Die Nordsee. Heinrich Heine
Читать онлайн книгу.hab dich gefunden und schaue wieder
dein süsses Gesicht,
die klugen, treuen Augen,
das liebe Lächeln –
und nimmer will ich dich wieder verlassen,
und ich komme hinab zu dir,
und mit ausgebreiteten Armen
stürz ich hinab an dein Herz –
Aber zur rechten Zeit noch
ergriff mich beim Fuss der Kapitän,
und zog mich vom Schiffsrand,
und rief, ärgerlich lachend:
Doktor, sind Sie des Teufels?
Reinigung
Bleib du in deiner Merestiefe,
Wahnsinniger Traum,
der du einst so manche Nacht
mein Herz mit falschem Glück gequält hast,
und jetzt, als See-Gespenst,
sogar an hellen Tag mich bedrohest –
bleib du dort unten in Ewigkeit,
und ich werfe noch zu dir hinab
all meine Schmerzen und Sünden,
und die Schellenkappe der Torheit,
die so lange mein Haupt umklingelt,
und die kalte, gleissende Schlangenhaut
der Heuchelei,
die mir so lang die Seele umwunden,
die kranke Seele,
die gottverleugnende, engelverleugnende,
unselige Seele –
Hoiho! Hoiho! Da kommt der Wind!
Die Segel auf! Sie flattern und schwelln!
Über die stillverderbliche Fläche
eilet das Schiff,
und jauchzt die befreite Seele.
Frieden
Hoch am Himmel stand die Sonne,
von weissen Wolken umwogt,
das Meer war still,
und sinnend lag ich am Steuer des Schiffes,
träumerisch sinnend, – und halb im Wachen
und halb im Schlummer, schaute ich Christus,
den Heiland der Welt.
Im wallend weissen Gewande
wandelt’ er riesengross
über Land und Meer;
es ragte sein Haupt in den Himmel,
die Hände streckte er segnend
über Land und Meer;
und als ein Herz in der Brust
trug er die Sonne,
die rote, flammende Sonne,
und das rote, flammende Sonnenherz
goss seine Gnadenstrahlen
und sein holdes, liebseliges Licht,
erleuchtend und wärmend
über Land und Meer.
Glockenklänge zogen feierlich
hin und her, zogen wie Schwäne,
am Rosenbande, das gleitende Schiff,
und zogen es spielend ans grüne Ufer,
wo Menschen wohnen, in hochgetürmter,
ragender Stadt.
O Friedenswunder! Wie still die Stadt!
Es ruhte das dumpfe Geräusch
der schwatzenden, schwülen Gewerbe,
und durch die reinen, hallenden Strassen
wandelten Menschen, weissgekleidete,
Palmzweig-tragende,
und wo sich zwei begegneten,
sahn sie sich an, verständnisinnig,
und schauernd, in Liebe und süsser Entsagung,
küssten sie sich auf die Stirne,
und schauten hinauf
nach des Heilands Sonnenherzen,
das freudig versöhnend, sein rotes Blut
hinunterstrahlte,
und dreimal selig sprachen sie:
Gelobt sei Jesu Christ!
*
Hättest du doch dies Traumbild ersonnen,
was gäbest du drum,
Geliebtester!
Der du in Kopf und Lenden so schwach,
und im Glauben so stark bist,
und die Dreifaltigkeit ehrest in Einfalt,
und den Mops und das Kreuz und die Pfote
der hohen Gönnerin täglich küssest,
und dich hinaufgefrömmelt hast
zum Hofrat und dann zum Justizrat,
und endlich zum Rate bei der Regierung,
in der frommen Stadt,
wo der Sand und der Glauben blüht,
und der heiligen Sprea geduldiges Wasser
die Seelen wäscht und den Tee verdünnt –
hättest du doch dies Traumbild ersonnen,
Geliebtester!
Du trügest es, höheren Ortes, zu Markt,
dein weiches, blinzelndes Antlitz
verschwämme ganz in Andacht und Demut,
und die Hocherlauchte,
verzückt und wonnebebend,
sänke betend mit dir aufs Knie,
und ihr Auge, selig strahlend,
verhiesse dir eine Gehaltzulage
von hundert Talern Preussisch Courant,
und du stammeltest händefaltend:
Gelobt sei Jesu Christ!
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