Von den Einrichtungen der Klöster. Johannes Cassianus
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Bei den ägyptischen Mönchen wird der Gebetsdienst, den wir zu gewissen Stunden, durch die Mahnung des an die Thüre klopfenden Bruders veranlaßt, dem Herrn darbringen, den ganzen Tag hindurch in steter Verbindung mit Handarbeit freiwillig verrichtet. Sie widmen sich nämlich in ihren Zellen der Arbeit beständig in der Weise, daß die Betrachtung über die Psalmen und übrigen Theile der heiligen Schrift nie ganz ausgesetzt wird. Hiemit verbinden sie jeden Augenblick Bitten und Gebete und bringen auf diese Weise den ganzen Tag mit Beten zu, was wir nur zu bestimmten Stunden thun. Deßhalb wird, abgesehen vom abendlichen und nächtlichen Gebete, des Tages über keine öffentliche Feierlichkeit bei ihnen gehalten; nur am Samstag und Sonntag kommen sie um die dritte Stunde zusammen, um die heilige Kommunion zu empfangen. Diese Art des Gebetes ist vollkommener; denn was unaufhörlich dargebracht wird, ist mehr als Das, was in Zeitabschnitten verrichtet wird; und angenehmer ist eine freiwillige Gabe als die Verrichtungen, zu welchen die Regel zwingt. Dieß preist schon der König David als etwas Herrliches, wenn er singt: „Willig bringe ich dir das Opfer dar,“27 und: „Das willige Lob meines Mundes möge dir wohlgefällig sein, o Herr!“28
3. Im ganzen Orient werden die Terz, Sext und Non schon nach drei Psalmen und Orationen geschlossen. — Warum man gerade diese Stunden zur Abhaltung des betreffenden Gottesdienstes wählte.
In den Klöstern Palästinas, Mesopotamiens und des ganzen Orients wird die Gebetsfeier der genannten Stunden nach Abbetung von je drei Psalmen beendigt. Auf diese Weise wird zu den festgesetzten Zeiten Gott ein immerwährendes Gebet dargebracht, und auch die nothwendig zu verrichtenden Arbeiten werden, wenn den geistlichen Verpflichtungen in rechtem Maße genützt ist, in keiner Weise gehindert. — Wir lesen, daß auch der Prophet Daniel29 zu diesen drei Zeiten täglich bei offenem Fenster im Speisesaal zum Herrn sein Gebet gesandt habe. Und nicht mit Unrecht wurden gerade diese Zeiten für diesen heiligen Dienst bestimmt; denn in ihnen wurden die größten Verheissungen erfüllt und unser Heil besiegelt. Die dritte Stunde erinnert vorzugsweise an die Herabkunft des von den Propheten verheissenen heiligen Geistes über die im Gebete begriffenen Apostel. Als nämlich über die vermittelst der Eingebung des heiligen Geistes ihnen zu Theil gewordene Sprachengabe das ungläubige Judenvolk staunte und spottend bemerkte, sie seien „voll des süßen Weines“, da trat Petrus in ihre Mitte und sprach:30 „Ihr Männer von Israel und Alle, die ihr in Jerusalem wohnt, Dieß sei euch kund und vernehmet meine Worte! Denn nicht sind diese, wie ihr vermuthet, trunken, — es ist ja die dritte Tagesstunde, — vielmehr ist es Dieß, was gesagt worden ist durch den Propheten Joel: Es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht der Herr: Ich werde ausgießen von meinem Geist über alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure Jünglinge werden Gesichte sehen, und euren Greisen werden Traumerscheinungen erscheinen.“ Dieß alles sehen wir um die dritte Stunde erfüllt, wie auch die von den Propheten verkündete Ankunft des heiligen Geistes zu den Aposteln um dieselbe Zeit stattfand. Um die sechste Stunde aber ist das unbefleckte Opfer, unser Herr und Heiland, dem Vater dargebracht worden, und das Kreuz für das Heil der ganzen Welt besteigend tilgte er die Sünden des menschlichen Geschlechtes und hat entwaffnet die Fürstenthümer und Mächte und sie zur Schau gestellt, und uns alle, die wir der unbezahlbaren Schuldverschreibung anheimgefallen waren, hat er befreit, indem er dieselbe tilgte und an das Siegeszeichen seines Kreuzes heftete. Um die sechste Stunde wird ferner dem heiligen Petrus in einer Verzückung die Berufung aller Völker durch das Herablassen des vom Himmel gesandten Tuches und die Reinheit aller in demselben befindlichen Thiere durch die Stimme vom Himmel geoffenbart: „Steh’ auf, Petrus, schlachte und iß!“ Dieses an den vier Enden vom Himmel herabgelassene Tuch bezeichnet offenbar nichts Anderes als das Evangelium. Scheint es nämlich, als habe das durch die vierfache Aufzeichnung der Evangelisten unterschiedene Evangelium vier Enden, so ist es doch nur ein Ganzes: denn es berichtet gleichmäßig desselben Christus Geburt und Gottheit und enthält seine Wunder und Leiden. Schön aber nennt die heilige Schrift das Tuch nicht ein „linnenes“, sondern ein „gleichsam linnenes“. Das Linnen nämlich ist das Zeichen der Abtödtung. Weil also der Herr bei seinem Leiden nicht nach dem Gesetze der menschlichen Natur, sondern nach seinem eigenen freien Willen sich dem Tode unterzogen hat, wird es ein „gleichsam linnenes“ genannt. Denn er starb dem Fleische, nicht dem Geiste nach, weil weder seine Seele in der Unterwelt verblieb noch sein Fleisch die Verwesung schaute. Und ferner sagt er: „Niemand nimmt mein Leben weg von mir, sondern ich gebe es hin, von mir selber aus, und ich habe Macht, es hinzugeben und es wieder zu nehmen.“31 Auf diesem vom Himmel gesandten, d. h. vom heiligen Geiste beschriebenen Tuche der Evangelien sollen alle Völker, die einst ausser der Erfüllung des Gesetzes standen und daher für unrein galten, nach der Stimme des Herrn durch Annahme des Glaubens sich versammeln; hier sollen sie sich zu ihrem Heile von dem Götzendienste abwenden und zu der durch Petrus gereinigten gesunden Speise herankommen. Um die neunte Stunde aber stieg der Heiland in die Unterwelt hinab, verscheuchte durch den Glanz seiner Herrlichkeit die undurchdringliche Finsterniß der Vorhölle, erbrach ihre ehernen Pforten, sprengte ihre eisernen Riegel und nahm die Gefangenschaft der Heiligen, welche ohne Erbarmen in der Finsterniß der Unterwelt eingeschlossen gehalten wurden, nun zu ihrem Heile gefangen und führte sie mit sich zum Himmel empor. Hier nahm er das flammende Schwert hinweg und setzte den ehemaligen Bewohner des Paradieses zu Gottes Preis und Ehre wieder in dasselbe ein. Zu derselben Stunde verharrte der Hauptmann Kornelius32 mit gewohnter Andacht im Gebete und erkannte aus den Worten des Engels, der mit ihm redete, daß seine Gebete und Almosen emporgestiegen waren zu einem Gedächtnisse vor Gott. Um die neunte Stunde wird ihm das Geheimniß der Berufung der Heiden enthüllt, das dem Petrus in der Verzückung um die sechste Stunde geoffenbart worden war. An einer andern Stelle der Apostelgeschichte33 wird bezüglich derselben Zeit berichtet: „Petrus aber und Johannes gingen hinauf zum Tempel um die neunte Stunde des Gebetes.“ Hieraus erhellt klar, daß nicht mit Unrecht von heiligen und apostolischen Männern diese Stunden dem heiligen Dienste geweiht wurden und daher auch von uns in gleicher Weise eingehalten werden müssen. Denn wenn wir nicht wie durch ein Gesetz dazu verpflichtet werden, diesen frommen Dienst wenigstens zur bestimmten Zeit zu verrichten, so bringen wir, von Trägheit, Vergessenheit oder Beschäftigungen in Anspruch genommen, den ganzen Tag hin, ohne ein Gebet hier und da eingefügt zu haben. Doch was soll ich von dem Abendopfer noch reden, dessen ununterbrochene Darbringung schon im alten Testamente durch das mosaische Gesetz angeordnet wird? Denn daß Morgen- und Abend-Opfer, wenn auch nur mit vorbildlichen Opferthieren, alle Tage im Tempel dargebracht wurden, läßt sich schon aus dem Worte Davids34 beweisen: „Es schwinge mein Gebet sich auf, gleich Rauchwerk, zu dir, meiner Hände Erheben sei wie ein Abendopfer!“ Bei jener Stelle kann man in heiligerer Auffassung auch an jenes wahre Abendopfer denken, das entweder am Vorabend vom Herrn und Erlöser den Jüngern beim Abendmahle hingegeben wird und so die hochheiligen Geheimnisse der Kirche beginnt, oder an jenes Opfer, in welchem der Heiland am folgenden Tage, und zwar am Schlusse der Tageszeiten, durch die Erhebung seiner Hände als Abendopfer für das Heil der ganzen Welt sich dem Vater dargebracht hat. Dieses Ausstrecken seiner Hände am Kreuze wird so recht eigentlich „Erhöhung“ genannt. Denn uns alle, die wir der Hölle verfallen waren, erhob er zum Himmel nach dem Worte seiner Verheissung: „Wenn ich von der Erde erhöht sein werde, will ich Alles zu mir ziehen.“35 Ueber die Feier der Matutin (Laudes) aber belehrt uns jene Stelle, die wir täglich in derselben zu singen pflegen: „Gott, mein Gott, zu dir erwache ich am frühen Morgen“36 und: „Am Morgen noch ist mein Sinnen in dir“37 und: „Ich komme früh am Morgen und rufe“38 und ferner: „Früh richten sich meine Augen auf dich vor der Dämmerung, um zu betrachten über deine Aussprüche.“39 ― Um diese Stunden hat auch der Hausvater im Evangelium die Arbeiter für seinen Weinberg gedungen. Denn es heißt auch von ihm, daß er zuerst am Morgen gedungen habe, welche Zeit unsere Matutin bezeichnet, dann um die dritte, hierauf um die sechste, darnach um die neunte, zuletzt um die eilfte Stunde, womit die Abendstunde gemeint ist.
4. Die Matutin, welche wir Prim nennen, ist nicht durch alte Ueberlieferung eingeführt, sondern zu unserer Zeit