Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
Читать онлайн книгу.sangeslustig war Gustav, nur mit dem Unterschied, daß er abwechslungsreicher war und nur zur Nachtzeit sang, wenn er auf Ausguck hin und her marschierte und dann alle Lieder in ein entsprechendes Marschtempo brachte.
Die Unzufriedenheit unter der Mannschaft nahm bedrohlich zu. Täglich gab es weniger zu essen, und das wenige wurde, wenn es nicht schon ungenießbar war, vom Koch verdorben: Bohnen und Bohnen und Bohnen und Bohnen. Es war kein Wunder, daß sich vorn alle gegen den Koch verschworen. Zur Nachtzeit wurden ihm die schikanösesten Streiche gespielt, und am Tage bekam er die unglaublichsten Schimpfnamen zu hören. Sogar Napoleon nannte ihn einen Schafskopf, mußte es allerdings auch mit zwei Wunden büßen, die ihm der Koch mit dem Schüreisen schlug.
Zwischen Steuermann und mir bestand ein ähnliches Verhältnis. Der schlug und peinigte mich, wo er nur konnte. Er hatte entdeckt, daß einer der zum Waschen benutzten Bottiche fettig war. Da niemand außer dem Koch mit Fett zu tun hatte, war es ganz klar, daß diesen allein die Schuld traf, aber da er es leugnete, bekam ich die Prügel.
Es trieb jetzt viel Seegras im Wasser vorüber, ein Zeichen, daß wir uns der Küste näherten. Wir erwarteten täglich, Guadeloupe in Sicht zu bekommen. Wir freuten uns selbstverständlich alle darauf. Am meisten wohl Paul und ich, weil wir zum erstenmal ein überseeisches Land kennenlernen sollten und das Leben an Bord der »Elli« gründlich satt hatten. Es war auch wirklich schlimm zugegangen in der letzten Zeit. »Viel Arbeit« hatte ich fast jeden Abend in mein Tagebuch eingetragen, und ich erhielt, schuldig oder unschuldig, so viel Schläge von Boots- und Steuermann, daß mein Körper alle Farben zeigte. Wenn mir der Bootsmann, wie so oft, bei ganz geringfügigen Anlässen Hiebe versprach, dann wußte ich, was ich zu erwarten hatte, und es ist wohl begreiflich, wenn mir dann Rachegedanken durch den Kopf gingen. Aber in meiner Stellung als Schiffsjunge durfte ich der Übermacht gegenüber gar nicht an Widerstand denken. Ich mußte die Faust in der Tasche ballen und wurde mehr und mehr verbittert, zumal ich sah, daß selbst größter Eifer und übertriebene Unterwürfigkeit keinen Eindruck auf meine Vorgesetzten machten, und das waren außer Napoleon alle.
Am Dienstag nach Himmelfahrt, abends sechs Uhr, erblickten wir Guadeloupe in der Ferne. Der Himmel war mit schwarzen Wolken bedeckt, die sich strichweise in starken Regengüssen auflösten.
Wir fingen einige Hornfische, auch Sauger genannt, weil sie sich mit ihrer platten Kopffläche am Schiffsrumpf festsaugen.
Am andern Morgen passierten wir Guadeloupe. Eine Menge kleinerer Inseln liegen darum. – Ich zerbrach einen Zylinder. Dafür und auch weil ich beim Brassen eines Segels nicht flink genug gewesen war, schlug mich der Bootsmann.
Ach, wie sehnte ich mich da danach, an einer dieser Inseln aussteigen zu können! Das müßte herrlich sein!
Zwischen Bootsmann und Steuermann kam es zu einer blutigen Schlägerei. Das Motiv war folgendes: Ich hatte den Auftrag erhalten, die Steuerbordspreelatten zu umkleiden, und da ich bei dieser Arbeit außerhalb der Reling stehen mußte, band mich der Steuermann zur Sicherheit mit einem Tau fest, wie es das Seemannsgesetz vorschreibt. Der Bootsmann hielt das aber für überflüssig. So kam es zwischen den beiden grimmigen Feinden zum Wortstreit und dann zu Tätlichkeiten. Der Bootsmann suchte in rasender Wut den Steuermann über Bord zu stoßen. Dieser klammerte sich an die Wanten und wehrte sich mit verzweifelten Fußtritten. Ich versuchte vergebens, die Kämpfenden zu trennen. Erst als der Kapitän, durch den Lärm aufmerksam gemacht, an Deck erschien, ließen die zwei voneinander ab. Die Matrosen hatten der Szene, im Halbkreis herumstehend, mit sichtlicher Freude zugeschaut. Der Steuermann war schlecht bei ihnen angeschrieben.
Von diesem Tage an aß der Bootsmann nicht mehr achtern, sondern vorn im Logis. Daraus erwuchs mir der Vorteil, daß von der Kajütsmahlzeit manchmal etwas für mich übrigblieb.
Auch die Reibereien unter der Mannschaft nahmen kein Ende. Meistens richteten sich die Angriffe gegen den Koch. Jahn hatte ihm über Nacht drei dicke Knüppel in die Kombüse gestellt, und der ängstliche Küchenmeister verstand diesen drastischen Wink sehr wohl.
In der Nähe der französischen Insel Martinique ließ ich eine Flaschenpost los. In eine leere Buttel tat ich Nägel und ein Kärtchen an Vater, das ich kuvertierte und adressierte, außerdem einen Zettel, darauf ich den ehrlichen Finder bat, den Brief zu befördern. Ich verkorkte und versiegelte die Flasche, steckte ein Fähnchen in den Pfropfen und fettete diesen nochmals mit Margarine ein. Dann warf ich die Flasche über Bord. Infolge der Schwere der Nägel tanzte sie aufrecht im Wasser stehend davon. Lange folgte ich ihr mit den Augen und mit aufgeregter Phantasie. Das war so, wie einen Luftballon steigen lassen, was mir auch von jeher ein seltsam mich bewegendes Vergnügen gewesen war.
Es sei hier voraus verraten, daß meine Flaschenpost an einer der britischen Kleinen Antillen, der Insel Barbuda, antrieb. Sie wurde gefunden, und der Bürgermeister der Insel sandte den eingelegten Gruß an meinen Vater mit einem Begleitschreiben, das jetzt vor mir liegt:
»Dear Sir
The bottle containing your message and card thrown overboard from the Ella, 4 days out from Martinique, was picked up on the 8th June by a man living here and brought to me.
At your request I forward your card which I have no doubt you will be very glad to get again.
I am dear Sir yours faithfully
Oliver Nogent
Acting Magistrate Barbuda
British West Indies.«
Ich hatte schon früher unterwegs wiederholt solche Flaschenposten losgelassen, von denen ich aber nie mehr hörte. Kapitän Pommer hatte mir übrigens diesen Sport verboten. Mit Recht. Denn es war ein hübscher Brauch, daß Schiffe beim Sichten einer Flaschenpost sofort stoppten und sie auffischten, weil sie eventuell die letzten Nachrichten eines untergegangenen Fahrzeuges enthielt.
Ich hatte mir überlegt, in Amerika abzumustern oder, falls man, wie das wahrscheinlich war, mich nicht freiwillig von Bord lassen wollte, heimlich davonzulaufen. Der letztere Weg hatte manchen Nachteil. Ich hätte dann keine Bescheinigung über meine bisherige Seefahrt bekommen und brauchte diese doch später einmal fürs Steuermannsexamen. Aber vielleicht wartete dort in dem fremden Lande mein Glück. Hier an Bord war es nicht mehr auszuhalten. Als sich eines Tages der Koch direkt weigerte, mir mittags etwas zu essen zu geben, fiel ich in blinder Wut über ihn her und richtete ihn mit meinen Fäusten gehörig zu. Es war ein Glück, daß die Matrosen ausnahmslos auf meiner Seite standen, sonst wäre mir dieser Gewaltakt wohl übel bekommen. So aber nickten mir alle noch aufmunternd zu, als wollten sie sagen: »Das hast du recht gemacht«, während der Koch zähneknirschend und gemeine Schimpfworte murmelnd davonschlich. Natürlich schikanierte er mich seitdem noch mehr, und dazu hat ein Koch ja stets Gelegenheit.
Meine Hände waren von Teer, Farbe und Sonne schwarz geworden. Dabei muß ich bemerken, daß ich mich höchstens alle fünf Tage einmal wusch.
Der Pfingsttag war herangekommen, sehnlichst erwünscht, denn wir erhofften von ihm ein gutes Mittagessen.
Unser Kapitän ließ sich nicht lumpen. Schweinebraten und Rotkohl gab's allerdings nicht, aber ein dünnes Stück Schinken, eine Zigarre für jedermann und sehr viel Grog. Mein Gott, das war ein Genuß, wie ihn eine Landratte gar nicht verstehen kann. Wir waren sehr übermütig und besoffen uns maßlos.
Am Nachmittag lockte mich lautes Hundegeschrei von der Kombüse her an Deck. Der Koch erzählte uns, daß der Hund die Krämpfe bekommen und er deshalb das Tier über Bord geworfen habe. Das war aber sicher eine Lüge. Wir alle mutmaßten sofort, daß der niederträchtige Schuft das Tier, das er nicht leiden mochte, mit dem glühenden Schüreisen versengt und dann über die Reling geworfen habe, denn es roch stark nach versengten Haaren, und das Schüreisen lag mitten auf den Steinfliesen. Es fehlte nicht viel, so hätte ich mich auf die Kanaille von Koch geworfen, zumal ich sehr betrunken war; aber die anderen hinderten mich daran. Es ließ sich ja auch nichts nachweisen. – – Mein armer, vierbeiniger Freund! Sein Schicksal ging mir wirklich nahe. Ich hatte ihn doch trotz manchen Ärgers, den er mir bereitet, sehr liebgewonnen, und er war zu mir auch stets am anhänglichsten gewesen. Hätte ich gewußt, was für eine Behandlung und was für ein Ende er