Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
Читать онлайн книгу.Der Graf stöberte in meinem Zimmer herum unter dem Vorwand, Bücher zu holen. In Wirklichkeit interessierte er sich offenbar sehr für meine Novelle »Das Grau und das Rot«. Er fragte mich gelegentlich, nachdem er mir ein paar ungewöhnlich freie Witzchen erzählt hatte: »Sie haben doch eine Novelle geschrieben und bei Rentmeisters vorgelesen? Sie sind mit Rentmeisters ziemlich intim? Auch mit Fräulein Timm? Sie duzen sich?«
Die letzten Abende mit dem Grafen verliefen sehr nervös. Auch wenn die Gräfin dabei war, die sich ja immer nur vornehm ihrem Mann anpaßte oder schwieg. Ich hatte noch viel Arbeit mit Luther-Erstausgaben der 1520 er Jahre, die dem Grafen billig aus Rouen angeboten waren. Mit Eichhörnchen zusammen führte ich noch eine längst geplante Bescherung für Tietzefreund aus. Wir bauten blitzschnell ein Tischleindeckdich für den rührenden Alten auf.
Ich sagte dem Grafen, daß ich gern am nächsten Montag abreisen würde. Es schien mir dabei fast so, als habe er die Kündigung längst bereut und als hätte er gewünscht, daß ich stillschweigend weiter dort bliebe. Er kam auch jetzt gleich auf Shakespeare zu sprechen.
Ich hatte in Breslau für Eichhörnchen ein Medaillon aus Gold herstellen lassen, ein einfaches Herz, das nur die Worte »Schloßtage 1912« und ein Geheimzeichen enthielt. Wir packten unsere Sachen, waren beide sehr nervös. Ich sandte Kisten mit Büchern voraus an Seele und kaufte auch noch Enten, Hasen, Fasanen.
Meine Erzählung »Der tätowierte Apion« war endlich im »März« erschienen. Der Graf war von der Novelle derart begeistert, daß er einen ganzen Stoß von dieser »März«-Nummer kaufte und verschenkte. Er las die Erzählung seiner Frau und Fräulein Moll und aller Welt vor.
Die Frage, ob mir der Graf eine Gratifikation schenken würde, wurde immer aktueller. Denn der »März« sandte das Honorar nicht, und ich hatte kein Geld zur Abreise. Der Rentmeister meinte, einer Andeutung entnommen zu haben, daß mir der Graf eine Pelzmütze schenken würde. Ich verfluchte diese Pelzmütze im voraus. Ich wollte sie auf die Zeus-Büste von Otricoli stülpen. Aber nun traf das »März«-Honorar doch ein. Hurra!
Ich gab mir Mühe, meine Arbeiten für den Grafen noch recht anständig zu erledigen. Am 22. Dezember 1912 fuhren Eichhörnchen und ich ab, Eichhörnchen in Urlaub zu ihrer Mutter und ich nach München. Eichhörnchen wollte vom Urlaub aus kündigen. Wir hatten es so eingerichtet, daß wir bis Forst zusammen fuhren. Die uns von der gräflichen Familie mitgegebenen Pakete, die wir erst zu Weihnachten öffnen sollten, rissen wir im Coupé sofort auseinander und tauschten lachend die Gaben aus, die sie enthielten. Bismarcks Erinnerungen, ein Etui, ein Kragenbeutel, Gebäck.
Die Trennung in Forst war innig-traurig.
Ich besuchte nun zunächst meinen Bruder in Döbern und dankte von dort aus dem Grafen für die Geschenke und alles mir erwiesene Gute. Auch an Rentmeisters schrieb ich. Sie antworteten mir, der Graf hätte sich intensiv nach etwaigen Schulden erkundigt, die ich hinterlassen hätte und die er gar zu gern bezahlt hätte.
Der Rote Münchhausen
Ich trat am 1. Januar 1913 wieder in Stellung. Bei dem Freiherrn Börries von Münchhausen, Dr. jur., auf Apelern und Windischleuba, Herzoglich Altenburger Kammerherr, Hannover.
In der Landschaftsstraße Nummer 2 wohnte dieser liebenswürdige und bedächtige Herr mit seiner Frau, einer Hausdame und Dienstmädchen. Ich sollte gegen freie Station seine Kunst- und Büchersammlungen ordnen. Die waren zwar nicht annähernd von dem Ausmaß und dem Wert wie die in Klein-Oels, aber originell. Alte und neue Literatur, Bilder, Münzen, schmiedeeiserne Sachen und Kruzifixe in allen Größen.
Auch in dem Zimmer, das man mir zum Bewohnen gab, hingen Kruzifixe, und sie machten das Zimmer nicht heller. Ich war nun freilich von Klein-Oels her verwöhnt. Hier war in meiner Fensterscheibe ein Loch, das einen kalten Zug hereinließ. Ich machte das Zimmermädchen darauf aufmerksam. Daraufhin erschien sie am nächsten Tage verlegen, um das Loch mit Papier zu verkleben. Man hatte eine Holzplatte über zwei Böcke gelegt. Das war mein Tisch.
Der Baron und die Baronin empfingen mich mit einer Freundlichkeit, hinter der ich bald eine ehrliche Herzlichkeit erkannte. Sie erzählten mir, daß sie meine Bewerbungsbriefe zuvor graphologisch untersucht hätten. Wir nahmen die Mahlzeiten gemeinsam ein, wobei auch die langjährige, fürsorgliche Hausdame und sozusagen Adjutantin des Barons zugegen war. Die Unterhaltung entfaltete sich lebhaft und natürlich. Die Baronin war eine liebe, gebildete Dame. Sie sammelte Spitzen. Der Baron interessierte sich trotz seiner vorgerückten Jahre auch für moderne Literatur. Sein Sohn war der bekannte Balladendichter gleichen Namens. Wenn auch meine Ansichten in manchem von denen des Kammerherrn abwichen, so blieb das doch ohne Belang für die Harmonie zwischen uns.
Den Roten Münchhausen nannten ihn seine Standesgenossen, nicht wegen seiner politischen Gesinnung – er war Welfe –, sondern seiner Haare wegen. Außer dem Hause in der Landschaftsstraße besaß er noch Güter in Apelern und Windischleuba.
Zwischen und in den arg verstaubten Büchern – ich mußte niesen, wenn ich sie herauszog – fand ich zu meinem Erstaunen einen abscheulichen Mist von Makulatur, Briefen, leeren Kuverts, Reklameschriften usw. usw. Z.B. auch zahllose Etiketts von Selterwasserflaschen. Sie pflegte der Baron im Wirtshaus abzulösen und mitzunehmen. »Man kann alles eventuell noch einmal gebrauchen«, sagte er. Ich aber warf den ganzen Dreck ins Feuer.
Als ich mich in meinem Zimmer, so gut es ging, eingerichtet hatte, schickte der Kammerherr das Mädchen zu mir, ob ich noch irgendeinen Wunsch hätte. Ich bat um einen Papierkorb. Nach einiger Zeit kam das Mädchen zurück und reichte mir, wieder verlegen, ein seltsames Kunstwerk. Der Baron hatte aus Pappe eine Tüte gedreht, das spitze Ende eingedrückt und mit Hilfe von Musterklammern das Ganze zu einem Papierkorb gestaltet. Ich boxte diese unförmige Mißgeburt sofort in den Ofen, was wegen der engen Ofenklappe nicht leicht war; das Stubenmädchen half mir lächelnd.
Morgens zum Frühstück aß der Baron Äpfel. Äpfel aus seinen eigenen Gärten. Da er aber die faulen Äpfel nicht umkommen lassen wollte, aß er immer nur faule Äpfel. Er hatte eine spaßige, krankhafte Sucht, nichts umkommen zu lassen, alles aufzubewahren. Die Apfelkerne, die Zigarrenasche, die verbrauchten Zündhölzer wurden in großen Kupferkübeln gesammelt. Da trat ich denn ziemlich revolutionär auf.
Ich ließ mich nicht davon abbringen, mittags in Schwarz zu erscheinen. Von einem Geflügel blieb dort nichts übrig als ein meisterhaftes anatomisches Präparat. Von jeher hatte ich eine Vorliebe für Soße. Wenn aber der Kammerherr sagte: »Mein lieber, junger Freund, tunken Sie doch die Soße mit Brot auf, sie ist ja das Beste«, dann lehnte ich das entschieden ab. »Ich würde mir nie erlauben, an Ihrer Tafel, Herr Kammerherr, die Soße aufzuwischen.« Solchen Oppositionskampf führte ich aber in heiterer und, ich glaube, auch nicht in respektloser Weise. Der Baron nahm ihn mit weisem Humor auf. Es schien eine erfreuliche Privatsonne über seinem Hause.
Gewöhnlich besuchte er mich abends auf meinem Zimmer, besprach dann die bibliothekarischen Angelegenheiten, plauderte über dies und jenes oder las mir begeistert Gedichte seines Sohnes vor, wobei seine Blicke immerzu fragten: Ist das nicht schön?
Um mir Geld zu verschaffen, schrieb ich aufs Geratewohl Reklamegedichte über alle möglichen Fabrikate, die ich unaufgefordert an die betreffenden Firmen sandte. Ich schrieb über Persil; als Dank sandte mir die Firma eine Kiste Waschpulver zu, mit dem ich gar nichts anfangen konnte. Ich schrieb über eine bestimmte Automarke und wartete mit einem Schimmer von Hoffnung darauf, daß eines Tages ein geschenktes Kabriolett anrollen würde. Statt dessen erhielt ich einen Autostraßen-Atlas.
Eine Sektfirma sandte mir für ein Gedicht eine Präsentkiste mit sechs Flaschen Sekt, die mir für meinen armen Pegasus eine hochwillkommene Anfeuerung bedeutete. Als der Baron mich zur Abendstunde besuchte, blieb er fast erschrocken in der Tür stehen, da er mich vor einer Flasche Sekt sitzen sah. Ich stellte mich, als ob ich sein Erstaunen gar nicht bemerkte: »Guten Abend, Herr Kammerherr.«
»Haben Sie Geburtstag?«