.000 - 8.828,5) ganz von diesen Erhaltungskosten abgezogen werden, und wir bekommen dann die veränderte Zusammensetzung des gesellschaftlichen Produkts: 6.430 c + 1.113,5 v + 1.285 m = 8.828,5.
Das konstante Kapital und der Mehrwert blieben unverändert, das variable Kapital der Gesellschaft, die bezahlte Arbeit allein hat sich verringert. Oder, da die unveränderte Größe des konstanten Kapitals frappieren mag, nehmen wir, wie es auch exakt dem Vorgang entspricht, eine der Verringerung der Lebensmittel der Arbeiter entsprechende Verringerung des konstanten Kapitals an, dann erhalten wir die folgende Gliederung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts: 6.307,5 c + 1.236 v + 1.285 m = 8.828,5.
Der Mehrwert bleibt in beiden Fällen unverändert, trotz der Verringerung des Gesamtprodukts, denn die Erhaltungskosten der Arbeiter und nur diese haben sich verringert.
Die Sache läßt sich auch so darstellen. Das gesellschaftliche Gesamtprodukt kann seinem Werte nach in drei proportionelle Teile eingeteilt werden, die jeweilig ausschließlich das gesamte konstante Kapital der Gesellschaft, das gesamte variable Kapital und den gesamten Mehrwert repräsentieren. Und zwar so, wie wenn in der ersten Portion Produkte nicht ein Atom neu hinzugetretene Arbeit, in der zweiten und dritten nicht ein Atom Produktionsmittel erhalten wäre. Da diese Produktenmasse als solche, ihrer Sachgestalt nach, ganz das Ergebnis der gegebenen Produktionsperiode, aus der sie hervorgegangen ist, so kann man - obwohl das konstante Kapital als Wertgröße Resultat früherer Produktionsperioden ist und nur auf neue Produkte übertragen wird - auch die gesamte Anzahl der beschäftigten Arbeiter in drei Kategorien einteilen: in solche, die ausschließlich das gesamte konstante Kapital der Gesellschaft herstellen, in solche, deren ausschließlicher Beruf es ist, für die Erhaltung sämtlicher Arbeiter zu sorgen, endlich in solche, die ausschließlich den gesamten Mehrwert der Kapitalistenklasse schaffen.
Erfolgt eine Einschränkung der Konsumtion der Arbeiter, dann wird nur aus der zweiten Kategorie eine entsprechende Anzahl Arbeiter entlassen. Aber diese Arbeiter schaffen von vornherein keinen Mehrwert für das Kapital, ihre Entlassung ist also vom Standpunkt des Kapitals kein Verlust, sondern ein Gewinn, Verminderung der Kosten der Mehrwertproduktion.
Hingegen winkt der gleichzeitig entstehende Absatz auf seiten des Staates mit allen Reizen eines neuen Gebietes zur Realisierung des Mehrwerts. Ein Teil der in der Zirkulation des variablen Kapitals begriffenen Geldsumme springt aus der Bahn dieser Zirkulation heraus und stellt in der Hand des Staates eine neue Nachfrage dar. Daß steuertechnisch der Vorgang ein anderer, nämlich der Betrag der indirekten Steuern faktisch von dem Kapital dem Staate vorgestreckt und erst bei dem Warenkauf im Preis vom Konsumenten dem Kapitalisten zurückerstattet wird, ändert nichts an der ökonomischen Seite des Vorgangs. Ökonomisch ist es entscheidend, daß die als variables Kapital fungierende Geldsumme erst den Austausch zwischen Kapital und Arbeitskraft vermittelt, um hinterher, bei dem Austausch zwischen Arbeiter als Konsumenten und Kapitalist als Warenverkäufer, zu einem Teil aus der Hand des Arbeiters an den Staat als Steuer zu wandern. Die von dem Kapital in die Zirkulation geworfene Geldsumme erfüllt damit erst vollauf ihre Funktion im Austausch mit der Arbeitskraft, um darauf in der Hand des Staates eine ganz neue Laufbahn zu beginnen, nämlich als fremde, dem Kapital wie dem Arbeiter äußerliche Kaufkraft, die sich auf neue Produkte, auf einen besonderen Zweig der Produktion richtet, der weder zur Erhaltung der Kapitalistenklasse noch zur Erhaltung der Arbeiterklasse dient und in dem das Kapital daher eine neue Gelegenheit findet, Mehrwert sowohl zu erzeugen wie zu realisieren. Früher, als wir die Verwendung der aus dem Arbeiter ausgepreßten indirekten Steuern zu Gehältern für Staatsbeamte und zur Versorgung des Heeres betrachteten, hat sich herausgestellt, daß die "Ersparnis" an der Konsumtion der Arbeiterklasse ökonomisch dazu führt, die Kosten der persönlichen Konsumtion des Anhangs der Kapitalistenklasse und der Werkzeuge ihrer Klassenherrschaft von den Kapitalisten auf die Arbeiter, vom Mehrwert auf das variable Kapital abzuschieben und im gleichen Maße den Mehrwert für Kapitalisierungszwecke frei zu machen. Jetzt sehen wir, wie die Verwendung der dem Arbeiter abgepreßten Steuern zur Herstellung von Kriegsmitteln dem Kapital eine neue Möglichkeit der Akkumulation bietet.
Praktisch wirkt der Militarismus auf Grundlage der indirekten Steuern nach beiden Richtungen, indem er auf Kosten der normalen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse sowohl die Erhaltung der Organe der Kapitalsherrschaft, der stehenden Heere, wie das großartigste Akkumulationsgebiet des Kapitals sichert.265
Wenden wir uns an die zweite Quelle der Kaufkraft des Staates, in unserem Beispiel die 150 von dem Gesamtbetrag der 250, die in Kriegsmitteln angelegt werden. Die 150 unterscheiden sich wesentlich von der bis jetzt betrachteten Summe von 100. Sie rühren nicht von den Arbeitern, sondern vom Kleinbürgertum - Handwerkern und Bauern - her. (Von dem relativ kleinen Anteil der Kapitalistenklasse selbst an den Steuern sehen wir hier ab.)
Die von der Bauernmasse - die wir hier als Vertreterin der nichtproletarischen Konsumentenmasse nehmen wollen - an den Staat in Gestalt von Steuern abgeführte Geldsumme ist nicht ursprünglich vom Kapital vorgeschossen und löst sich nicht von der Kapitalzirkulation ab. Sie ist in der Hand der Bauernmasse das Äquivalent realisierter Waren, Wertniederschlag der einfachen Warenproduktion. Was hier auf den Staat übertragen wird, ist ein Teil der Kaufkraft nichtkapitalistischer Konsumenten, also Kaufkraft, die von vornherein dem Kapital dazu dient, für Zwecke der Akkumulation den Mehrwert zu realisieren. Es fragt sich, ob sich für das Kapital aus der Übertragung der Kaufkraft dieser Schichten auf den Staat zu militaristischen Zwecken ökonomische Veränderungen ergeben und welcher Art. Auf den ersten Blick handelt es sich auch hier um Verschiebungen in der sachlichen Gestalt der Reproduktion. Statt einer Menge Produktionsmittel und Lebensmittel für die bäuerlichen Konsumenten wird das