Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg

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Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band) - Rosa Luxemburg


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offene Begegnung mit der bewaffneten Macht des Staates, ist in der heutigen Revolution nur ein äußerster Punkt, nur ein Moment in dem ganzen Prozeß des proletarischen Massenkampfes.

      Und damit ist in der neuen Form der Revolution auch jene Zivilisierung und Milderung der Klassenkämpfe erreicht, die von den Opportunisten der deutschen Sozialdemokratie, von den Bernstein, David u. a. prophetisch vorausgesagt wurde. Die Genannten erblickten freilich die ersehnte Milderung und Zivilisierung des Klassenkampfes, im Geiste kleinbürgerlich-demokratischer Illusionen, darin, dß der Klassenkampf ausschließlich zu einem parlamentarischen Kampf beschränkt und die Strßenrevolution einfach abgeschafft wird. Die Geschichte hat die Lösung in einer etwas tieferen und feineren Weise gefunden: in dem Aufkommen des revolutionären Massenstreiks, der freilich den nackten brutalen Strßenkampf durchaus nicht ersetzt und nicht überflüssig macht, ihn aber bloß zu einem Moment der langen politischen Kampfperiode reduziert und gleichzeitig mit der Revolutionsperiode ein enormes Kulturwerk im genauesten Sinne dieses Wortes verbindet: die materielle und geistige Hebung der gesamten Arbeiterklasse durch die »Zivilisierung« der barbarischen Formen der kapitalistischen Ausbeutung.

      So erweist sich der Massenstreik also nicht als ein spezifisch russisches, aus dem Absolutismus entsprungenes Produkt, sondern als eine allgemeine Form des proletarischen Klassenkampfes, die sich aus dem gegenwärtigen Stadium der kapitalistischen Entwicklung und der Klassenverhältnisse ergibt. Die drei bürgerlichen Revolutionen: die große französische, die deutsche Märzrevolution und die jetzige russische bilden von diesem Standpunkt eine Kette der fortlaufenden Entwicklung, in der sich das Glück und Ende des kapitalistischen Jahrhunderts spiegelt. In der großen französischen Revolution geben die noch ganz unentwickelten inneren Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft für eine lange Periode gewaltiger Kämpfe Raum, wo sich alle die erst in der Hitze der Revolution rasch aufkeimenden und reifenden Gegensätze ungehindert und ungezwungen mit rücksichtslosem Radikalismus austoben. Ein halbes Jahrhundert später wird die auf halbem Wege der kapitalistischen Entwicklung ausgebrochene Revolution des deutschen Bürgertums schon durch den Gegensatz der Interessen und das Gleichgewicht der Kräfte zwischen Kapital und Arbeit in der Mitte unterbunden und durch einen bürgerlich-feudalen Kompromiß erstickt, zu einer kurzen, kläglichen, mitten im Worte verstummten Episode abgekürzt. Noch ein halbes Jahrhundert, und die heutige russische Revolution steht auf einem Punkt des geschichtlichen Weges, der bereits über den Berg, über den Höhepunkt der kapitalistischen Gesellschaft hinweggeschritten ist, wo die bürgerliche Revolution nicht mehr durch den Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat erstickt werden kann, sondern umgekehrt zu einer neuen, langen Periode gewaltigster sozialer Kämpfe entfaltet wird, in denen die Begleichung der alten Rechnung mit dem Absolutismus als eine Kleinigkeit erscheint gegen die vielen neuen Rechnungen, die die Revolution selbst aufmacht. Die heutige Revolution realisiert somit in der besonderen Angelegenheit des absolutistischen Rußland zugleich die allgemeinen Resultate der internationalen kapitalistischen Entwicklung und erscheint weniger ein letzter Nachläufer der alten bürgerlichen, wie ein Vorläufer der neuen Serie der proletarischen Revolutionen des Westens. Das zurückgebliebenste Land weist, gerade weil es sich mit seiner bürgerlichen Revolution so unverzeihlich verspätet hat, Wege und Methoden des weiteren Klassenkampfes dem Proletariat Deutschlands und der vorgeschrittensten kapitalistischen Länder.

      Demnach erscheint es, auch von dieser Seite genommen, gänzlich verfehlt, die russische Revolution als ein schönes Schauspiel, als etwas spezifisch »Russisches« von weitem zu betrachten und höchstens das Heldentum der Kämpfer, d. h. die äußeren Akzessorien des Kampfes zu bewundern. Viel wichtiger ist es, dß die deutschen Arbeiter die russische Revolution als ihre eigene Angelegenheit zu betrachten lernen, nicht bloß im Sinne der internationalen Klassensolidarität mit dem russischen Proletariat, sondern vor allem als ein Kapitel der eigenen sozialen und politischen Geschichte. Diejenigen Gewerkschaftsführer und Parlamentarier, die das deutsche Proletariat als »zu schwach« und die deutschen Verhältnisse als zu unreif für revolutionäre Massenkämpfe betrachten, haben offenbar keine Ahnung davon, dß der Gradmesser der Reife der Klassenverhältnisse in Deutschland und der Macht des Proletariats nicht in den Statistiken der deutschen Gewerkschaften oder in den Wahlstatistiken liegt, sondern – in den Vorgängen der russischen Revolution. Genau so, wie sich die Reife der französischen Klassengegensätze unter der Julimonarchie und die Pariser Junischlacht in der deutschen Märzrevolution, in ihrem Verlauf und ihrem Fiasko spiegelte, ebenso spiegelt sich heute die Reife der deutschen Klassengegensätze in den Vorgängen, in der Macht der russischen Revolution. Und während die Bureaukraten der deutschen Arbeiterbewegung den Nachweis ihrer Kraft und ihrer Reife in den Schubfächern ihrer Kontore auskramen, sehen sie nicht, dß das Gesuchte gerade vor ihren Augen in einer großen historischen Offenbarung liegt, denn geschichtlich genommen ist die russische Revolution ein Reflex der Macht und der Reife der internationalen, also in erster Linie der deutschen Arbeiterbewegung.

      Es wäre deshalb ein gar zu klägliches, grotesk winziges Resultat der russischen Revolution, wollte das deutsche Proletariat aus ihr bloß die Lehre ziehen, dß es – wie die Gen. Frohme, Elm und andere wollen – von der russischen Revolution die äußere Form des Kampfes, den Massenstreik entlehnt und zu einer Vorratskanone für den Fall der Kassierung des Reichstagswahlrechts, also zu einem passiven Mittel der parlamentarischen Defensive kastriert. Wenn man uns das Reichstagswahlrecht nimmt, dann wehren wir uns. Das ist ein ganz selbstverständlicher Entschluß. Aber zu diesem Entschluß braucht man sich nicht in die heldenhafte Pose eines Danton zu werfen, wie es z. B. Genosse Elm in Jena getan; denn die Verteidigung des bereits besessenen bescheidenen Mßes der parlamentarischen Rechte ist weniger eine himmelstürmende Neuerung, zu der erst die furchtbaren Hekatomben der russischen Revolution als Ermunterung notwendig waren, als vielmehr die einfachste und erste Pflicht jeder Oppositionspartei. Allein die bloße Defensive darf niemals die Politik des Proletariats in einer Revolutionsperiode erschöpfen. Und wenn es einerseits schwerlich mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, ob die Vernichtung des allgemeinen Wahlrechts in Deutschland in einer Situation eintritt, die unbedingt eine sofortige Massenstreikaktion hervorrufen wird, so ist es anderseits ganz sicher, dß, sobald wir in Deutschland in die Periode stürmischer Massenaktionen eingetreten sind, die Sozialdemokratie unmöglich auf die bloße parlamentarische Defensive ihre Taktik festlegen darf. Den Anlß und den Moment vorauszubestimmen, an dem die Massenstreiks in Deutschland ausbrechen sollen, liegt außerhalb der Macht der Sozialdemokratie, weil es außerhalb ihrer Macht liegt, geschichtliche Situationen durch Parteitagsbeschlüsse herbeizuführen. Was sie aber kann und muß, ist, die politischen Richtlinien dieser Kämpfe, wenn sie einmal eintreten, klarlegen und in einer entschlossenen, konsequenten Taktik formulieren. Man hält nicht die geschichtlichen Ereignisse im Zaum, indem man ihnen Vorschriften macht, sondern indem man sich im voraus ihre wahrscheinlichen berechenbaren Konsequenzen zum Bewußtsein bringt und die eigene Handlungsweise danach einrichtet.

      Die zunächst drohende politische Gefahr, auf die sich die deutsche Arbeiterbewegung seit einer Reihe von Jahren gefßt macht, ist ein Staatsstreich der Reaktion, der den breitesten Schichten der arbeitenden Volksmasse das wichtigste politische Recht, das Reichstagswahlrecht, wird entreißen wollen. Trotz der ungeheuren Tragweite dieses eventuellen Ereignisses ist es, wie gesagt, unmöglich, mit Bestimmtheit zu behaupten, dß auf den Staatsstreich alsdann sofort eine offene Volksbewegung in der Form von Massenstreiks ausbricht, weil uns heute alle jene unzähligen Umstände und Momente unbekannt sind, die bei einer Massenbewegung die Situation mitbestimmen. Allein, wenn man die gegenwärtige äußerste Zuspitzung der Verhältnisse in Deutschland und anderseits die mannigfachen internationalen Rückwirkungen der russischen Revolution und weiter des künftigen renovierten Rußlands in Betracht zieht, so ist es klar, dß der Umsturz in der deutschen Politik, der aus einer Kassierung des Reichstagswahlrechts entstehen würde, nicht bei dem Kampf um dieses Wahlrecht allein Halt machen könnte. Dieser Staatsstreich würde vielmehr in kürzerer oder längerer Frist mit elementarer Macht eine große allgemeine politische Abrechnung der einmal empörten und aufgerüttelten Volksmassen mit der Reaktion nach sich ziehen – eine Abrechnung für den Brotwucher, für die künstliche Fleischteuerung, für die Auspowerung durch den uferlosen Militarismus und Marinismus, für die Korruption der Kolonialpolitik, für die nationale Schmach des Königsberger Prozesses, für den Stillstand der Sozialreform, für die Entrechtung der Eisenbahner, der Postbeamten und der Landarbeiter, für die Bemogelung


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