Scheiß auf perfekt!. Stefan Dederichs

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Scheiß auf perfekt! - Stefan Dederichs


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Maschine«

      Auch der Fußballer Cristiano Ronaldo darf als Perfektionist bezeichnet werden. Auf der Fußballseite www.goal.com (Goal) verrät der ehemalige Fußballer Patrice Evra, wie es ihm erging, als er von Cristiano Ronaldo während der gemeinsamen Zeit bei Manchester United nach einem anstrengenden Training zum Essen eingeladen wurde. Er war wirklich erschöpft, aber auf dem Tisch standen nur Salat und Hähnchenbrustfilet. Zu trinken gab es nur Wasser, keinen Saft. Innerlich hatte sich Evra schon auf ein saftiges Stück Fleisch gefreut. Fehlanzeige. Aber wenn es nur das gewesen wäre: Kaum hatte Ronaldo zu Ende gegessen, trieb er Evra wieder zum Training an. Evra scherzte noch: »Kann ich wenigstens zu Ende essen?«, aber der Fußballkollege war wohl vor allem heiß darauf, sich durch eine weitere Trainingseinheit zu verbessern. Wer nun denkt, das war’s, der irrt sich. Natürlich wollte Ronaldo nach dem kleinen Zusatztraining noch zum Schwimmen in den Pool. »Dieser Typ ist einfach eine Maschine und kann nicht damit aufhören, zu trainieren«, so Evra.

      Für Ronaldo gab und gibt es keine Pause und keinen Stillstand, er arbeitet wohl jede Minute daran, sich weiter zu perfektionieren. Sein Erfolg resultiert aus extrem harter Arbeit. Um kontinuierlich Höchstleistungen abrufen zu können, sind der unermüdliche Einsatz und das Streben nach Perfektion erforderlich. Die Frage ist, ob wir bereit sind, dafür den entsprechenden Preis zu bezahlen. Cristiano Ronaldo scheint bereit dazu zu sein.

       Nimm dir Zeit zum Nachdenken

      Für Perfektionisten gibt es nur den Blick auf die Vision, das treibt sie zu Spitzenleistungen an, und nicht selten feiern sie so großartige Erfolge. In der Regel werden sie durch diese Erfolge darin bestätigt, dass sie auf dem richtigen Weg sind, dass sie das Richtige tun. In Bezug auf die eigene Vision mag dies auch zu stimmen. Allerdings bleiben dabei das Zwischenmenschliche und das eigene Glück auf der Strecke. Darunter leiden oft die Gesundheit und die Lebensenergie.

      Wenn du zu den Menschen gehörst, die diesen Preis zahlen wollen und denen es rein um die Vision geht, dann ist das deine freie Entscheidung. Du solltest dir darüber nur bewusst sein.

       Wie ist deine Einstellung dazu?

       Die Fesseln des Perfektionismus

      Das übermäßige Streben nach Perfektion macht es uns nicht gerade leicht. Es stellt enorme Ansprüche an uns. Diese führen schnell zu einer chronischen Unzufriedenheit und inneren Unruhe, durch die es uns nicht gelingt, ein Zufriedenheitsgefühl zu erreichen. Wir haben den Eindruck, den absolut perfekten Zustand niemals erreichen zu können. Ganz gleich, wie sehr wir uns anstrengen, es bleibt immer das Gefühl, es noch nicht gut genug gemacht zu haben. Dieser innere Druck und diese innere Unzufriedenheit verhindern, dass wir kreativ und leistungsfähig sein können. Wir fallen in ein schwarzes Loch, im schlimmsten Fall macht uns das depressiv und krank.

       Die Nicht-Reise nach Südafrika

      Ein guter Freund erzählte mir, dass er gern mal nach Südafrika reisen würde, nach Kapstadt, den Tafelberg besteigen, Wale sehen, eine Straußenfarm besichtigen. Zudem würde er gern in einer Loge mitten in der freien Wildnis übernachten, nachts das Schreien der Tiere hören. Morgens würde er dann auf eine Safari gehen. Beim Sonnenaufgang Löwen, Elefanten, Giraffen und Nashörner beobachten. Große Herden von Gazellen, die an Wasserlöchern stehen und sich gegenseitig bestaunen. Er stellte sich vor, wie er mit dem Jeep in nahezu unberührter Natur an Stämmen von Einheimischen vorbeifahren würde, während sie nahezu unbekleidet und nur mit einem Speer bewaffnet im Steppengras sitzen würden. Wie er von ihnen in ihr Lager eingeladen würde. Alle tanzten in der Dämmerung ihre Folkloretänze und sängen dazu ihre Musik.

      Auf meine Frage, warum er sich seinen Traum nicht erfülle, meinte er, dass er dort wahrscheinlich nur einmal in seinem Leben hinkomme, und darum wünsche er sich, dass die Reise perfekt ablaufe. Es müsse ja alles passen. Dies ist jetzt zehn Jahre her. Leute, zehn Jahre. Entschuldigung, er erzählte mir seinen Traum so bildhaft, so klar – und dann passiert zehn Jahre lang nichts. Ich fürchte, er wird auch in den nächsten zehn Jahren nicht nach Südafrika reisen. Denn die perfekte Planung, von der er gesprochen hat – er wird sie nie realisieren können. Die erwünschte Perfektion wird auch in den nächsten zehn Jahren nicht gelingen.

      Am Geld, an der Zeit und an den Möglichkeiten, eine größere Reise zu unternehmen, hat es bei jenem Freund nicht gelegen. Geld hat er genug, die Zeit findet man schon, wenn man etwas wirklich will, auf jeden Fall bei einem Zeitfenster von zehn Jahren. Er ist einfach zu sehr damit beschäftigt, darüber nachzudenken, wie er seinen Plan noch perfekter ausgestalten kann. Seine Perfektionsversessenheit hindert ihn daran, diese tolle Zeit einfach zu erleben und zu genießen, seinen Traum umzusetzen und dabei ein Glücksgefühl zu spüren. Ich befürchte, die Reise wird nicht das Einzige sein, was er auf die lange Bank schiebt, weil es ihm noch nicht perfekt genug ausgearbeitet ist.

      Kommt dir das irgendwie bekannt vor? Vielleicht von dir selbst oder von Menschen aus deinem Umfeld? Immer auf den perfekten Moment zu warten, immer zu warten, bis alles perfekt geplant ist, kann schnell dazu führen, dass du es nie erleben wirst, deine Pläne zu verwirklichen und sich der Verwirklichung deiner Träume auch nur ein wenig anzunähern. Das ist auch eine Form von Prokrastination, von »Verschieberitis«. Weißt du, was alles passieren kann? Weißt du, was in den nächsten zehn Jahren alles auf dich zukommt? Gute Planung, gute Vorbereitung, gute Organisation – in Ordnung, nur: Lass dich nicht durch unnötiges Perfektionsstreben von Möglichkeiten und Chancen abhalten. Der perfekte Moment, die perfekte Planung – beides gibt es nicht. In Wahrheit verbirgt sich dahinter nur eine Ausrede für die eigene Entscheidungsfaulheit und fehlende Entscheidungskraft.

       »Dem Gewissenhaften ist das Amt mehr Bürde als Würde.«

      Aus dem Talmud

      Noch einmal zurück zu meinem Freund: Wie er die Reise, wenn er sie doch irgendwann einmal angetreten hat, empfinden wird, entscheidet sich allein in seinem Kopf und durch die Art und Weise seiner Wahrnehmung und Beurteilung. Dabei spielt es keine Rolle, wie gut oder schlecht er sie vorbereitet hat. Ob er begeistert ist oder nicht, entscheidet sich nicht dadurch, ob er alles perfekt und bis ins kleinste Detail durchdacht und geplant hat. Es wird dadurch entschieden, welche Gefühle er auf dem Trip zulässt. Wenn er sich während der Reise nur darauf konzentriert, dass auch wirklich alles perfekt ist, wird sein Blick immer wieder auf das Nicht-Perfekte fallen. Er wird in der Echokammer des Perfektionismus gefangen bleiben und darum viel zu sehr damit beschäftigt sein, sich mit unwichtigen Dingen zu beschäftigen, und darüber vergessen, die schönen Momente zu genießen. Ihm werden tausend Situationen auffallen, die er nicht geplant hat. Wie ein Magnet wird er nur die negativen Momente und Situationen erkennen. Er wird die perfekte Vorstellung aus seinen Gedanken nie so umsetzen können, wie er es sich vorgestellt hat. Weil das Leben anders ist, weil das Leben die Perfektion nicht zulässt. Wir wachsen an Hürden und Hindernissen, wir erfahren echte Emotionen nur dann, wenn eben nicht alles perfekt ist, sondern auch unvorhergesehene und unvorhersehbare Dinge geschehen. Ja, in den Momenten würden wir uns wünschen, dass es anders wäre, wir wollen diese ungeplanten Situationen nicht. Es wäre uns lieber, wenn alles ganz glatt und geschmeidig laufen würde.

      !

       Im Nachhinein sind es jedoch meist genau die unplanbaren Situationen, die das Salz in der Suppe ausmachen und uns zu wirklichen Glücksgefühlen verhelfen.

      Die Verspätung des Flugzeugs bei der Abreise wird er in seiner perfekten Planung nicht berücksichtigt haben. Die Moskitos, die abends am Lagerfeuer auf ihn warten, wird er in seiner Vorstellung nicht eingeplant haben. Dass der Strauß heftig nach ihm pickt, wird er nicht vorausgesehen haben, auch nicht die plötzliche Begegnung mit einem Löwen und den Zusammenstoß mit einem Einheimischen, den er aufgeschreckt hat. Die Panne des Jeeps auf dem Weg ins Camp kann er nicht erahnen. Jedes dieser Geschehnisse wird ihm wie ein Dolchstoß ins Herz vorkommen.


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