Warum es Bullshit ist, andere ändern zu wollen. Nele Kreyßig
Читать онлайн книгу.doch!«
Der tägliche Frust zu Hause und am Arbeitsplatz: Nervende Vorgesetzte und Socken unterm Bett
Moni ist einfach nur wütend. Jeden Tag das gleiche Spiel: Handtücher zusammengeknäult auf der Badewannenkante, schmutzige Socken im Schlafzimmer und die Kaffeetasse vom Frühstück in der Spüle statt in der Spülmaschine, die Luftlinie etwa 30 Zentimeter entfernt ist. Was denkt sich ihr Mann Jens nur dabei? Als sie an einem trüben Herbstmorgen das Haus verlässt, ist sie bereits kurz davor zu platzen. Es ist Montag und besonders gut geschlafen hat sie nicht. Den Bus erwischt sie gerade noch, aber der Busfahrer fährt so ruckartig an, dass sie beinahe stürzt. Macht der das extra? Im Büro angekommen, findet sie eine Notiz ihres Chefs vor: »Frau Wagner, wir müssen noch mal über den Messestand reden!« Kein Gruß, kein »Hallo, Frau Wagner«. So ein Blödmann. Oder ob sie einen Fehler gemacht hat? Hoffentlich ist da nicht mehr im Busch …
Das menschliche Gehirn ist ein Wunderwerk, ein wahrer Supercomputer. Es navigiert uns sicher durch den Alltag, lässt uns blitzschnell nach der Haltestange greifen, wenn der Bus ruckartig anfährt. Es versorgt uns mit Ideen zum neuen Messestand, speichert die Vorlieben des Chefs, lässt uns die Morgenroutine schlafwandlerisch bewältigen, während wir über alles Mögliche nachdenken, vom Geburtstagsgeschenk für die Freundin bis zur anstehenden Gehaltsverhandlung. Aber ist es auch so objektiv und zuverlässig, wie wir bewusst oder unbewusst unterstellen? Nehmen wir Moni – dieselbe Montagssituation, aber ein anderes Szenario:
Moni hatte einen wunderbaren Sonntag. Ihr Mann Jens hat sie zum Hochzeitstag mit einem Armreif überrascht, den sie beim letzten Schaufensterbummel bewundert hatte. Wie aufmerksam von ihm! Als sie am Montagmorgen gut ausgeschlafen ins Bad kommt, muss sie schmunzeln. Das mit den Handtüchern wird ihr Jens in diesem Leben wohl nicht mehr lernen, genauso wie das mit den Socken oder der Kaffeetasse. Aber schließlich hat sie sich auch wegen seiner Schusseligkeit in ihn verliebt. Auf der Fahrt ins Büro hat sie Glück. Sie erwischt einen Bus früher, der offenbar verspätet ist und ordentlich Gas gibt. Und ihr Chef hat endlich ihr Messekonzept gelesen und will mit ihr darüber sprechen.
Ob Sie sich ärgern, entscheiden Sie.
Rein äußerlich hat sich am Montag nichts geändert. Was sich verändert hat, sind Monis Reaktionen. Sie interpretiert die Dinge anders. Ihr Gehirn lässt problemlos die eine Wertung zu (zerknautschte Handtücher = rücksichtslos) wie die ganz andere (zerknautschte Handtücher = liebenswert schusselig). Nun gibt es nicht an jedem Sonntag schöne Überraschungen und liebevoll ausgesuchte Geschenke. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Monis Montagsärger im ersten Szenario wie auch ihre Freude im zweiten Szenario hausgemacht sind. Im Alltagsverständnis sind es jedoch die anderen, die uns ärgern, und wir reagieren nur auf die von außen an uns herangetragenen tagtäglichen Zumutungen: Teenager, die morgens nicht aus dem Bett kommen, Ehepartnerinnen und -partner, die sich beim Frühstück hinter der Zeitung vergraben, Unbekannte, die uns den letzten Parkplatz vor der Nase wegschnappen. All das bewerten wir, und wenn es gegen unsere eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse verstößt, ärgern wir uns eben. Und zwar je nach persönlichem Temperament mehr oder weniger.
Griesgram und Sonnenkind wohnen Tür an Tür.
Schon die Temperamentsfrage lässt allerdings Zweifel aufkommen, ob wirklich »die anderen« schuld sind am Alltagsfrust. Der eine Kollege im Büro hat die berüchtigte kurze Lunte und geht schon bei Kleinigkeiten an die Decke. Eine Kollegin dagegen lächelt die gleichen Ärgernisse einfach weg. Bereits die Antike unterschied den reizbaren Choleriker vom gleichmütigen Phlegmatiker, den grüblerischen Melancholiker vom heiteren Sanguiniker. Die Bereitschaft der Menschen, sich zu ärgern, ist ganz offensichtlich unterschiedlich, auch wenn wir heute Persönlichkeit differenzierter sehen als die antiken Philosophen (vgl. dazu Kapitel 2). Dass die Neigung zum Ärgern unterschiedlich ist, führen uns ja auch die Griesgrame und Sonnenkinder in unserem Umfeld vor Augen. Für die ersten ist die Welt eine einzige Provokation, für die zweiten ein Geschenk. Dabei kann kein Zweifel daran bestehen, dass beide auf demselben Planeten leben, manchmal sogar Tür an Tür oder Büro an Büro. Entscheidend ist neben der Persönlichkeit auch die Tagesform. An manchen Tagen kann uns vermeintlicher Ärger nichts anhaben, an anderen sind wir dünnhäutiger. Wer frisch verliebt ist, dem ist ein unfreundlicher Busfahrer ziemlich egal. Doch wer sich am Frühstückstisch schon gezofft hat, nimmt dasselbe Verhalten womöglich sehr persönlich.
Der Zwilling des Ärgers ist der Wunsch, die oder der andere möge sich ändern, sich doch bitte schön unseren Vorstellungen anpassen, etwas freundlicher, ordentlicher, zuverlässiger, rücksichtsvoller, schneller, langsamer, weniger empfindlich und dergleichen mehr sein. Die Liste ließe sich endlos verlängern. Doch wäre wirklich alles gut, wenn Monis Mann ab sofort die Socken zum Wäschekorb trüge und die Handtücher ordentlich aufhängte? Aller Wahrscheinlichkeit nach gäbe es auch dann noch genügend andere Ärgernisse. Und geht es bei der ganzen Sache tatsächlich nur um Schmutzwäsche und ein ordentliches Badezimmer? Der eigentliche Auslöser des Ärgers sind ja nicht Socken oder Handtücher am falschen Platz, sondern das, was Moni hineininterpretiert, ihre Bewertung: dass Jens keine Rücksicht nimmt, sich darauf verlässt, dass sie hinter ihm herräumt, oder Ähnliches. »Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du gern Knoblauch essen« heißt ein Buch des bekannten Philosophen Paul Watzlawick, der sich intensiv damit beschäftigt hat, wie jeder von uns seine eigene Wirklichkeit konstruiert, also auf typische Weise interpretiert (zum »Konstruktivismus« später mehr). Auf diese Weise taugt sogar Knoblauch als Liebesbeweis und eine schmutzige Socke als Kriegserklärung. Einen Gefallen tun wir uns damit nicht.
Wer sich regelmäßig ärgert und aufregt, schadet damit am allermeisten sich selbst. Man kann sich tatsächlich krankärgern, wie Ärzte wissen. Und dabei geht es nicht nur um Magengeschwüre, sondern auch um Verspannungen, Rücken- oder Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Schlafstörungen oder Herzprobleme. Wenn wir uns ärgern, schüttet unser Gehirn Stresshormone (z. B. Adrenalin, Kortisol) aus. Geschieht das häufig und gelingt es uns nicht, den Stress wirksam abzubauen, werden wir krank. »Wer öfter ausrastet, ist früher tot«, schreibt die Wirtschaftswoche unter Berufung auf eine Metastudie von US-Forschern, die etliche Untersuchungen aus fünf Jahrzehnten zusammenfasst und einen Zusammenhang zwischen »intensiven negativen Emotionen« und einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und andere ernste Erkrankungen herstellt.1 Das heißt natürlich nicht, dass jeder morgen umkippt, der sich heute zu viel geärgert hat. Es zeigt aber, dass ein Leben, in dem wir uns weniger über andere aufregen und uns seltener wünschen, sie wären anders, nicht nur schöner, sondern auch gesünder ist.
Die Hoffnung stirbt zuletzt: Silvestervorsätze.
Dabei ist es eigentlich erstaunlich, dass wir uns immer wieder wünschen, unser Partner oder Nachbar, die Chefin oder der Kollege würden sich ändern. Wieso sind wir da eigentlich so optimistisch, obwohl wir selbst oft genug an unseren eigenen Änderungsvorsätzen scheitern? Schließlich sind spätestens im Februar jedes Jahres Millionen von Silvestervorsätzen Geschichte, meistens auch unsere eigenen. Und das, obwohl es oft »nur« darum geht, ein paar Kilo abzunehmen, öfter Sport zu treiben oder etwas weniger Alkohol zu trinken. Wenn wir es selbst nicht schaffen, unser Verhalten in derart überschaubaren Grenzen zu ändern, wieso erwarten wir dann, andere würden es tun – und das auch noch uns zuliebe? Der Verdacht liegt nahe, dass wir zufriedener wären, wenn wir uns von dieser Illusion verabschieden.
»Du bist ja total Neunziger!«
Warum wir ständig werten und woher unsere Urteile stammen
Vereinfacht gesagt, beruhen unsere Änderungsansprüche auf der Vorstellung, dass wir selbst zu wissen glauben, wie es »richtig« ist. Wir bewerten die Welt um uns herum, stellen fest, dass etwas (oder jemand) nicht so ist, wie wir das erwarten, und ziehen daraus den Schluss, der andere solle sich ändern. Es ist schließlich nur zu seinem