Richter und Henker - Roland Benito-Krimi 8. Inger Gammelgaard Madsen

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Richter und Henker - Roland Benito-Krimi 8 - Inger Gammelgaard Madsen


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Profil. Es umgab ihn etwas Abweisendes. Er wollte ihm ganz offensichtlich nicht in die Augen sehen.

      „Wie geht’s dir sonst so, Skipper? Warum bist du nicht auf der Arbeit?“

      Skipper schnaubte und wischte sich mit dem Ärmel die Oberlippe ab.

      „Bin im Herbst gefeuert worden.“

      „Dann arbeitest du nicht mehr am Hafen?“

      Er schüttelte den Kopf, ohne den Blick von dem TV-Reporter am Bildschirm abzuwenden. Ein alter, routinierter Journalist berichtete enthusiastisch von der bevorstehenden Wahl in Italien, auch wenn die meisten Dänen damit nichts am Hut hatten. Danach kamen die Lokalnachrichten, deren Absicht es war, das Interesse der Zuschauer durch die Meldung zu wecken, dass ein Polizeibeamter einen Schuss gegen Zivilisten ausgelöst hatte und drei erhängte Jungen gefunden worden waren, die Selbstmord begangen hatten. Die Welt hier draußen war auch nicht besser geworden.

      „Wie geht es Vibe?“, fragte er.

      „Wir haben uns scheiden lassen.“

      „Das tut mir leid. Und was ist mit – den Kindern?“

      Er hätte gerne ihre Namen gesagt, konnte sich aber plötzlich nicht mehr an sie erinnern.

      Skipper betrachtete ihn wachsam aus dem Augenwinkel.

      „Die hat sie natürlich. Warum willst du das wissen?“

      „Bin nur neugierig, ich kenn’ doch deine Mädels. Wie alt sind sie denn jetzt?“

      Skipper schaute wieder zum Fernseher. Seine Mundwinkel zuckten und fiebrig nahm er einen Schluck Bier, ohne zu antworten. Plötzlich richtete er seinen Blick auf den Grund des Glases und stammelte.

      „Zum … Teufel, Trolle. Ich habe dich … verteidigt. Bis zum Schluss … bis …“ Ungeschickt ließ er seine Hand über das rote Gesicht gleiten.

      „Aber Skipper. Du glaubst doch nicht, dass …“

      Zum ersten Mal sah er ihn richtig an. Seine Augen waren rot, wässrig und brauchten eine Weile, bis sie fest blickten. Der Ausdruck in ihnen war voller Wut und Verachtung.

      „Vibe hat dir von Anfang an nicht getraut. Sie hat mir ständig gesagt, dass … aber ich hab dich verdammt noch mal immer verteidigt. Wir haben uns die ganze Zeit gestritten, wir …“

      „Tut mir leid, wenn es meine Schuld war“, murmelte er.

      „Deine Schuld! Vibe und Cecilie sind Busenfreundinnen, unzertrennlich – und das weißt du …“

      „Siehst du sie noch? Und Lærke?“

      Die Wörter purzelten ihm aus dem Mund, bevor er darüber nachdenken konnte.

      „Natürlich nicht. Seit Vibe abgehauen ist, gucken sie mich an, als hätte ich die Pest! Wenn sie mich überhaupt beachten.“

      Trolle zupfte am Etikett der Bierflasche herum – er hatte schon das ganze Kronenmotiv abgepult, bis er seine Sprache wiederfand.

      „Das … das tut mir leid, Skipper. Aber es hat sich anders abgespielt, als du offenbar glaubst.“

      „Warum bist du dann verurteilt worden, Trolle?“

      „Sowas passiert – dass Unschuldige verurteilt werden.“

      „Du bestehst also immer noch darauf, dass du es nicht getan hast?“

      „Natürlich habe ich es nicht getan. Wie kannst du das überhaupt glauben! Wir kennen einander ein Leben lang, Skipper. Natürlich bin ich unschuldig! Ich könnte doch nie …“

      „Und was ist mit Lærke? Wie kannst du das erklären?“

      Skipper stand auf, schwenkte sein Glas und leerte es im Stehen, während er sich am Barhocker festhielt. Ein Teil des Biers lief ihm am Kinn herab und landete auf dem Manchester-United-Logo seines Shirts. Das Mädchen hinter der Bar warf ihm einen besorgten Blick zu, schüttelte stillschweigend den Kopf und drehte sich wieder um. Es war wohl nicht das erste Mal, dass sie ihn in diesem Zustand sah. Er nahm seine Jacke.

      „Ihr sagt alle, dass ihr unschuldig seid, aber man wird nicht einfach für vier Jahre eingebuchtet, wenn man das auch wirklich ist, oder, Trolle?“

      Er schaffte es nicht mehr zu antworten. Skipper war bereits gegangen. Durch das Fenster sah er, wie er sich an der Mauer draußen abstützte und beinahe ein Schild hinter einem abgestellten Fahrrad umstieß. Dann war er weg.

      Benjamin Trolle stieg in ein Taxi vor dem Bahnhof. Der Fahrer war ein freundlich lächelnder Mann mit indischem Aussehen und Akzent. Er half ihm, seine Tasche in den Kofferraum zu werfen und schwatzte heiter über Wind und Wetter, obwohl sich Trolle absichtlich auf den Rücksitz setzte, um jegliche Form von Kommunikation zu vermeiden. Glücklicherweise wurde das dem Inder bald klar, also drehte er das Radio lauter und konzentrierte sich stattdessen auf die Fahrt durch den Aarhuser Hauptverkehr.

      Der Mercedes holperte über die Bremsschwellen des St. Bilchers Wegs, bis der Chauffeur plötzlich anhielt. Trolle sah aus dem Fenster. Jetzt verstand er es. Warum hatte er dem Fahrer diese Adresse gegeben? Vielleicht aus einer alten Gewohnheit heraus? Das Haus sah aus wie immer. Nichts hatte sich verändert. Nicht einmal das Grünzeug in den Gartentöpfen. Der vereiste Bürgersteig benötigte eine kräftige Portion Salz. Das war immer seine Aufgabe gewesen. Ein bitteres Gefühl machte sich in seiner Brust breit, als er das rosarote Fahrrad erblickte, das auf seinem Ständer neben dem offenen Carport stand. Es war kein Dreirad mehr. Es war ein richtiges Mädchenfahrrad. Lærke war im Dezember neun Jahre alt geworden. Er hatte ihr ein Geschenk und eine Karte geschickt, aber keine Antwort zurückbekommen. Nur das Paket.

      Es war nicht Cecilies Auto, das dort im Carport stand. Es war ein schwarzer Opel Insignia. Sie war also immer noch mit ihm zusammen. Das Gefühl in seiner Brust veränderte sich. Noch nie zuvor hatte er eine stärkere Rachsucht in sich verspürt, die nun in seinen Adern pochte. Es fühlte sich gut an. Er lebte, trotz allem. Der Inder musterte ihn prüfend im Rückspiegel, offenbar hatte er seinen Preis schon gesagt und wartete nun auf sein Geld.

      „Soll ich Ihnen mit der Tasche helfen?“, fragte er und wollte bereitwillig die Autotür öffnen.

      „Nein danke. Können Sie mich wieder zurückfahren? In die Bushøj-Straße.“

      „Welche Nummer?“, fragte der Chauffeur verdutzt und fuhr los, während seine kohlrabenschwarzen Augen den merkwürdigen Passagier noch immer überwachten.

      Benjamin Trolle suchte nach dem Zettel in seiner Tasche. Er fand ihn, las ihre hübsche Handschrift und gab dem Fahrer die Adresse. Bald würde sie zu Hause sein. Durch Heckscheibe warf er einen letzten Blick auf das Haus. Stand da nicht jemand am Küchenfenster und guckte verwundert dem Taxi nach? Lærke? War das Lærke? Das Haus verschwand hinter den Bäumen. Sein Herz hämmerte und er bekam Atemnot.

      Er musste sich merken, niemals mehr zurückzuschauen.

      Kapitel 5

      Anne Larsen räusperte sich kräftig und hielt ihr zerzaustes Haar fest, das wie eine schwarze Wolke im eiskalten Wind hochwirbelte. Sie hatte das Haargummi von ihrem Pferdeschwanz gezogen, nachdem sie der Kameramann Mikael Flasher, genannt Flash, gebeten hatte, ein wenig seriöser und mehr wie eine Moderatorin auszusehen. Er hatte sie sogar gebeten, Make-up aufzulegen, was sie abgelehnt hatte, bis er ihr entschlossen einen Spiegel und die Kosmetiktasche entgegenstreckte. Da gab es nichts zu diskutieren. Normalerweise benutzte sie Schminke nur, wenn sie zu einer Party wollte, meist nicht einmal dann, doch das Spiegelbild zeigte ein bleicheres Gesicht als gewöhnlich, wie erfroren, auch die Lippen waren spröde und die Nase rot. Sie war es nicht gewohnt, auf diese Weise vor der Kamera zu stehen und das war eigentlich auch gar nicht der Plan gewesen, doch als Neue musste sie ein wenig Einsatz zeigen, wenn Not am Mann war. Und das war jetzt der Fall. Die Journalistin Jytte Thomson, die die Neuigkeiten mit ihrer langjährigen Erfahrung und nicht zuletzt ihrem geeigneteren Gesicht als Annes ankündigen sollte, hatte angerufen, um abzusagen. Ihr Kind war im Hort von einem Baum gefallen und hatte sich das Bein gebrochen.


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