Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

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Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) - Joachim  Ringelnatz


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Jeden Abend bis drei Uhr nachts. Hugo Koppel setzte es durch, daß ich die zwei Schoppen Magdalener, die ich trank, nicht mehr bezahlen mußte und ich später sogar eine Tagesgage von einer Mark erhielt. Dafür mußte ich zweimal je vier bis fünf Gedichte hersagen.

      Mitunter wurde ich von Gästen eingeladen. So erging es uns Künstlern allen. Manchmal schwammen wir in Sekt. Es kam ein Direktor oder Vertreter von Deutz und Geldermann. Der hatte geschäftliches Interesse daran, eine gute Zeche in seiner Sektmarke zu machen. Er ließ uns Künstlern den Sekt nicht glasweise, sondern flaschenweise vorsetzen. Und Kathi trank mit. Und Klieber trank mit. Und die Kassiererinnen tranken mit. Und der Zentralustralier trank mit. Bis wir kaum noch konnten. Dann schleppte ich zwei volle Flaschen in die Küche. Aber die Köchin und die Küchenmädchen winkten mir ab, auch sie waren schon voll von Deutz und Geldermann. Koppel ging mit mir beiseite. Wir wollten den Spendern einen Dank servieren. Ich dichtete rasch ein Verschen und Koppel intonierte es in Variationen am Harmonium.

      Hast du einmal viel Leid und Kreuz,

      Dann trinke Geldermann und Deutz,

      Und ist dir wieder besser dann,

      Dann trinke Deutz und Geldermann.

      Drei Herren aus der Schweiz zogen mich an ihren Tisch. Und die Rede kam auf das Thema »Schenken«. Ein Baseler sagte zu mir: »Wie ich so alt war wie Sie, junger Mann, da habe ich's dankbar angenommen, wenn mir jemand fünfzig Pfennige schenkte.«

      »Selbstverständlich, warum auch nicht?« erwiderte ich.

      »Nun«, fuhr der Baseler leise fort, indem er mir unauffällig etwas in die Hand drückte, »dann dürfen Sie auch diesen Taler annehmen.« Ich bedankte mich verwirrt und versenkte den Taler in meine Hosentasche. Als die Herren den »Simpl« verließen, ging ich zur Toilette und besah mir das hochwillkommene Geschenk. O großes Glück: Es war ein Hundertfrankenstück in Gold. Ich war heiß gerührt und nahm mir vor, die schöne Münze nie auszugeben. Diesen Vorsatz hielt ich bis zum nächsten Tage.

      Ich fing an, mir durch Gelegenheitsdichtungen Geld zu verdienen. Ich schrieb Chansons für Soubretten und Vortragskünstler. Ein Mäzen kaufte mir Prosa ab, die er unter seinem Namen veröffentlichte. Kathi Kobus zahlte mir zehn Mark für eine Trauerrede zum Begräbnis des Prinzen Karneval. Diese Feier fand in ihrer Villa in Wolfratshausen statt, wohin sie uns Künstler öfters mitnahm.

      An dem großen öffentlichen Faschingsfestzug beteiligte sich die Kathi mit ihrem Gefolge von Künstlern, Stammgästen und Matschackerln in mehreren geschmückten Wagen. Sie selbst als Serenissima pompös gekleidet in einem Vierspänner voran. Ich als ihr Hausdichter – so wurde ich allgemein genannt – trug einen schwarzen Sammetanzug und um die Stirn einen Lorbeerkranz. Und ich saß auf dem Kutscherbock. In allen Straßen wurde Kathi, wurde auch schon ich vom »Volk bejubelt«. Auf einem der vier Rosse ritt Lygia Romero in spanischer Tracht.

      Dieses Mädchen stammte aus Nymphenburg, aber sie gab sich gar zu gern als Spanierin aus, auch wenn ihr richtige Spanier vorgestellt wurden. Dabei war sie nie in Spanien gewesen und verstand kein Wort Spanisch. Allerdings war sie eine dunkle Schönheit und höchst temperamentvoll. Bei einem kleinen Wortstreit schlug sie ihrem Geliebten eine Gitarre auf den Kopf. Andermal begleitete sie mich auf einer Drehorgel, als ich im »Simpl« improvisierend eine Moritat auf der Bühne vortrug. Lygia mußte dabei so über mich lachen, daß sie auf einmal in einer Lache stand. Wieder andermal wollte ich sie in der Wohnung ihres Geliebten besuchen. Ich fragte das Dienstmädchen: »Ist Fräulein Romero da?« Das Dienstmädchen antwortete: »Ja, aber sie brennt.« Es war so. Lygia hatte aus Ärger über ihren Freund sich mit Spiritus begossen und angezündet. Der Freund löschte sie.

      Nach mehrfachem Wohnungswechsel war ich endlich in die Arcisstraße zu einer Nenntante gezogen, die die Witwe des namhaften Malers Julius Kleinmichel war. Eine sehr scharmante Dame, die mich liebevoll aufnahm und in jeder Weise für mich sorgte, obwohl sie eine alte, kranke und dabei höchst eigensinnige Mutter zu betreuen hatte. Diese Mutter litt an einem Lungen-Emphysem und spuckte unaufhörlich sehr unappetitlich in einen Napf, bekam auch immer wieder Erstickungsanfälle. Da sie dauernd jemanden um sich haben mußte, aber nicht das geringste Geräusch, nicht das Umblättern einer Buchseite duldete, war es eine Tortur, bei ihr zu sitzen. Aber hier konnte ich nun tagüber Frau Kleinmichel ablösen und mich so für freie Wohnung und Verpflegung, für tausend Freundlichkeiten dankbar zeigen.

      Es bestanden große Unterschiede zwischen Mutter und Tochter. Die Mutter war eine ernste, erfahrene Frau, deren klugen Worten ich unter anderen Umständen gern zugehört hätte. Aber sie stellte herbe Ansprüche an ihre Umgebung und war von unerbittlicher Strenge. »Seelchen« – so wurde ihre Tochter genannt – war dagegen eine frohe Natur mit weichem Gemüt und immer bemüht, andere zu erfreuen. Wenn ich über sie lachte, weil sie so gern und meist falsch Fremdwörter anbrachte, – »Honnymalypangs« – »o contrario« – oder wenn ich mich über ihren Medizinfimmel lustig machte, dann lachte sie herzlich mit.

      Seelchens Kleidungsstücke und Schuhe und Handschuhe paßten mir genau. So lieh ich mir manchmal eine Weiberperücke und verkleidete mich als Dame. In dieser Maske besuchte ich ein Café nach dem andern am hellen Tag, und es war mir höchst interessant, die Welt aus der Frauenperspektive anzusehen. Ich wurde oft poussiert und brachte einmal vierzehn Veilchensträußchen mit heim. Daß sich Homosexuelle gern in Damenkleidern zeigen, wußte ich damals noch nicht. Es gab einen bekannten Maler in München, der sich auch oft als Frau verkleidete, und ich war, als ich ihn das erstemal so in einem schönen, weit dekolletierten Faschingsgewand sah, auf ihn hereingefallen, hatte ihn sogar zu Wein eingeladen.

      Als Dame verkleidet ging ich dann auch abends manchmal in den »Simplizissimus« und hinterher noch auf Bälle oder zu Atelierfesten.

      Seelchen war mir beim Anziehen ihrer Kleider und Wäschestücke mit Eifer und Vergnügen behilflich gewesen, hatte mir wohl auch beim Abschied noch ein Geldchen zugesteckt. Wenn ich dann aber im Morgenlicht mit zerzausten Haaren und abgetretenen Kleidersäumen heimkehrte, wandte sie sich mit sehr komisch geäußertem Abscheu von mir weg.

      Der Hauptmann von Köpenick besuchte den »Simpl« und verkaufte Autogramme. Wir zogen ihn an den Künstlertisch. Er hielt eine Ansprache, die sehr bescheiden anfing, bis man merkte, daß sie ein auswendig gelernter Aufsatz war.

      Drei g'scherte Bauern in Dachauer Tracht erschienen und benahmen sich so laut und unmanierlich, daß andere sich darüber beschwerten. Es stellte sich heraus, daß es der geniale Maler Weisgerber und zwei andere verkleidete Künstler waren.

      Häufig gastierten echte Bauerntruppen, Schlierseer, Tegernseer, Tiroler. Sie schuhplattelten, jodelten, und Kathi tanzte mit ihnen einen meisterhaften Dreher.

      Unter anderen interessanten Gästen tauchte eine russische Schauspielerin auf. Die war so schön, daß wir alle dort, Damen wie Herren, einstimmig erklärten, nie eine schönere Frau gesehen zu haben. Wir Künstler huldigten ihr entflammt. Hans Steiner vom Schauspielhaus deklamierte vor ihr, mehrere Maler zeichneten sie, ich dichtete sie an, Dunajec geigte sie an, und jemand anderes pumpte sie an. Zuletzt brannten wir uns alle mit der Zigarette Löcher in die Hand, alles für die schöne Ludmilla.

      Drei Erlebnisse kennzeichnen den Tumult, der im »Simpl« herrschte.

      Um den Nachtlärm vor der schlafenden Nachbarschaft abzudämpfen, blieben die Fenster im Sommer wie im Winter geschlossen und waren mit Filz gepolstert. Ich sah einmal, wie dieser Filz an einem weggeworfenen Zündholz Feuer fing. Ein schmaler Feuerstreifen lief von unten nach oben und erlosch dann gleich zum Glück. Aber niemand außer mir hatte das bemerkt. Andermal entlud sich ein Revolver, den ein Herr hinten in der Hosentasche trug. Der Schuß ging in den Fußboden. Aber nur die Umsitzenden hatten ihn vernommen.

      Drastischer war der dritte Fall. Spät nachts gab es immer eine sehr begehrte Knödelsuppe. Als nun einmal, wie das so oft vorkam, an einem Tisch eine Schlägerei entstand, erhoben sich die anderen Gäste und drängten sich neugierig oder Partei nehmend um das Drama. Da beobachtete ich einen Betrunkenen, der die Situation dazu benutzte, heimlich mit dem Schöpflöffel Knödelsuppe aus Kathis Terrine zu langen. Nicht für sich. Nein, er schüttete die Suppe ganz stillvergnügt löffelweise den Stehenden an die Hosen und Röcke.


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