Sturm über Ravensmoor. Ursula Isbel-Dotzler

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Sturm über Ravensmoor - Ursula Isbel-Dotzler


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      Ursula Isbel-Dotzler

      Sturm über Ravensmoor

      SAGA Egmont

      Sturm über Ravensmoor

      Copyright © 2008, 2018 Ursula Isbel-Dotzler und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711804452

      1. Ebook-Auflage, 2018

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      1

      »Seit du hier bist, fühle ich mich in der Schule nicht mehr wie der letzte Brüllaffe«, sagte Kim bei einem unserer Ausritte über den Klippenpfad. Dabei sah sie mit ihrem Späherblick übers Meer, als hätte sie weit draußen über den grauen, gischtgekrönten Wogen etwas entdeckt.

      Brüllaffe! Ich lachte, aber Kim musterte mich beinahe strafend und fügte hinzu: »Das ist nicht witzig, Kathi, echt nicht. Du ahnst nicht, wie ich die Schule gehasst habe. Sie haben sich über mich lustig gemacht und hinter meinem Rücken über mich getuschelt. »HRH, Her Royal Highness«, haben sie mich immer genannt, so als wär ich Prinzessin Anne. Ich hab’s oft genug gehört.«

      »Blödes Volk«, murmelte ich.

      »Jetzt lassen sie mich wenigstens in Ruhe.« Kim zog sich die Wollmütze tiefer über die Ohren. Sie trug nie einen Reithelm.

      Ich wischte die Nasentröpfchen ab, die sich dauernd unter meiner Nasenspitze sammelten. »Versteh ich nicht«, murmelte ich. »Dabei bist du echt nicht hochnäsig. Meine Mutter meint, die Leute sind einfach unsicher, wenn’s um den Hochadel geht. Vielleicht fühlen sie sich unterlegen und benehmen sich deshalb so komisch.«

      »Ich hab ihnen nie einen Anlass dazu gegeben, weil ich mir nicht vorkomme, als wär ich was Besseres. Das bin ich auch nicht. Im Grund hab ich die anderen immer um ihr ganz gewöhnliches Leben in normalen, einfachen Häusern beneidet, wo man nicht ständig fürchten muss, dass das ganze Gemäuer über einem zusammenkracht.«

      Ravensmoor, der Stammsitz von Kims Familie, war wirklich kein gemütlicher Wohnort. Von der einst so mächtigen Burg war kaum mehr geblieben als eine Ruine. Die Ravensmoors lebten in einem Nebengebäude, das früher die Bediensteten bewohnt hatten. Es stand inmitten von bröckelnden Steinen und geborstenen Mauern.

      Meine Familie war im Sommer in Ravensnest eingezogen, in das Haus meiner Großmutter. Jetzt, in unserem ersten Winter in Cornwall, gab es kaum richtigen Frost. Doch tagaus, tagein fegten eiskalte Winde übers Meer und die Küste, rüttelten an Grannys Haus und trieben die Mähnen und Schweife unserer Ponys steil in die Luft. Wenn wir ritten, tränten unsere Augen, unsere Nasen liefen, die Lippen wurden blau und unsere Finger erstarrten in den Handschuhen zu Eiszapfen.

      Mama bestand darauf, dass die Ponys Kringle und Smilla täglich bewegt wurden, obwohl mein Bruder Niko und ich jetzt nur noch wenig freie Zeit hatten. Im Herbst hatte die Schule begonnen; eine Privatschule, an der fast alles neu für mich war, von der affigen Schuluniform bis hin zum Notensystem.

      Zum Glück hatte ich Kim zur Freundin. Ohne sie wäre ich mir in diesen ersten Wochen und Monaten an der englischen Schule total verloren vorgekommen.

      Anfangs hatten sich alle um mich gerissen. Sie wollten wissen, wo ich früher in Deutschland gelebt hatte und warum wir hierhergezogen waren. Sie wunderten sich darüber, dass ich so gut Englisch sprach, und fragten nach meinen Brüdern. Doch weil Kim eine Außenseiterin war, wurde auch ich nie wirklich in eine der Cliquen aufgenommen.

      Das machte mir nichts aus. Kims Freundschaft reichte mir, sie war mir wichtiger als alles andere. Wir saßen nebeneinander und verbrachten die Pausen gemeinsam. Morgens fuhr Mama Niko und mich zum Schulbus. Kim sammelten wir an der Wegkreuzung auf.

      Die Möwen kreisten über den felsigen Buchten. Ihr Kreischen klang wie höhnisches Gelächter. Eine Windbö fegte über die Klippen und warf uns einen Schauer nadelspitzer, beißend kalter Regentropfen ins Gesicht.

      Offenbar fand Kringle, unser Connemarapony, dass es jetzt mit der Bewegung an frischer Luft reichte. Er drehte sich mit einem so plötzlichen Ruck um, dass ich zur Seite kippte und mich gerade noch rechtzeitig am Sattel festklammern konnte.

      Kim zog mich am Ärmel meiner Windjacke hoch. Ich hörte ihr sprödes, jungenhaftes Lachen.

      »Er will nach Hause!«, schimpfte ich. »Kringle, du alte Socke! In Zukunft reite ich nur noch mit Smilla aus. Mama soll selbst schauen, wie sie mit deinen Launen klarkommt.«

      Er versuchte den Klippenpfad hinunter zu galoppieren, aber jetzt zügelte ich ihn. »Nur benimmt er sich bei Mama meistens wie ein Engel. Ist das nicht komisch? Er denkt, mit mir kann er machen, was er will.«

      »Kann er ja auch.« Kim folgte uns auf ihrer rostroten Stute Flora. »Tiere sind total klug. Sie verhalten sich bei jedem Menschen anders, hast du das noch nicht bemerkt?«

      Ihre Stimme veränderte sich. Obwohl ich ihr den Rücken zuwandte, hätte ich ihr Gesicht genau beschreiben können: ihre Augen, die vom Goldbraun ins Schwärzliche wechselten, als wäre eine Gewitterwolke über sie hinweggezogen, ihre Brauen, die über der Nasenwurzel fast zusammenstießen.

      »Und sie sind gute Menschenkenner. Flora war Duncan gegenüber vom ersten Tag an misstrauisch. Noch ehe sie ihn überhaupt richtig kannte, ist sie schon vor ihm zurückgescheut und wollte sich nicht anfassen lassen.«

      Duncan war Kims Bruder. Sie hasste ihn, sogar jetzt noch, wo er im Krankenhaus lag und sich nur mit Krücken vorwärtsbewegen konnte. Vielleicht würde sie ihm nie verzeihen, wie brutal er mit Flora umgegangen war. Das war wohl Kims keltisches Erbe. Die Kelten sind nachtragend und rachsüchtig, sagt mein Vater immer.

      An Kims Verhältnis zu Duncan hatte sich auch nach seinem schweren Motorradunfall im Herbst nichts geändert. Aber ihre Abneigung hatte sicher nicht nur mit Flora zu tun. Duncan war der verwöhnte Liebling seiner Mutter und wurde als Erbe des Herzogtitels von jeher viel mehr geschätzt als Kim. Dabei war sie hundertmal klüger, warmherziger und anständiger als er.

      »Wie lange muss er noch in der Klinik bleiben?«, fragte ich vorsichtig. Duncan war Kims wunder Punkt. Ich passte immer auf, was ich sagte, wenn es um ihn ging.

      »Hoffentlich noch Monate. Jetzt wartet er auf eine Art Schönheitsoperation. Sein Nasenbein ist mehrfach gebrochen und seine Kinnlade und seine Oberlippe waren total zerschnitten.«

      Ich glaubte zu hören, wie sie heftig den Atem einzog. Aber vielleicht war das auch nur der Wind, der mir unter die Kapuze fuhr. »Am besten wär’s, er käme nie wieder nach Ravensmoor zurück!«

      »Glaubst du denn, dass er je wieder reiten kann?«

      »Keine Ahnung. Maman überlegt, ob sie Flora verkaufen sollen. Mein Vater hat ihr die Stute ja geschenkt, aber sie reitet nicht gern. Eigentlich hat sie Flora nur wegen Duncan behalten.«

      »Aber das können sie nicht machen! Du liebst Flora, du kümmerst dich um sie, sie ist dein Pferd … «

      »Daran denken sie nicht. Angeblich ist Flora zu teuer. Das Futter, die Kosten für den Tierarzt und so weiter. Du weißt ja, wir haben nichts als Schulden. Duncans Behandlung kostet ein Vermögen. Aber ich werde nicht zulassen, dass sie Flora verkaufen. Wenn es sein muss, bringe ich sie wieder weg. Oder ich verschwinde mit ihr. Irgendwas fällt mir schon ein, falls es so weit kommt.«

      Einfallsreich war Kim und unerschrocken dazu, das stimmte. Im Herbst hatte sie Flora von Ravensmoor weggebracht, um sie vor Duncan zu schützen, und auf Little Eden versteckt.


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