Kleine Geschichte des Hörspiels. Hans-Jürgen Krug

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Kleine Geschichte des Hörspiels - Hans-Jürgen Krug


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Verbindung von oberhessischem, ›plattem‹ Sprachduktus, schülerhaftem Elan und einem von sehr fern kommenden Hörspieltext. Dann machten wir um Herrn von Hoerschelmann wieder einen weiten Bogen – und wandten uns etwa Teens-Twens-Top-Time zu, einer 1966 vom Hessischen Rundfunk ins Programm genommenen Musiksendung für Schüler und Jugendliche. Täglich nach der Schule (14.00 Uhr) und um 18.30 Uhr kam fortan eher ambitionierte und manchmal ellenlange Rockmusik aus dem selbsterarbeiteten Stereoempfänger von Grundig und wurde mit einem Philips-Tonbandgerät 4307 aufgezeichnet. Die Sendung war noch ein Angebot für Minderheiten. Zwanzig Jahre später ging ich dann mit dem eigenen tragbaren Tonbandgerät zum Phil-Turm in Hamburg. Raum 1350. Es war Sommer. Am Literaturwissenschaftlichen Seminar der Universität Hamburg gab es noch keine Abhörmöglichkeiten – und so musste ich für mein Seminar ›Arbeitslosendrama und Arbeitslosenhörspiel‹ (SoSe 1988) auf meine eigene Technik zurückgreifen. Und auf eigenes Material, wie auf private Kassettenmitschnitte weniger Arbeitslosenhörspiele etwa und auf freundliche Kassettengaben einzelner Hörspielabteilungen. Die Hörqualität war – an heutigen Standards gemessen – miserabel, aber deutlich mehr als nur ein Manuskript. Wiederum rund 15 Jahre später, es gab inzwischen den Studiengang ›Medienkultur‹, fand das Seminar ›Geschichte, Theorie und Praxis des Hörspiels‹ (SoSe 2004) dann schon im Medienzentrum statt. Jetzt waren auch vorzügliche Abhörgelegenheiten vorhanden. Und für die folgenden Praxisseminare gab es auch ein Studio, in dem aufgenommen, geschnitten und angelegt werden konnte und Kooperationsmöglichkeiten mit dem Lokalradio Tide 96 (KRUG 2006). Die Literatur- bzw. Medienwissenschaften fanden erst langsam zum Akustischen.

      ZUR AKTUALISIERTEN NEUAUFLAGE

      Der rapide Wandel der Medienlandschaften hat auch für die Hörspielgeschichtsschreibung Folgen und lässt ihre Gegenwart schrumpfen. Die Kleine Geschichte des Hörspiels versuchte in der Erstausgabe 2003 und dann in der erweiterten Neuauflage (2008) auch die aktuellsten Entwicklungen einzubeziehen. Inzwischen haben die meisten Kulturwellen ihre Namen geändert, die Leitung der meisten Redaktionen wurde in neue Hände gegeben, die Programmphilosophie der Kulturwellen wurde verändert, und das damals neueste Medium ›Audio Book‹ wurde inzwischen durch Podcast-Angebote ergänzt und mehr als nur punktuell auch ersetzt. Wo einst Mittelwelle-only galt, positionierten sich UKW first, Audiobook first, Online first oder – zuletzt – Podcast first. Gründe genug also, das Buch nochmals zu überarbeiten und zu aktualisieren. Doch dies ist nur die eine Seite. Die Gewissheiten des modernen Formatradios – und mit ihnen des Hörspiels – sind brüchig geworden und müssen sich heute in einer wenigstens dreisäuligen digitalen Welt (Audio, Fernsehen, Online) behaupten. Die Konzepte müssen aktualisiert werden. Wieder stehen Hörfunk und Hörspiel in einer Umbruchsituation, so wie damals in den 1960er-Jahren, als das elektronische Monopolmedium ›Hörfunk‹ vom Fernsehen als Leitmedium abgelöst wurde, so wie Mitte der 1980er-Jahre, als das duale System mit seinen Privatradios grundlegende Neuorientierungen auch im Hörspiel erzwang, so wie um die Jahrtausendwende, als die weltweite digitale Ausstrahlung den Hörspielen neue Dauer verlieh. Bisher haben die jeweils neuen Medien das alte Hörspiel nicht verdrängt. Sie haben es aber immer wieder zu Veränderungen und Neudefinitionen gezwungen, so wie es einst Wolfgang Riepl allgemeiner in seinem Rieplschen Gesetz formuliert hatte. Verglichen mit den frühen analogen und flüchtigen ›Blütezeiten‹ leben wir heute – quantitativ – in einer gigantischen digitalen Hörspielblütezeit, in der selbst opulente Adaptionen der Hochkultur fast jederzeit als CD, Podcast oder im Streaming zugänglich sind. Die Ästhetik des Widerstands etwa, Der Zauberberg, Der Mann ohne Eigenschaften oder aktueller Homo Faber und sogar Unendliches Spiel, unendlicher Spaß. Das flüchtige Medium ist fest geworden.

      Die Bedeutung des Auditiven, Oralen, Kommunikativen scheint in der digitalen Welt erneut zu steigen, eine ›neue Kultur der Oralität‹ wieder in Aussicht. »Heute formiert sich erneut eine orale Kultur – nun aber nicht mehr in tribalem, sondern in globalem Maßstab. […] Das ist die Welt der elektronischen Netzwerke« (BOLZ 2007: 43). Die neue Kultur des Hörens ist nicht aufs Radio beschränkt, der Hörfunk verliert sein Alleinstellungsmerkmal und das Auditive erscheint an ganz neuen medialen Orten. Nicht nur Kinosäle bieten einen exzellenten Sound, längst bedient sich der Horrorfilm gerade des Auditiven, wenn er Schrecken erzeugen will. Einst für die ordnende Weltdarstellung zuständige Zeitungen präsentieren nun auch (oft maschinell erzeugte) gesprochene Versionen des Gedruckten, Autoradios können nicht nur Radioprogramme empfangen, und fern der Radiobegleitprogramme gibt es inzwischen zahlreiche ambitionierte Podcasts oder MP3-Angebote – durchaus allerdings auch unterhalb der UKW-Klangqualität. Auch die privilegierte Verbindung von Radio und Hörspiel scheint nicht mehr selbstverständlich. Aber hier befinden wir uns noch immer in den Anfängen der Entwicklung.

      HÖRSPIEL HÖREN

      Auf die Ausweitung der Kleinen Geschichte des Hörspiels zur ›großen‹ Geschichte des Hörspiels wurde bewusst verzichtet, die Anmerkungen und Literaturverweise blieben auf ein Minimum reduziert. Hörspiele müssen gehört werden (KRUG 2004). Dieses Buch will deshalb nicht nur beschreiben, analysieren, werten, ordnen und übers Hörspiel informieren. Es will auch anregen, sich dem Genre in seiner ganz eigenen (eben akustischen) Form zuzuwenden – und das Radio anzuschalten, den Livestream des Computers zu aktivieren, die CD einzulegen, den MP3-Player oder gar das Smartphone zu nutzen. Diese kleine Geschichte des Hörspiels, so ließe sich Heinz Schlaffer (2002: 158) noch immer paraphrasieren, ist so kurz, dass ihrem Leser Zeit bleibt, sich jenen Hörspielen zuzuwenden, denen das Buch sein Dasein verdankt.

       2.ZWISCHEN RADIO UND KULTUR (1923-1929)

      Die Anfänge des Hörspiels liegen im Dunkeln, und die ersten Spiele existieren schon seit Langem nicht mehr. Als der deutsche Rundfunk am 29. Oktober 1923 in Berlin mit seinem regulären Programm begann, wurde live gesendet. Die Nachrichten- und Unterhaltungssendungen, die Ansagen und Lesungen wurden noch nicht mitgeschnitten – und so sind die ersten Worte des neuen Mediums nur schriftlich überliefert: »Drei Minuten vor acht Uhr! Alles versammelt sich im Senderaum. Erwartungsvoll beobachtet man das Vorrücken des Zeigers der Uhr […] Acht Uhr! Alles schweigt. In das Mikrofon ertönen nun die Worte: Achtung! Hier Sendestelle Berlin Voxhaus Welle 3.000. Wir bringen die kurze Mitteilung, dass die Berliner Sendestelle Voxhaus mit dem Unterhaltungsrundfunk beginnt« (LEONHARD 1997: 23). Die offizielle Einführung des Radios in Deutschland geschah an einem Tag, als nahezu 50 Prozent der Arbeiter arbeitslos waren und ein Kilo Brot ganz offiziell 5.000 Millionen Mark kostete; Wochen heftigster Hungerdemonstrationen hatten die junge Weimarer Republik erschüttert und seit anderthalb Monaten herrschte der Ausnahmezustand.

      KULTUR ALS HÖRFUNKAUFTRAG

      Doch die Programmverantwortlichen waren begeistert. Das Radio wurde, so der Staatssekretär im Reichspostministerium (RPM) und ›Vater des deutschen Rundfunks‹ Hans Bredow, »in einer Zeit der tiefsten wirtschaftlichen und seelischen Not wie ein befreiendes Wunder begrüßt und wird hier als Kulturfaktor betrachtet, dessen Auswirkungen auf das kulturelle, politische und wirtschaftliche Leben nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Zum ersten Mal seit der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg ist eine neue Möglichkeit geschaffen, geistige Güter gleichzeitig Ungezählten zu übermitteln. Und es ist verständlich, dass der nach Nahrung hungernde Teil der Menschheit sich in Massen zu dem Radio drängt« (BREDOW 1924). Und später äußerte sich der Geschäftsführer der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft und ›Protagonist des Weimarer Rundfunks‹ Kurt Magnus so: »Der Rundfunk ist verpflichtet, alles dasjenige seinen Hörern in rundfunkgeeigneter Form zu bieten, was Deutschlands große Geister geschaffen haben. Der Rundfunk ist weiter verpflichtet, einen Querschnitt durch den gegenwärtigen Stand unserer Kultur zu bringen.«

      Der deutsche Hörfunk begann mit einem dezidierten Kulturauftrag. Er wollte das »Schöne, Gute und Wahre« vermitteln, die Hörer hatten »Bildungshunger, Aufnahme-Fähigkeit und echte Gläubigkeit« (BRONNEN 1954: 162), aber das Hörspiel existierte weder als Wunsch noch als Gattung. Trotz aller Kulturorientiertheit: Das »Minderheitenprogramm eines Massenmediums« (KARST 1981: 82), die nur dem Rundfunk eigene Kunstform,


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